Wenn Fred Hansen durch den Wald geht, kann er nicht nur von abgestorbenen Fichten erzählen, sondern auch von Laubbäumen mit eingerollten Blättern oder kahlen Ästen. Es handelt sich um die Rotbuche. In Mitteleuropa heimisch, ist sie der häufigste Laubbaum in Deutschlands Wäldern. Für Hansen, den nordrhein-westfälischen Landeschef des Bundes Deutscher Forstleute (BDF), sind die Absterbeerscheinungen an der Rotbuche Anzeichen für Wassermangel.
Jeder Baum transportiert Wasser von den Wurzeln bis in die Blattspitzen. Bei großer Trockenheit kann es aber sein, dass mehr Wasser über die Blätter verdunstet, als die Pflanze aufnehmen kann. Es entstehen Hohlräume, in denen sich Luft sammelt, die wiederum den Wassertransport verhindert. Die Pflanze trocknet aus. Hansen vergleicht den Zustand des Laubbaumes mit einer Embolie beim Menschen.
Allein in Nordrhein-Westfalen sind mehrere tausend Hektar an Buchenwald wegen der Trockenheit abgestorben oder vom Absterben bedroht, sagt Hansen. Auch die Eiche, die als stresstolerant und regenerationsfähig gilt, leide derweil massiv an Wassermangel. Grund dafür ist die Dürre des vergangenen Jahres.
Böden leiden unter der Hitze des Vorjahres
Im letzten Jahr herrschte laut Deutschem Wetterdienst (DWD) in Deutschland ein Niederschlagsdefizit von 200 Millimetern – ein Dürresommer. Auch der Regen zu Beginn des Jahres konnte die Wasserspeicher in den tieferen Böden nicht wieder auffüllen. Die Hitzeperiode im Juni verschärfte die Trockenheit noch.
Einzelereignisse wie eine Dürre ließen sich zwar nicht mit dem Klimawandel begründen, doch "bis zur Mitte dieses Jahrhunderts wird die Temperatur nochmal um ein Grad ansteigen", warnt Andreas Brömser vom DWD im Gespräch mit Klimareporter°. Bei den Niederschlagsmengen lasse sich zwar insgesamt kein Trend erkennen, doch durch die Hitze würden Trockenperioden öfter vorkommen.
Außerdem gelange durch die höheren Temperaturen mehr Energie in die Atmosphäre, sodass sich Wolken und Gewitter schneller bilden. Dadurch gebe es vermehrt sogenannte Starkniederschläge. Der Boden könne diese Wassermengen allerdings nicht so schnell aufnehmen, sodass das Wasser die Flüsse ansteigen lasse, erläutert Brömser.
Fichtenschädling Borkenkäfer
Mit der Dürre geht eine weitere Bedrohung für den Wald einher: die Massenvermehrung der Borkenkäfer. Nistet sich dieser in die Fichte ein, bildet der Nadelbaum normalerweise Harz und der Borkenkäfer ertrinkt in der klebrigen Masse, wie BDF-Landeschef Hansen erklärt. Um Harz zu bilden, brauche die Fichte aber Wasser – das bekommt sie nicht.
Wie schnell sich die Schädlinge vermehren, zeigt exemplarisch das Borkenkäfermonitoring des Landesbetriebes Wald und Holz NRW. In dem Bundesland zeigt die Karte zurzeit etwa 40 rote Markierungen. Rot bedeutet Gefahrenstufe, es ist mit dem Befall völlig gesunder Fichten zu rechnen. Genau vor zwei Jahren, im Jahr 2017, zeigte die Karte keinen einzigen dieser roten Punkte, im Jahr 2018 einen einzigen.
Borkenkäfer sind so schädlich, weil sie sich durch den Bast, das lebende Gewebe der Bäume, fressen. Dabei durchtrennen sie Leitungsbahnen, die den Baum von den Wurzeln her mit Nahrung versorgen. Bei starkem Befall wird auch der Wassertransport gestört und der Baum stirbt ab. "Der Borkenkäfer ist der Totenbestatter des Waldes", fasst Hubert Weiger, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND, zusammen.
Ganz so dramatisch sieht Pierre Ibisch, Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde bei Berlin, den Befall der Fichten nicht: "Der Borkenkäfer ist ein Akteur im komplexen Ökosystem, in dem nun Selbstregulationsmechanismen greifen, die dazu führen, dass sich Böden und Strukturvielfalt erholen können."
Natürlich sei ein Verlust der Fichten eine ökonomische Katastrophe, sagt Ibisch. "Waldbesitzer verdienen sicherlich trotz der Fehler in der Vergangenheit Unterstützung und Kompensation." Der Ökologe macht aber auch klar: "Die Fichte hat im vom Klimawandel veränderten Deutschland keine Zukunft mehr."
