Das Jahr 2020 könnte der Welt einen neuen Temperaturrekord bescheren. Das liegt nicht nur an der fortschreitenden globalen Erwärmung.
Eine deutsch-israelische Forschergruppe hat unlängst vorausgesagt, dass im Herbst und Winter ein neuer El Niño auftreten könnte – jenes Wetterphänomen im tropischen Pazifik, bei dem die Oberflächentemperaturen dieses Ozeans in einem großen Gebiet ungewöhnlich erhöht sind. Die Folgen wären wie immer dramatisch bei dieser Klima-Anomalie, vor allem für Länder in Südamerika und Afrika, für Australien, Indien und Indonesien.
Die Hitze im Pazifik treibt in El-Niño-Jahren die globale Durchschnittstemperatur zusätzlich nach oben, so wie zuletzt 2016, das als bisher wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts in die Annalen eingegangen ist. 2020 – oder aber 2021 – könnte, falls die Prognose stimmt, 2016 also toppen.
Der El Niño hat es in sich. El Niño heißt auf Spanisch "der Junge", angespielt wird damit auf das Christkind, weil das Phänomen immer seinen Höhepunkt in der Weihnachtszeit erreicht, mit freilich ungeliebten Geschenken im Gepäck.
El-Niño-Ereignisse entstehen alle zwei bis sieben Jahre. Normalerweise wehen ganzjährig Passatwinde von Ost nach West. Die sorgen dafür, dass sich Wärme unterhalb der Oberfläche des äquatorialen Pazifik ansammelt. Ist genügend Wärme vorhanden, gelangt sie zuerst im Osten an die Meeresoberfläche des Pazifik und verdrängt dort das kühle Wasser aus dem Humboldtstrom. Dadurch schwächen sich die Passate ab, es gelangt immer mehr Wärme an die Oberfläche und die Winde wehen noch schwächer.
Fischsterben, Extremwetter, Ernteausfälle
Die Sache eskaliert meist just vor Weihnachten: Die Temperaturen im Wasser vor der Küste Perus sind dann ungewöhnlich hoch, während sich umgekehrt das Wasser vor Australien und Indonesien leicht abkühlt.
Die Folgen sind auf allen Anrainer-Kontinenten verheerend. Am bekanntesten sind die Auswirkungen für die Fischereiindustrie an Südamerikas Westküste, vor allem in Peru. Die Fischer fangen kaum noch etwas, denn die Fischschwärme sind wegen des geringen Nahrungsangebots in andere Meeresgebiete abgewandert oder sogar verhungert. Zudem kommt es in den Küstenregionen häufig zu massiven Niederschlägen, dadurch zu Erdrutschen und Überflutungen.
An der Ostküste Afrikas sowie in Australien und Indonesien besteht hingegen ein erhöhtes Risiko für Dürren und Waldbrände. In Indien wiederum kann sich der Verlauf des Monsuns ändern, weswegen Hungersnöte drohen. Was die El-Niño-Ereignisse im Wechselspiel von Atmosphäre und Ozean im Pazifik genau auslöst, ist nicht hundertprozentig klar. Es seien noch nicht alle Prozesse verstanden, räumen Klimaforscher ein.
Simulationen mit Klimamodellen deuteten allerdings bereits in den 2000er Jahren an, dass die El-Niño-Ereignisse bei einem ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen häufiger und intensiver werden könnten – ein mögliches Kippelement im globalen Klimasystem, angetrieben durch eine ungleichmäßige Erwärmung des Pazifik, besonders stark im Osten des Meeres, deutlich weniger stark im Westen.
La Niña und "Super-El-Niño"
Außerdem befürchten Klimaforscher eine Verstärkung der "Klimaschaukel" von Jahr zu Jahr, die von den El Niños und ihrem Gegenstück, den "La Niñas", gebildet wird.
Während eines La-Niña-Ereignisses – La Niña ist spanisch für "das Mädchen" – verstärken sich die natürlichen Temperaturunterschiede im tropischen Pazifik mit der Ausbildung einer weit nach Westen reichenden "Kaltwasserzunge". Folgen dieses Phänomens sind höhere Niederschläge in Teilen Südostasiens, während es im westlichen Südamerika ungewöhnlich trocken ist.
Tatsächlich gibt es Hinweise, dass die El Niños in den letzten Jahrzehnten heftiger geworden sind. Forscher der Universität im australischen Melbourne stellten das 2019 in einer Untersuchung fest, für die sie Daten aus 400 Jahren Klimageschichte ausgewertet hatten. Sie benutzten dazu Bohrkerne von Korallenriffen aus verschiedenen Pazifik-Regionen, deren Wachstumsmuster sich wie Baumringe lesen lassen und damit Aufschluss über die Häufigkeit und Stärke der El Niños geben.
Besonders stark waren danach drei dieser Ereignisse in den letzten vier Jahrzehnten – die "Super-El-Niños" von 1982/83, 1997/98 und 2015/2016. Bei letzterem erwärmte sich das Wasser im Pazifik großflächig um bis zu drei Grad, während es bei durchschnittlichen El Niños nur rund 1,5 Grad sind.
Die Super-Ereignisse brachten weltweit das Wettergeschehen durcheinander und forderten viele Opfer und Sachschäden, 1997/98 zum Beispiel 23.000 Tote und Kosten von geschätzt 33 Milliarden US-Dollar. Allerdings gab es einen so starken El Niño auch schon Ende des 19. Jahrhunderts.
Klimamodelle noch zu ungenau
Ob es in Zukunft einen Trend zu intensiveren El Niños geben wird, ist unklar. Die Klimaforscher sind sich uneins. "Die Streuung in den verschiedenen Klimamodellen ist sehr breit", erläutert der Kieler Klimaforscher Mojib Latif. "In einigen kommt es zu stärkeren El Niños, in anderen zu schwächeren, wieder andere zeigen gar keine Veränderungen."
Dass die Gefahr stärkerer Ausprägungen besteht, unterstreicht aber der Professor vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, kurz Geomar. In dem von den Kieler Wissenschaftlern benutzten Modell habe sich jedenfalls gezeigt, "dass die Erderwärmung besonders starke El-Niño-Ereignisse noch weiter intensivieren kann".
Serie: Kippelemente
Werden die Kippelemente im Klima- und Erdsystem ausgelöst, kann es zu Kettenreaktionen kommen, durch die sich die Erderwärmung unkontrollierbar verstärken würde. Wissenschaftler haben 16 Kippelemente identifiziert, die sogar für ein Ende der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, sorgen könnten. Wir stellen sie in einer Serie vor.
Vorsichtig ist Latif auch in Bezug auf die aktuellen Prognosen des deutsch-israelischen Wissenschaftlerteams, das die Wahrscheinlichkeit für ein El-Niño-Jahr 2020 mit 80 Prozent angibt.
Die Experten haben dafür einen Algorithmus entwickelt, mit dem die Lufttemperaturen im Pazifikraum analysiert werden. Dieser mache eine Vorhersage deutlich früher als bisher möglich, während die konventionellen Methoden allenfalls sechs Monate Vorwarnzeit erlaubten, erläutert der Gießener Physikprofessor Armin Bunde, der an der Studie beteiligt war.
Latif hofft zwar, dass die Kollegen mit der neuen Methode erfolgreich sind, denn frühe Vorhersagen erleichtern die Vorkehrungen gegen Dürren oder Überschwemmungen. Aber er erinnert an das Jahr 2014. "Da sah es auch nach einem starken El Niño aus. Doch dann gab es unerwartete Störungen in der Atmosphäre, die das komplett ausgehebelt haben." Die Krise kam dann ein Jahr später.