Es ist eine große Zahl für den Klimaschutz: 275 Milliarden Euro Fördermittel sollen über die Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) der Europäischen Union in klimabezogene Maßnahmen der Mitgliedsstaaten fließen. Das hatte zumindest die Europäische Kommission im Februar 2024 mitgeteilt.
Die Kommission verwaltet die ARF, die zu diesem Zeitpunkt insgesamt 648 Milliarden Euro umfasste. Diese Fazilität soll die 27 EU-Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, sich von der Corona-Pandemie zu erholen und ihre Widerstandskraft gegen künftige Krisen zu stärken.
Der Europäische Rechnungshof hat allerdings Zweifel daran, ob der Anteil klimabezogener Maßnahmen an den Fördermitteln tatsächlich so hoch ist, wie er von der Kommission berichtet wird. Er hat die Klimaschutz-Orientierung der Fazilität und mehrere Projekte in einigen Mitgliedsländern näher untersucht und einen Bericht dazu veröffentlicht.
Die Aufbau- und Resilienzfazilität war von der Europäischen Union im Februar 2021 als Sonderfinanzierungs-Instrument eingerichtet worden. Die hier verfügbaren umfangreichen Fördermittel sollten teilweise als nicht rückzahlbare Finanzhilfen und teilweise als Darlehen vergeben werden.
Um diese Mittel zu erhalten, sollten die Mitgliedsländer eigene Aufbau- und Resilienzpläne vorlegen. Diese Pläne mussten dann noch von der EU-Kommission bewertet und vom EU-Ministerrat genehmigt werden.
Im Falle einer Genehmigung konnten die Mitgliedsstaaten bereits 13 Prozent des ihnen zugewiesenen Gesamtbetrags als Vorfinanzierung abrufen. Um die nachfolgenden Auszahlungen zu erhalten, mussten sie bestimmte Etappenziele erreichen.
Klimaschutz-Wirkung ist eher unklar
Der größte Schwerpunkt der Fazilität liegt auf klimabezogenen Maßnahmen, in die ursprünglich 37 Prozent der Mittel fließen sollten. Gemessen an den Zahlen der Kommission vom Februar hätten sie sogar einen Anteil von 42,5 Prozent erreicht und damit das Ziel übertroffen.
Das stehe zumindest auf dem Papier, sagte Joëlle Elvinger, Mitglied des Rechnungshofs, am Mittwoch bei einer Online-Pressekonferenz. Aber in der Wirklichkeit sei das eher unklar. Der Beitrag der Fazilität und der einzelstaatlichen Pläne zum grünen Wandel könnte überschätzt worden sein.
Konkret geht es dabei zunächst um 34,5 Milliarden Euro Fördermittel. Sie sollten nach Meinung des Rechnungshofs nicht dem Klimaschutz zugerechnet werden, wie es die Kommission getan hat. Der Grund dafür ist, dass die Rechnungsprüfer die Klimabeiträge von neuen, hocheffizienten Gebäuden sowie von neuen Eisenbahnanlagen und Stromnetzen für zu hoch angesetzt halten.
Sie möchten hier stärker berücksichtigt sehen, dass auch der Bau von Niedrigstenergie-Gebäuden und Eisenbahnanlagen mit dem Ausstoß von Treibhausgasen verbunden ist. Neue Stromnetze können auch Strom transportieren, der aus fossilen Energieträgern erzeugt worden ist.
Kritisch sehen sie dabei das Bewertungssystem, mit dem die EU-Kommission den Beitrag bestimmt, den eine geförderte Maßnahme zum Klimaschutz leistet. Dabei verwendet sie sogenannte Klima-Koeffizienten: einen Koeffizienten von 100 Prozent bei Maßnahmen mit "erheblichem Beitrag" zum Klimaschutz, von 40 Prozent bei "nicht unerheblichem, positivem Beitrag" und von null Prozent bei "neutralem oder unerheblichem Beitrag".
Als Beispiel nennen die Prüferinnen und Prüfer eine Maßnahme zur besseren Wasserversorgung, auf die sie bei Stichproben gestoßen sind. Der Klimabeitrag wurde hier mit 40 Prozent angegeben. Doch die Prüfer fanden heraus, dass die Mittel in Wahrheit für Informationstechnik ausgegeben wurden, um das Versorgungssystem zu digitalisieren.
