Bis vor wenigen Monaten konnten eigentlich nur Biologen oder Sprachwissenschaftler etwas mit dem Fachbegriff Taxonomie anfangen. Doch seit die EU-Kommission ihn auch gebraucht, um Öko- von Nicht-Öko-Investitionen zu unterscheiden, ist das anders.
Und die breite Öffentlichkeit wird ihn inzwischen ganz anders übersetzen, als er ursprünglich gemeint war. Mit "Etikettenschwindel" oder "Greenwashing".
Die Brüsseler Behörde bleibt trotz teils heftiger Kritik bei ihrem Plan, die Nutzung von Atomkraft und Erdgas – zumindest unter bestimmten Kriterien – als nachhaltig einzustufen. Damit werden große Risiken völlig ausgeblendet: mögliche schwere AKW-Störfälle, die auch bei neuen Reaktoren nicht ausgeschlossen sind, die bisher ungelöste Entsorgung des Atommülls oder die fortgesetzte Abhängigkeit von Erdgasimporten.
"Do no significant harm" lautet die Regel, die die nachhaltigen Technologien eigentlich erfüllen müssen. Sie sollen "keinen nennenswerten Schaden anrichten". Das bei Atomkraftwerken und fossilem Gas zu behaupten, um Investoren dafür zu begeistern, ist schon dreist.
Die heutige Entscheidung der EU-Kommission macht klar: Es ging in diesem Fall gar nicht um eine objektive Bewertung klima- und umweltfreundlicher Technologien, sondern um Industrie- und Machtpolitik. Vor allem die Regierungen von Frankreich und Deutschland machten Druck, um ihre jeweilige Energiestrategie besser durchsetzen zu können.
Paris braucht ein positives Finanzumfeld, um die in die Krise geratene Kernkraftbranche am Leben zu erhalten. Dort werden in diesem Jahrzehnt gigantische Investitionen fällig, um den überalterten, störanfälligen AKW-Park wenigstens teilweise zu erneuern.
Berlin wiederum drückte das grüne Label für Erdgas durch, um die dort so definierte "Übergangstechnologie" inmitten des Atom- und Kohleausstiegs zu stützen.
Ja, die Ampelkoalition setzte offenbar sogar noch durch, dass die von der EU-Kommission ursprünglich geplanten relativ strengen Auflagen zur späteren Umrüstung auf Biogas und Wasserstoff abgeschwächt wurden. Ein Hammer für eine "Fortschrittskoalition".
Niemand muss in Risikotechnologien investieren
Noch gibt es die Chance, die Brüsseler Fehlentscheidung zu korrigieren. Nicht ausgeschlossen, dass das EU-Parlament diese Taxonomie noch stoppt. Hier kommt es unter anderem auf Abgeordnete der Parteien an, die in Deutschland die Ampel bilden.
Zudem wollen Österreich und Luxemburg klagen. Ihre Argumente sind nicht schlecht: Brüssel hätte zu der Taxonomie-Entscheidung ein Gesetz vorlegen müssen, nicht nur einen einfachen delegierten Rechtsakt.
Falls das alles nichts nützt, bleibt nur noch der Appell an die Investoren, selber nachzudenken. Keiner von ihnen wird schließlich gezwungen, sein Geld in Risikotechnologien zu stecken. Dann hätte der ganze Streit um die Taxonomie sogar Sinn gehabt.