Riesige Waldflächen auf Rhodos und Sizilien standen noch vor wenigen Tagen in Flammen. Statt über den Klimawandel und seine ökologischen wie sozialen Folgen zu berichten, war für etliche deutsche Medienhäuser die drängendste Frage eine andere: Was heißt das für die deutschen Sommerurlauber:innen? Das ist schlechter Journalismus.
Schlechter Klima-Journalismus hat in Deutschland leider Tradition. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass eines der konservativsten Blätter des Landes, das Politikmagazin Cicero, sich dieser Tradition verbunden fühlt. Ob das jeden verwirrten Gastbeitrag rechtfertigt, um das eigene Profil vom "Mainstream" abzugrenzen? Zumindest diese Frage muss sich Cicero gefallen lassen.
Denn wenn ein früherer Chefvolkswirt der Deutschen Bank behauptet, dass vier Grad Erderwärmung für die Weltwirtschaft kein Problem seien, dann ist das nicht mehr nur schlechter Journalismus, sondern lupenreine Wissenschaftsleugnung.
Der am letzten Dienstag erschienene Beitrag des Ökonomen Thomas Mayer liest sich wie eine moderne Klimaskeptizismus-Collage. Denn der Klimaskeptiker von heute leugnet längst nicht mehr, dass sich das Klima verändert.
Der moderne Klimaskeptiker ist sich nur nicht sicher, ob der Klimawandel wirklich so schlimm ist. Er stellt menschliche Aktivitäten als Hauptursache infrage und wirbt folgerichtig dafür, es mit dem Klimaschutz nicht so eng zu sehen. Alles eingerahmt in eine feinsinnige Politik-Analyse à la "wir sind auf dem besten Weg in eine Klima-Diktatur".
Mit dieser Art geistreicher Analyse beginnt auch Thomas Mayer seinen Beitrag. Gegen kriminelle Klimaaktivist:innen, machthungrige und korrupte Klimaforscher:innen und autoritäre Politiker:innen hilft laut Mayer nur der nüchterne und stets verlässliche Blick der Wirtschaftsforschung.
Vereinfacht bis zur Unbrauchbarkeit
Die einzige Frage, die den Ökonomen interessiert, ist: Gibt es weiterhin Wirtschaftswachstum?
Um die Frage zu beantworten, bezieht sich Mayer auf eine Analyse von drei Ökonom:innen der Federal Reserve Bank of San Francisco. Ein Temperaturanstieg von vier Grad seit Ende des 20. Jahrhunderts, also fast fünf Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, lässt laut der Analyse die Weltwirtschaft fast völlig unbeeindruckt.
2100 wäre das globale Bruttoinlandsprodukt bei fünf Grad Erwärmung nur 3,4 Prozent geringer als in einem Szenario ohne Temperaturanstieg. Natürlich ist das totaler Quatsch. Das ist den Autor:innen auch bewusst, auch wenn sie es vermutlich anders ausdrücken würden.
Sie machen in ihrer Studie eben das, wofür die konservative Wirtschaftsforschung berühmt-berüchtigt ist: Sie vereinfachen alles bis zur Unkenntlichkeit. Das mag den Weg für neue, bessere Analysen ebnen, aber in keinem Fall lässt es eine auch nur irgendwie verlässliche Prognose zu.
In der Analyse vergleichen die Autor:innen historische Daten zur Lufttemperatur und zur wirtschaftlichen Entwicklung. Dabei kommen Sie zu dem Ergebnis, dass 13 Grad Durchschnittstemperatur am produktivsten sind und somit kältere Länder durch eine Erwärmung produktiver und bereits warme Länder weniger produktiv werden. Ja, wirklich. Das ist das Fundament der gesamten Analyse.
Man kann nur erahnen, wie die Produktivität im grönländischen Nuuk explodieren würde, wenn die Durchschnittstemperatur von minus 1,4 Grad Celsius auf einmal um gut 14 Grad auf die "Optimaltemperatur" ansteigen würde.
Dabei wird nicht nur angenommen, dass für jeden Ort auf der Welt die gleiche Idealtemperatur gilt, ungeachtet von Ökosystemen, Gletschern und vielen anderen natürlichen Bedingungen, die Analyse simplifiziert auch den Klimawandel zu einem bloßen Temperaturanstieg.
Diese Analyse ist kein Einzelfall. Es ist tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme, dass Wirtschaftsmodelle Klimarisiken unterschätzen. Der Weltklimarat IPCC geht bei einer Erwärmung um vier Grad von einem Wirtschaftseinbruch zwischen zehn und 23 Prozent aus, und auch diesen Berechnungen liegen ökonomische Modelle zugrunde, die entscheidende klimawissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren.
Die Autor:innen der ganz besonders optimistischen Analyse aus San Francisco listen immerhin alles auf, was ihrer Vereinfachung zum Opfer gefallen ist: Niederschlagsveränderungen, Meeresspiegelanstieg, Extremereignisse, saisonale Temperaturschwankungen, Auswirkungen auf Ökosysteme, Kipppunkte und nicht-ökonomische Erwärmungsfolgen wie Hitzetote – dies ist nur ein Teil der aufgeführten nicht berücksichtigten Aspekte.
Mit anderen Worten: Das Szenario der Analyse, in dem sich ausschließlich die Temperatur verändert und alles andere auf magische Weise stabil bleibt, ist ein reines Fantasiegebilde.
Nicht verstanden oder absichtlich ignoriert?
Diesen Teil spart Chef-Ökonom Mayer bequemerweise aus. Er möchte wohl die konservativen Cicero-Leser:innen nicht verwirren. Was Mayer aus der Analyse schließt: Selbst bei ungebremstem Temperaturanstieg sind die Verluste überschaubar, Klimaschutz können wir uns deshalb sparen und stattdessen auf regionale Klimaanpassung setzen.
Eine wohlgesinnte Interpretation gegenüber Mayers Gastbeitrag wäre, dass er die Analyse entweder nicht gelesen oder nicht verstanden hat. Viel wahrscheinlicher: Mayer betreibt bewusst Wissenschaftsleugnung. Man kann die Analyse bewerten, wie man will, aber die Autor:innen gehen transparent mit ihren Lücken um, Mayer spart diese gänzlich aus.
Das ergibt ein klimawandelleugnerisches Zerrbild. Um zu verstehen, warum hier dem Gastautor frivol Absicht unterstellt wird, muss man einen kurzen Blick auf Mayers Schaffen werfen.
Als komplett fachfremde Person fabulierte er in einem Beitrag für Die Welt, dass der Klimawandel nur "möglicherweise von menschlichen Aktivitäten verursacht" sei. In seinen Werken bezieht sich Meyer auf einschlägige Quellen wie das "Europäische Institut für Klima und Energie", kurz EIKE, das Zentrum der deutschen Klimawandelleugnungs-Lobby, oder das rechtspopulistische Magazin Tichys Einblick.
Mayer ist Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute, gegründet von dem deutschen Finanzdienstleister und Vermögensverwalter Flossbach von Storch AG. Der Name dürfte einigen durch die in der Presse thematisierte Anschubfinanzierung für die AfD ein Begriff sein.
Mit anderen Worten: Dass Thomas Mayer einen derartig manipulativen Text verfasst, dürfte niemanden überraschen. Aber ein solcher Artikel wird nicht nur geschrieben, sondern auch gedruckt. Es trägt nicht nur der Autor eine Verantwortung, sondern auch das Magazin, in dem er erscheint.
Deshalb am Ende die Frage an die Cicero-Redaktion: Ist das noch konservativ oder schon rechtspopulistisch?