Nach Ansicht der Prüfer wäre es richtiger gewesen, dafür einen Klimabeitrag von null zu verbuchen. Um solche Fälle zu vermeiden, empfehlen sie der EU-Kommission, klimarelevante Projekte künftig detaillierter und trennschärfer zu bewerten.
Außerdem stellten sie fest, dass einige Maßnahmen zwar dem Klima nützten, aber nicht so ökologisch waren, wie es schien. Als Beispiel nennen sie den Bau eines Pumpspeicherwerks, das ihrer Ansicht nach dazu beiträgt, die biologische Vielfalt im Lebensraum Wasser zu vermindern. Dieser Verlust sei vor der Förderzusage nicht bewertet worden, kritisiert der Rechnungshof. Auch Abhilfemaßnahmen konnte er nicht entdecken.
Projektkosten werden geschätzt, nicht geprüft
Um die Klima-Ausgabenziele zu erreichen, geben die EU-Länder in ihren Plänen Kostenschätzungen an, heißt es in dem Bericht. Diese Schätzungen werden von der Kommission jedoch nur vorab geprüft.
Wenn die Projekte umgesetzt worden sind, gibt es keine Prüfung mehr. Damit unterscheidet sich die ARF-Praxis deutlich von traditionellen Finanzierungsinstrumenten der EU, bei denen nur die tatsächlich angefallenen Kosten erstattet werden.
Dabei können die realen Kosten einer ARF-Maßnahme erheblich von den ursprünglichen Schätzungen abweichen. Mitunter betragen sie sogar nur einen Bruchteil der ursprünglich veranschlagten Summe.
So hatte ein Land eine ARF-Maßnahme aufgelegt und genehmigt bekommen, um 83 Megawatt Kraftwerksleistung aus erneuerbaren Quellen zu modernisieren. Die Rechnungsprüfer stellten fest, dass tatsächlich schon 30 Prozent der genehmigten Fördermittel ausgereicht haben, um Wasserkraftwerke mit 78 Megawatt zu modernisieren. Es blieben also noch 70 Prozent der Gelder übrig, um die verbleibenden sechs Prozent erneuerbarer Kraftwerksleistung zu modernisieren.
Aus Sicht des Rechnungshofs hätte es durchaus Möglichkeiten für den betreffenden Mitgliedsstaat und auch für die Kommission gegeben, diese Tatsache aufzudecken. Dann hätte überprüft werden können, ob die vereinbarten Ziele für dieses Projekt angemessen gewesen seien, sagte Aufgabenleiterin Antonella Stasia.
Wichtige Informationen nur für Investoren
Es gibt also mitunter große Unterschiede zwischen den ursprünglich geschätzten und den später tatsächlich entstandenen Kosten eines klimabezogenen ARF-Projekts. In die Klimabilanz des ARF fließen allerdings nur die geschätzten Kosten ein. Denn die EU-Kommission überwacht die tatsächlichen Klimabeiträge der Ausgaben nicht. Sie ist nur verpflichtet, über die geschätzten Kosten zu berichten.
Dabei sieht der Rechnungshof durchaus eine Möglichkeit, auch die realen Ausgaben zu dokumentieren, die zu den Klimazielen beitragen. Denn die Mitgliedsstaaten müssen sie der EU-Kommission gegenüber angeben. Die Kommission könnte diese Informationen eigentlich dazu nutzen, zu prüfen und mitzuteilen, wie hoch die klimabezogenen Ausgaben tatsächlich ausfallen.
Dieser Empfehlung will sie allerdings nicht folgen. In einem Antwortschreiben auf den Bericht des Rechnungshofs und seine Empfehlungen erklärt die EU-Kommission, dass dafür die rechtliche Grundlage fehle:
"Die Kommission erhebt Informationen über die tatsächlichen Kosten klimabezogener Maßnahmen ausschließlich für die Berichterstattung an Investoren im Rahmen des Programms für grüne Anleihen. Die Kommission ist weder berechtigt noch ... verpflichtet, diese Informationen für weitere Berichterstattungszwecke zu verwenden."