Nicht nur Fichten leiden unter Schädlingen. Eichen werden vom Eichenprozessionsspinner befallen und auch der Ahorn von der Rußrindenkrankheit, zählt Fred Hansen auf. Tägliche Hiobsbotschaften für den Wald haben dazu geführt, dass der BDF vergangene Woche den Klimanotstand ausgerufen hat.
Die Forsten – ein Wirtschaftsmodell
Für Pierre Ibisch eine angemessene Reaktion: "Wir erleben Veränderungen in den Waldökosystemen, die über alles hinausgehen, was wir bisher kannten." Immer mehr Baumarten bekämen Probleme, der Zusammenhang mit dem Klimawandel werde deutlich.
Der Eberswalder Biologe macht klar: "Es besteht die konkrete Gefahr, dass das bisherige Wirtschaftsmodell der Forstwirtschaft zusammenbricht." Ibisch begrüßt, dass der Forstleutebund den erwerbswirtschaftlichen Ansatz inzwischen kritisch reflektiert.
Mit dem erwerbswirtschaftlichen Ansatz meint Ibisch das jahrhundertelange Anpflanzen von Monokulturen. "Wir haben natürlich auch Fichten angepflanzt", räumt Fred Hansen vom BDF ein. "Den aktiven Anbau werden wir in Zukunft nicht mehr empfehlen können. Wie wir mit der Naturverjüngung der Fichte umgehen, müssen wir im Einzelfall entscheiden."
Doch wie kann der Wald im klimaveränderten Deutschland erhalten bleiben? Der BDF legte dafür im März einen sogenannten "Carlowitz-Plan" vor, eine Art Marshallplan für den Wald. Darin fordert die Berufsvertretung fünf Milliarden Euro für den Wald.
Zum Vergleich: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) kündigte kürzlich eine halbe Milliarde Euro für die Wiederaufforstung an.
Waldumbau oder Selbstregulierung?
Für den BDF und den Umweltverband BUND ist das unzureichend – sie fordern den Waldumbau. "Naturferne Fichten- und Kiefernforste müssen dringend in naturnahe Laubmischwälder umgebaut werden", mahnte der BUND, als er diese Woche seine Forderungen zum neuen Waldsterben vorlegte.
Mit einem höheren Anteil an Laubbäumen und einem größerem Spektrum an Arten seien Wälder besser gegen den Klimastress gewappnet, erklärte BUND-Chef Weiger. Trotz derzeitiger Wassermangelerscheinungen schätzt Weiger die Eiche als zukunftssicherste Pflanze ein.
Auch Ibisch befürwortet die Entwicklung zu Laubmischwäldern. Von einem Waldumbau will er jedoch nicht sprechen. Stattdessen fordert er eine Selbstentwicklung des Waldes und warnt auch vor dem Abtransport des Schadholzes, das durch den Borkenkäfer entstanden ist. Der Zusammenbruch von Baumbeständen sei "Teil einer neuen Selbstorganisation des Waldes". Im Humus der Bäume vergangener Generationen könnten dann neue aufwachsen, so der Ökologe.
Die absterbenden Buchenwälder in Thüringen haben aber auch Ibisch überrascht. "Es könnte sein, dass die Buche zumindest regional schneller über einen Kipppunkt gebracht wurde, als wir uns das haben vorstellen wollen." Nach wie vor gebe es aber Baumarten, die mit den derzeitigen Bedingungen zurechtkommen "und hoffentlich auch mit denen der nächsten Zukunft".
Dazu gehörten Linden und Hainbuchen. "Die sollte man jetzt aufwachsen lassen, ohne zu sehr an ihren aktuellen Holznutzwert zu denken", sagt Ibisch. "Das Allerwichtigste ist aber, dass man dem Waldökosystem nicht das Kapital raubt, das es braucht, um in den Wiederaufbau zu investieren."
Die Erwärmung hat erst begonnen
Wie der Wald in Zukunft aussehen wird, ist also noch unklar. Fest steht aber: Die Wälder haben für das Klima und den Menschen eine immense Bedeutung. "Wenn die Wälder sterben, verlieren wir mit ihnen unser naturnächstes Drittel in Deutschland – mit unübersehbaren Folgen, vor allem für die Trinkwasserversorgung für Millionen Menschen", warnt Weiger vom BUND.
Durch die Sonneneinstrahlung werde dann der Humusanteil in den Böden abgebaut, sodass noch mehr CO2 in die Atmosphäre gelange. Außerdem gelange Nitrat ins Grundwasser, erklärt Weiger. Das verringere zwar nicht die Menge des Trinkwassers, aber die Qualität.
Am Wichtigsten sei jedoch der Klimaschutz. "Alles, was wir hier fordern, ist etwas, das die Wälder heute schon brauchen, mit einer Erwärmung, die wir jetzt bereits haben", sagt Nicola Uhde, BUND-Expertin für Waldpolitik. Das bedeute: Selbst wenn es gelingt, die weitere Erwärmung zu stoppen, gebe es immer noch ein Waldsterben.