Hier ist die Anlegestelle zu einem Touristenresort zu sehen. Mit Sandaufschüttungen werden unbewohnte Inseln so designt, dass sie wie das Paradies aussehen.
Anlegestelle eines der wenigen Resorts im Laamu-Atoll: Unbewohnte Inseln werden mit Sandaufschüttungen so zurechtdesignt, dass sie dem entsprechen, wie Touristen sich das Paradies vorstellen – weißer Sand, Palmen, klares Wasser, kein Müll. (Foto: Verena Kern)

Rasheed steht am Strand und deutet auf das Meer hinaus. Es ist einer der unzähligen paradiesischen Strände, für die die Malediven bekannt sind, mit weißem Sand, gesäumt von Palmen und mit einem glasklaren und wunderbar türkisfarbenen Wasser, das sofort zum Baden einlädt. Die Wellen des Indischen Ozeans rollen in der Mittagshitze träge heran, gebremst von der Riffkante, die sich wie ein Ring um die Insel legt. Maabaidhoo heißt sie und ist Teil des Laamu-Atolls, weit im Süden der Malediven gelegen. Gut 600 Menschen leben hier. "Dort", sagt Rasheed und zeigt weit hinaus aufs Wasser, "war früher der Strand".

Seit seiner Kindheit, schätzt Rasheed, sind 50 bis 100 Fuß verschwunden, 15 bis 30 Meter. Der steigende Meeresspiegel hat den Strand verschlungen. Einige Häuser stehen nun gefährlich nahe am Wasser, Umsiedlungen werden bald nötig sein.

Mitte Vierzig ist Rasheed. Der Zeitraum, von dem er spricht, umfasst gut 30 Jahre, ungefähr eine Generation. Wie die meisten Männer auf seiner Insel und auf vielen anderen Inseln des Archipels arbeitet er als Fischer. Jeden Tag spürt er, wie die Natur um ihn herum sich verändert. "Die Korallenriffe sind in schlechtem Zustand und die Fischbestände nehmen ab", sagt er. "Wir müssen immer weiter aufs Meer rausfahren, um noch etwas zu fangen."

Wir treffen Rasheed in dem schlichten Gemeindegebäude von Maabaidhoo, gleich am Hafen, wo die Schnellboote anlegen, über die auf den Malediven ein Großteil des Verkehrs innerhalb der Atolle abgewickelt wird. Vor Kurzem wurde er in den Inselrat gewählt. Für eine Amtszeit von drei Jahren muss sich der Fischer Rasheed nun um Probleme kümmern, die eigentlich kaum zu lösen sind.

"Das Schlimmste ist die Bodenerosion", sagt Ali Faisal, ein Grundschullehrer von Ende 20, der ebenfalls im Inselrat sitzt. "Wir verlieren zu viel Land." Nicht einmal einen Quadratkilometer ist die Insel groß – nur 1,5 Kilometer in der Länge und einen halben Kilometer in der Breite. Da ist jeder verlorene Meter beunruhigend.

Dabei ist Maabaidhoo nicht einmal eine Ausnahme. Die meisten Inseln der Malediven sind klein. Oft so klein, dass sich eine Besiedlung nicht lohnt. Von den 1.190 Inseln, die auf 26 Atolle verteilt den Inselstaat Malediven ausmachen, sind nur knapp 200 bewohnt. Auf 60 von ihnen leben weniger als 1.000 Menschen.

Selbst die Insel, auf der die Hauptstadt Malé errichtet wurde, ist nur fünf Quadratkilometer groß. Ein Drittel der rund 400.000 Malediver lebt hier. Das macht Malé zur am dichtesten bevölkerten Stadt der Welt.

Hochhaus steht hier an Hochhaus, die Straßen sind so eng, dass oft nur Einbahnstraßenverkehr möglich ist. Der Flughafen der Stadt ist auf einer vorgelagerten Insel untergebracht, man muss mit einer Fähre oder einem Schnellboot übersetzen. Weitere vorgelagerte Inseln werden als "Industrial Islands" genutzt, zu denen auch die berüchtigte Müllinsel Thilafushi gehört.

