Staromestská in Bratislava
Mehrspurige Straßen wie die Staromestská zerschneiden Bratislava. (Fotos: Sandra Kirchner)

Bratislava ist Autostadt. Jahrzehntelang konzentrierten sich die Politiker dort auf den Autoverkehr, als gäbe es den Nahverkehr und das Fahrrad nicht. Beinahe einem Tabu glich das Einrichten neuer Busspuren. Zum Radverkehr bekannte sich die Politik zwar, aber an der Umsetzung krankte es.

Das hat bis heute Folgen: Mehrspurige Straßen wie die Staromestská, die für Fußgänger und Radfahrer nur an Unter- oder Überführungen zu überwinden sind, fressen sich durch die Stadt. Autos parken Bürgersteige zu. Und weniger als zwei Prozent aller Wege werden mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Das zu ändern war das Ziel des Architekten und früheren Aktivisten Matúš Vallo. Mit anderen Aktivisten und Experten entwickelte er einen ehrgeizigen Plan, wie Bratislava besser, lebenswerter und inklusiver werden sollte. Mit dem sogenannten Plan B kandidierte Vallo im vergangenen Jahr als Bürgermeister – und überzeugte die Bratislavaer von den gemeinschaftlich entwickelten Ideen. Seither baut sich die Stadt peu à peu um.

Viel Arbeit für Radverkehrs-Aktivisten

Aus Sicht des Fahrradaktivisten Daniel Duriš, Vorsitzender des Vereins Cyklokoalícia, ist seit dem vergangenen Jahr jedoch wenig in puncto Radinfrastruktur passiert. "Der tatsächliche Fortschritt ist sehr gering", sagt Duriš. "Weil wir aber schon seit unserer Gründung für bessere Bedingungen zum Fahrradfahren kämpfen, waren unsere Erwartungen nicht so hoch."

Auch Peter Netri findet, dass der Fahrradverkehr im vergangenen Jahr in Bratislava kaum vorangekommen ist. Netri war selbst lange Fahrradaktivist, hat Matúš Vallo bei der Ausarbeitung seines Plans unterstützt und ist heute für nachhaltige Mobilität bei der Stadt zuständig. "Das ist eine sehr schwierige und komplexe Angelegenheit, weil neben den Radwegen auch viele andere Dinge wie Bürgersteige, Begrünung und Parkplätze festgelegt werden", erklärt er. Eigentlich sei es eine komplette Neugestaltung der Straße. "Es liegt noch viel Arbeit vor uns", sagt Netri.

Im Jahr 2030 soll jede zehnte Fahrt mit dem Rad zurückgelegt werden. Damit das gelingt, soll ein Radwegenetz von 76 Kilometern Länge entstehen, bei dem die Radwege klar von Autospuren und Fußgängerbereichen abgegrenzt sind. Nur dann fühlten sich die Menschen sicher und würden häufiger das Fahrrad wählen, sind sich Stadtvertreter Netri und Fahrradaktivist Duriš einig. "Es gibt etliche Teilstücke, aber ein verbundenes Radewegenetz fehlt noch immer", beschreibt Daniel Duriš den Status quo. 

Erste Busspuren eingerichtet

Noch vor wenigen Jahren war das anders. Ausgewiesene Infrastrukturen fürs Fahrrad fehlten vollständig. 2010 taten sich die ersten Fahrradenthusiasten in Bratislava zusammen. Sie gründeten die Cyklokoalícia, schrieben E-Mails an Lokalpolitiker und trafen Bezirksbürgermeister, um bessere Bedingungen fürs Fahrradfahren zu erstreiten. 2012 wurde die erste Fahrradspur markiert. "Das klingt vielleicht nach keinem großen Erfolg, aber für uns war es zumindest ein Fortschritt", sagt Cyklokoalícia-Präsident Duriš.

Unzufrieden ist Duriš aber nicht mit der jetzigen Verwaltung. "Die Kommunikation der Stadt mit ihren Bürgern hat sich komplett verändert", berichtet der Fahrradaktivist. Bei der Kommunikation seien die Veränderungen des vergangenen Jahrs am deutlichsten. Wenn heute beispielsweise irgendwo der Asphalt erneuert oder ein Baum beschnitten werde, erkläre die Stadt auf Schildern die Maßnahme. Auch über Social Media würden die Bürger nun mehr informiert.

Trotz der geringen Fortschritte beim Radverkehr ist Netri nicht untätig gewesen. Bratislava hat im vergangenen Jahr mehrere Busspuren eingerichtet, weil Busse in der Stadt regelmäßig im Stau stecken blieben. "Manche der neuen Busspuren sind nur kurz", sagt Netri. Aber sie wurden strategisch an Verkehrsengpässen platziert, wo der Autoverkehr regelmäßig stillstand. "Dadurch konnten wir unser Bussystem beschleunigen", berichtet der Planer. Die Busse seien pünktlicher geworden. Und weil Ersatzbusse wegen extremer Verspätungen deshalb nicht mehr notwendig sind, spart das der Stadt auch Geld.

Insgesamt sollen 22 Kilometer neue Busspuren entstehen. Denn während nur einige hundert Autos pro Stunde auf einer Strecke fahren können, kann der ÖPNV deutlich mehr Menschen zu ihrem Ziel bringen. "Das wird es uns ermöglichen, die Leute schnell durch die Stadt zu bewegen", sagt Netri. Ein Zehntel des Ziels sei bislang geschafft.

