Russland hat Polen und Bulgarien vorige Woche den Gashahn abgedreht. Seither wächst die Sorge, dass dies auch Deutschland treffen könnte. Und so stellt sich verschärft die Frage, wie die dann deutlich reduzierten Erdgasmengen verteilt würden.
Die Debatte über das "Frieren für den Frieden" läuft heiß. Der aktuelle Vorstoß von Eon-Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley, zuerst bei den Privathaushalten zu kürzen, ist auf heftige Ablehnung beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) gestoßen. Haushalte und soziale Einrichtungen müssten weiter Vorrang vor der Industrie haben.
Kley hatte jüngst dafür plädiert, den Notfallplan bei der Gasversorgung zu verändern. Er forderte von der Bundesregierung, sich gut zu überlegen, "ob sie die Reihenfolge nicht umdreht und erst bei Privaten abschaltet und dann bei der Industrie".
Das Wichtigste sei eine "arbeitsfähige Industrie", denn davon seien auch die Gehälter der Bevölkerung abhängig, sagte Kley im Interview mit dem Manager Magazin. Kley ist nicht nur Aufsichtsratschef beim Energiekonzern Eon, sondern auch bei der Lufthansa.
Der "Notfallplan Gas" der Bundesregierung sieht vor, bei zu knappen Erdgasmengen zuerst in der Wirtschaft zu kürzen. Nicht lebensnotwendigen Industrien soll dann das Gas abgedreht werden, damit die wichtigeren Zweige weiter wirtschaften können. Die Privathaushalte, aber auch soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser und Altenheime sollen zuletzt betroffen sein.
Derzeit bezieht Deutschland laut Bundeswirtschaftsministerium rund 35 Prozent des Erdgases aus Russland, 2021 waren es noch 55 Prozent gewesen. Plan ist, die Lieferungen nach und nach bis Mitte 2024 auf null herunterzufahren.
Allerdings fordern auch viele Experten, zivilgesellschaftliche Organisationen und laut Umfragen auch ein knappes Drittel der Bundesbürger ein sofortiges Gas-Embargo, um die Finanzströme nach Moskau zu stoppen. Auch in diesem Fall wäre natürlich eine Priorisierung der verfügbaren Gasmengen nötig.
Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft verbrauchen Industrie und Haushalte Erdgas in vergleichbaren Größenordnungen, 2021 waren es bei der Industrie 366 Milliarden und bei den Haushalten 306 Milliarden Kilowattstunden.
"Man müsste ganze Gasnetzstränge vollständig abschalten"
VKU-Präsident Michael Ebling reagierte auf die neue Debatte so: "Haushalte und soziale Einrichtungen sind geschützte Kunden, die vorrangig mit Gas versorgt werden. Und das ist richtig so." Den Schutz dieser Verbraucher infrage zu stellen, sei "völlig verfehlt".
Zudem sei es technisch gar nicht möglich, die Gaszufuhr für so zu steuern, dass die Raumtemperatur der Haushalte um ein oder zwei Grad sinkt. "Man müsste ganze Gasnetzstränge vollständig abschalten. Dies hätte im Winter unübersehbare Folgen für die Wärmeversorgung der Menschen", sagte Ebling.
Allerdings sei es nötig, dass sich die Bundesrepublik auf eine längere Gasmangellage vorbereitet. Es müssten Notfallpläne entwickelt und vorausschauend Energie gespart werden. "Der Schutz der Privathaushalte entbindet den einzelnen nicht von der Verantwortung, sorgsam mit Energie umzugehen", mahnte der VKU-Chef.
Denkbar sei zudem, dass die Politik bei den Haushaltskunden Anreize für das Einsparen von Gas schafft. Haushalte könnten durch Absenken der Raumtemperatur um bis zu zwei Grad und andere kurzfristig umsetzbare Einsparmaßnahmen ihren Energieverbrauch für Heizen und Warmwasser um zehn bis 15 Prozent senken, gab Ebling Expertenschätzungen wieder. Das nütze auch dem Umwelt- und Klimaschutz.
Wirtschaftswissenschaftler des europäischen Thinktanks Bruegel, der Harvard-Universität und der Universität Köln haben unterdessen die Einführung von flexiblen Zöllen auf Öl- und Gasimporte aus Russland in die EU vorgeschlagen, um die Kriegskosten für das Regime in Moskau zu erhöhen und zugleich den Schaden für die europäische Wirtschaft gering zu halten. Die Zölle würden Russlands Energieeinnahmen reduzieren, ohne automatisch den Energiezufluss zu stoppen, so ihr Argument.
"Ein großer Vorteil des Importzolls ist, dass er flexibel und strategisch an die wirtschaftliche und politische Dynamik des Konflikts angepasst werden kann", erläuterte der Kölner Professor Axel Ockenfels. Zudem sei es leichter für die EU-Staaten, sich auf eine solche Maßnahme zu einigen als auf einen Importstopp.