Die Müll-Insel

Ursprünglich war Thilafushi eine Lagune. Von Beginn der 1990er Jahre an wurde sie mit Müll befüllt. Nun türmt sie sich als künstliche Insel auf, geschaffen aus dem Abfall eines aufstrebenden Landes. Immer wieder fängt der Müll von allein Feuer und hüllt die Insel in beißenden Qualm, sodass Thilafushi bisweilen auch als "Müll-Hölle" bezeichnet wird.

Um die Größenverhältnisse deutlich zu machen: Die größte zusammenhängende Insel der Malediven ist Gan mit 18 Kilometern Länge. Auch sie gehört zum Laamu-Atoll im Süden des Archipels.

Durch die vielen kleinen Inseln verfügt der Zwergstaat Malediven über 640 Kilometer Küstenlinie, so viel wie das über 30-mal größere Zypern. Doch da sich keine der maledivischen Inseln mehr als 1,50 Meter über den Meeresspiegel erhebt, bringt die besondere Geografie des Landes auch besondere Risiken mit sich. Überall an den 640 Kilometern Küste nagt das steigende Meer an den Stränden, überall sind Verluste zu verzeichnen.

"Wir würden gern Sandbänke aufschütten und unsere Strände schützen", sagt Faisal vom Inselrat. "Doch das können wir uns nicht leisten, uns fehlt das Geld."

Mit steigenden Temperaturen steigt auch der Meeresspiegel. Da sind zum einen die schmelzenden Polkappen, die Gigatonnen von Süßwasser in die Ozeane entlassen. Und da ist zum anderen die Erwärmung der Ozeane, durch die sich das Wasser ausdehnt und die Pegel nach oben treibt.

Rund drei Millimeter steigt der Meeresspiegel derzeit pro Jahr. Genauer gesagt, so war es in den letzten 25 Jahren. Die Auswertung von Satellitenmessungen zeigte aber erst jüngst, dass sich der Anstieg von Jahr zu Jahr beschleunigt. Hält die Beschleunigung an, könnte das bedeuten, dass das Meer Ende des Jahrhunderts um zehn Millimeter jährlich ansteigt.

In einem Jahrzehnt wären das dann nicht mehr drei Zentimeter Anstieg, sondern zehn. Für tief liegende Inselstaaten wie die Malediven ist das keine gute Nachricht.

Hier ist der Inselrat von Maabaidhoo Island zu sehen. Die Männer zeigen die Tanks, mit denen Regenwasser gespeichert wird, damit die Wasserversorgung auch in der Trockenzeit sicher ist.
Rasheed (links), Ali Faisal (rechts) und ein weiteres Mitglied des Inselrats von Maabaidhoo zeigen die Tanks, in denen Regenwasser gespeichert wird, damit auch in der Trockenzeit noch etwas da ist. Die Tanks wurden mit UN-Geldern finanziert. (Foto: Verena Kern)

Doch der Klimawandel ist keineswegs das einzige Problem, mit dem Rasheed, Faisal und die anderen Bewohner des Archipels zu kämpfen haben. Die bedrohlichen Folgen der Erderwärmung sind nur ein Teil der Geschichte. Es gibt noch eine andere.

Sie handelt vom achtlosen Umgang mit der Natur, von gigantischen Infrastrukturprojekten, die wirtschaftliche Entwicklung bringen sollen, und von fehlendem Umwelt- und Klimaschutz. Es ist die Geschichte, wie der Mensch eine schlechte Situation durch eigenes Zutun noch schlimmer macht.

Wir durchqueren mit Rasheed und Faisal die Insel und stehen nun an einem Ort, der trostloser kaum sein könnte. Hier, fernab der Wohnbebauung, soll bald der Müll der Insel entsorgt werden. Das Gebäude steht schon, finanziert mit UN-Geldern.

Sobald es losgeht, wird hier Müll gesammelt und sortiert, damit zumindest ansatzweise ein vernünftiger Umgang mit den Abfallbergen der Insel möglich wird. Auf einer Nachbarinsel gibt es das schon, ebenfalls mit UN-Geldern finanziert.