Frauen haben vielfältigere Ziele in der Stadt

Allein die Infrastrukturen für Busse, Straßenbahnen und Fahrräder zu verbessern reicht jedoch nicht. Auch der Lebensstil der Bratislavaer muss stärker bei der Verkehrsplanung berücksichtigt werden, fordert die Stadtplanerin Milota Sidorová, die am Metropolitný inštitút arbeitet und Bratislava bei der Stadtentwicklung berät.

"Männer haben meist einfache Bewegungsmuster", sagt Sidorová. Am Morgen steigen sie gewöhnlich ins Auto, um zur Arbeit zu fahren. Und am Abend fahren sie meist direkt wieder nach Hause.

Bei Frauen sei die Mobilität vielfältiger. "Ihre Fortbewegung basiert auf dem Gehen", sagt Sidorová. Sie nutzten häufiger öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad. Das Auto komme weniger zum Einsatz.

Auch die Muster der angesteuerten Orte variierten stärker. So würden Frauen beispielsweise vor der Arbeit noch den Kindergarten oder die Schule ansteuern und nach der Arbeit den Einkauf oder andere Besorgungen erledigen. "Gewöhnlich beobachten wir bei Frauen ein Netz verschiedener Orte, die in kurzen Abständen nacheinander angesteuert werden", sagt Sidorová.

Leider wird dieses Phänomen der vielen aufeinanderfolgenden Wege von den Stadt- und Verkehrsplanern bislang nicht ausreichend berücksichtigt, klagt Sidorová. Das sehe man an nicht aufeinander abgestimmten Taktungen von Bussen und Straßenbahnen oder an zentralen Haltestellen, an denen sich mehrere Linien kreuzen, mit langen Wegen zwischen den einzelnen Linien.

Trotzdem sieht Sidorová schon einige Verbesserungen für Frauen. Bislang war es beinahe überall erlaubt, auf dem Bürgersteig zu parken. "Das hat weitreichende psychologische Konsequenzen", meint die Stadtplanerin. Die Menschen würden solche Gehwege nach Möglichkeit meiden.

Das soll sich in den nächsten anderthalb Jahren ändern. Bratislava wird eine Parkraumbewirtschaftung einführen. Die gab es bislang noch nicht. "Es brauchte viel Vorbereitung und eine Kampagne, bevor die Stadtvertretung den Weg für die Parkraumbewirtschaftung freimachte", erzählt Peter Netri von der Verwaltung.

Für mehr Grün und weniger Parkraum

Einen Vorgeschmack auf die Vorteile des regulierten Parkens bekommen die Bratislavaer schon heute am zentral gelegenen Platz des Slowakischen Nationalaufstandes. Wo vor wenigen Monaten noch Autos parkten, zieren große orangefarbene und gelbe Kreise den Asphalt. Sie zeigen den Gehenden, dass sie sich auch jenseits des Bürgersteigs frei bewegen können – ohne heranfahrende Autos fürchten zu müssen.

Dennoch ist Milota Sidorová von dem Ergebnis wenig angetan. "Das ist kein Beispiel für eine gelungene Gestaltung", sagt sie. Nach wie vor werde der Platz von Asphalt dominiert, dabei habe die Stadt ein ernstes Problem mit Überhitzung – vor allem dort, wo Flächen derart versiegelt seien.

"Das war nur ein erster, schnell erreichbarer Zwischenschritt", meint dagegen Netri von der Stadt Bratislava. Dem Gebiet einschließlich des benachbarten Steinplatzes stünden noch größere Umbauten bevor. Zwei internationale Architekturausschreibungen seien in Vorbereitung. Mehr Grün, Aufenthaltsmöglichkeiten und Freizeitaktivitäten für die Bürger soll es geben. Und weniger Autos. In acht Jahren, so plant die Stadt, soll die Umgestaltung der beiden Plätze fertig sein.

Neues Stadtviertel wird nochmal umgeplant

Einige Kilometer weiter östlich am Rande der Altstadt sind die Bauarbeiten schon im Gange. Auf einem alten Industrieareal entsteht ein neues Dienstleistungsviertel. Twin City gilt als eines der größten innerstädtischen Umbauprojekte der vergangenen Jahre in Mitteleuropa.

Bürgermeister Vallo und sein Team haben die Entwickler dazu gedrängt, die bereits genehmigten Pläne zu überarbeiten. Zu breit waren die Straßen in den alten Plänen, zu schmal waren die Verkehrsinseln und die Gehwege für Fußgänger. Teils war die geplante Infrastruktur schon angelegt. "Die Entwickler konnten selbst sehen, dass die Verkehrsinseln nicht genügend Platz für die Fußgänger boten", sagt Netri. Deshalb wird nun auch hier der Autoverkehr zurückgedrängt – für mehr ÖPNV, Rad- und Fußverkehr.

Auch auf Unter- und Überführungen für Fußgänger soll hier verzichtet werden. Sie gelten als unsichere Orte mit höherer Kriminalität. "Die Leute meiden dunkle Orte wie Unterführungen", sagt Sidorová. Solche Elemente sollten in Städten nicht mehr gebaut beziehungsweise zurückgebaut werden.

Gut gestaltete Plätze böten den Menschen Schatten und Blickschutz, ohne sie vollständig abzuschirmen oder zu isolieren. Wenn sich mehr Frauen als Männer auf einem Platz aufhalten, ist das für Sidorová ein Zeichen von hoher Sicherheit. "Frauen entscheiden sich unbewusst eher für sichere und saubere Orte", sagt die Stadtplanerin. Noch sicherer seien nur Orte, an denen sich Kinder allein aufhielten. An ihren Bedürfnissen sollte sich die Planung deshalb ausrichten.

Redaktioneller Hinweis: Der Artikel wurde durch ein Stipendium der Internationalen Journalisten-Programme ermöglicht.

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