Bislang wird der Müll einfach auf den Boden geworfen. Er ist überall. An jedem Weg, unter jeder Palme, an jedem Strand. "Früher war das normal", sagt Abdul Shareef, den wir am nächsten Tag auf der Insel Fonadhoo treffen, wo die Inselverwaltung sitzt. Shareef ist Anfang 30 und seit dem letzten Sommer Präsident des Atoll-Rats. Auch er ist Lehrer.

"Unsere Eltern und Großeltern haben es uns so vorgemacht", sagt Shareef. Damals war das kein Problem. Der Müll war organisch, man konnte ihn wegwerfen, ohne sich Gedanken zu machen. Er blieb liegen und verrottete. Doch der zunehmende Wohlstand der Malediven hat auch immer mehr Wohlstandsmüll mit sich gebracht, vor allem Plastikmüll.

Bis Anfang 2011 gehörten die Malediven zu den ärmsten Ländern der Welt, den Least Developed Countries (LDCs). Kaum einer der knapp 50 Staaten dieser Gruppe hat es bislang geschafft, sich aus dem Status "Vierte Welt" zu befreien. Die Malediven sind eine Ausnahme. Durch den Tourismus gelang dem Land ein rasanter Aufstieg innerhalb kürzester Zeit.

Tourismus-Wirtschaft

Der Tourismus steuert ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Malediven bei, mehr als jeder andere Sektor. Rund 1,5 Millionen Touristen kommen pro Jahr. Die Regierung möchte diese Zahl jedoch verfünffachen.

Für die Resorts werden die unbewohnten Inseln genutzt, sodass Besucher und Einheimische getrennt bleiben. Knapp 100 Inseln sind bislang für den Tourismus erschlossen.

Die Weltbank rechnet die Malediven nun zu den "Upper Middle Income"-Ländern. Alle wirtschaftlichen Indikatoren zeigen seit zehn bis 15 Jahren steil nach oben.

Die Entwicklung hat aber auch ihren Preis. Der allgegenwärtige Plastikmüll ist nur das sichtbarste Zeichen. Bitter daran ist, dass leere Plastikflaschen eine ideale Brutstätte für die Moskitos sind, die Denguefieber übertragen. Die gefährliche Krankheit wird sich mit zunehmender Erderwärmung voraussichtlich weiter ausbreiten.

"Wir müssen umdenken, ein Bewusstsein schaffen", sagt Shareef vom Atoll-Rat. Eine Umweltaktivistin erzählt uns später in der Hauptstadt Malé, dass die Zentralregierung Anfang März die Benutzung von Einwegplastikflaschen in allen Schulen verboten hat. Doch im entlegenen Laamu-Atoll lässt sich das noch nicht umsetzen. "Wir würden gern Mehrwegflaschen verteilen", sagt Shareef. "Doch uns fehlt das Geld."

Ohne UN-Gelder hätte sich auch Rasheeds Insel noch nicht aufgemacht, das Müllproblem zu lösen. Von der Zentralregierung kommt wenig Unterstützung. Sie finanziert die Gehälter der Inselräte, viel mehr ist nicht drin.

Hinter dem künftigen Recyclinghof kann man sehen, dass Müllsammeln nur ein erster Anfang sein kann. Ein Strand ist kaum noch vorhanden, es gibt praktisch keinen Sand mehr. Er wurde weggespült vom Meer, das an dieser Stelle einem braunen morastigen Tümpel mit unzähligen toten Korallen gleicht.

"Die Leute haben die Mangroven abgeholzt", sagt Rasheed. "Sie brauchten Feuerholz." Mangroven sorgen nicht nur für Schutz vor Überflutungen an tropischen Küsten. Sie verhindern auch die Bodenerosion. Ohne Mangroven reißt das Meer die Strände einfach weg.

Zurück bleibt eine tote, leere Landschaft. Nur einige Kokospalmen stehen noch da. Doch auf dem erodierten Boden können sie sich nicht halten. "Jeden Monat", sagt Rasheed, "fallen ein bis zwei Palmen um." Sie liegen nun auf dem Strand oder hängen schief nur einige Meter über dem anbrandenden Meer, mit halb freigelegten Wurzelballen.

Hier ist eine tote Kokospalme zu sehen. In dem erodierten Boden können sich die Bäume nicht mehr halten und werden entwurzelt.
Bodenerosion: Hinter der künftigen Müllsammelstelle von Maabaidhoo Island ist der Strand nur noch ein morastiger Tümpel. Da die Mangroven abgeholzt wurden, wird der Boden vom Meer weggespült und die Kokospalmen werden entwurzelt. (Foto: Verena Kern)

Und auch die Erneuerung der Hafenanlage, die Maabaidhoo kürzlich vorgenommen hat, hat weiter reichende Folgen. Weil eine vorgelagerte Steinmauer verstärkt wurde, haben sich die Strömungen im Meer verschoben. An bestimmten Stellen der Insel wird nun mehr Sand weggespült, zusätzlich zu den Verlusten durch den steigenden Meerespegel.

Selbst die Fischerei, von der die Inselbewohner hauptsächlich leben, wird alles andere als nachhaltig betrieben und verschlimmert so die Lage.

Nachts fährt Rasheed mit zehn anderen Fischern hinaus aufs Meer. Sie sind auf Köderfisch aus, der in den Korallenriffen lebt. Doch die Bestände haben stark abgenommen. "Viele Fischer sind zu Geld gekommen", sagt Rasheed. "Sie kaufen größere Boote und fischen damit das Meer leer."

Mit Scheinwerfern locken die Männer den Köderfisch ins Netz. Im Morgengrauen wird damit der Thunfisch geangelt. Doch die Fischer helfen auch anderweitig nach. Sie tauchen in die Riffe und schlagen auf die Korallen, um den Köderfisch hervorzulocken. "Ja", sagt Rasheed, "auch das macht die Korallen kaputt."

Auch der Bestand an Thunfisch ist geschrumpft. Oft sind es nur noch Jungtiere, die gefangen werden, bevor sie sich vermehren können. So gerät das Ökosystem noch mehr aus dem Gleichgewicht.

Nur 150 Kilo Fisch haben Rasheed und seine Leute in dieser Nacht aus dem Meer geholt. Die staatliche Fischfabrik Mifco verlangt aber eine Mindestmenge von 500 Kilo. Die Männer legen den gefangenen Fisch auf Eis und versuchen in der folgenden Nacht wieder ihr Glück. Für ein Kilo zahlt Mifco einen Dollar. Die private Fischfabrik würde den Fang abnehmen, aber weniger zahlen. Das lohnt sich kaum, weil die Hälfte der Einnahmen an den Bootsbesitzer gezahlt werden muss.

Shareef vom Atoll-Rat kennt die Probleme. Eine Lösung hat auch er nicht. "Vielleicht", sagt er, "sollte man die Zahl der bewohnten Inseln reduzieren". Er meint damit nicht nur das Laamu-Atoll mit seinen 73 Inseln, von denen nur elf bewohnt sind. Er meint die Malediven insgesamt.

"Wir müssen uns entscheiden, welche der rund 200 bewohnten Inseln wir entwickeln wollen", fordert er. "Gan als größte Insel wäre ideal", sagt er. "Immerhin ist die Hauptinsel Malé viermal kleiner als Gan, und Malé ist schon überbevölkert."

Hier ist Plastik- und Elektromüll zu sehen, achtlos zwischen die Palmen am Strand geworfen.
Plastik, Elektroschrott und so weiter: An manchen Stellen ist der Müll schon Teil der Landschaft geworden und wird von der Natur überwuchert. (Foto: Verena Kern)

Für das Laamu-Atoll wäre Shareefs Idee ein Segen. Geld würde dann nicht nur in die Hauptstadtregion fließen, sondern auch in die entlegeneren Gebiete des Inselstaats. Dann könnte sich der Präsident des Atoll-Rats daran machen, Lösungen zu finden, anstatt nur die Misere zu verwalten.

Doch dazu wird es nicht kommen. Die Zentralregierung in Malé hat längst andere Pläne für die Zukunft des Landes. Mit großem Aufwand werden sie bereits in die Tat umgesetzt. Es sind gigantische Infrastrukturprojekte, die den kleinsten Staat Asiens in die Liga der reichen Länder katapultieren sollen. Ein vervielfachter Ausstoß an Klimagasen ist dabei fest einkalkuliert.

Redaktioneller Hinweis: Die Reportage-Reise wurde durch die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen unterstützt.

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