Bahnfahren soll preiswerter werden. Einen Vorstoß dazu hat der SPD-Vize und hessische Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel unternommen. Er fordert, "auch Fernfahrten auf der Schiene mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen". Die Senkung von 19 auf sieben Prozent sei ein wichtiger Schritt, um das Ziel einer Verdoppelung der Zahl der Bahnkunden bis 2030 zu erreichen, das sich im Koalitionsvertrag von Union und SPD im Bund findet.
Bisher ist im Fernverkehr ab 50 Kilometer der normale Mehrwertsteuersatz fällig, was die Tickets deutlich verteuert. Im Nahverkehr hingegen gilt der ermäßigte Satz. Die Fernverkehrstickets würden durch die Umstellung um gut zehn Prozent billiger.
Um Fernreisen mit der Bahn attraktiver zu machen, müssten entsprechende Anreize geschaffen werden, meint Schäfer-Gümbel, der als SPD-Bundesvize für Steuer- und Verkehrspolitik zuständig ist. "Dazu gehört neben hohen Standards bei Pünktlichkeit und Komfort auch der wirtschaftliche Aspekt: Es muss für die Kundinnen und Kunden finanziell von Vorteil sein, die Bahn zu nehmen statt des Autos oder des Flugzeugs."
Dazu brauche es eine Kostenentlastung, die sich mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz erreichen lassen könnte. "Das würde den Prognosen zufolge zu einer Zunahme beim Schienenverkehr führen." Experten erwarten, dass die Verbilligung je nach Strecke bis zu fünf Prozent mehr Fahrgäste bringen könnte. Die Passagierzahlen der Bahn steigen zwar seit einigen Jahren an, doch ohne neue Maßnahmen ist eine Verdopplung bis 2030 nicht drin.
Allerdings will die Bahn selbst mehr Kunden mit neuen Angeboten locken, wie diese Woche bekannt wurde. So sollen ab August unter anderem sogenannte "Super Sparpreis"-Fahrkarten ab 19,90 Euro dauerhaft, wenn auch in begrenzter Stückzahl, angeboten werden – als dritte Kategorie neben "Flexpreis" und "Sparpreis", so berichten Medien.
CO2-Ausstoß im Verkehr steigt
Eine Absenkung der Mehrwertsteuer für die Fernverkehrstickets wird auch von Fahrgast- und Umweltverbänden unterstützt – als ein Mittel, um mehr Reisende zum Umstieg auf die Bahn zu motivieren und so die verheerende Klimabilanz des Verkehrs zu verbessern. Der CO2-Ausstoß in diesem Sektor ist seit 1990 nicht gesunken und zuletzt sogar wieder angestiegen.
Neu ins Gespräch gebracht hat den Vorschlag jetzt der Arbeitskreis "Innovative Verkehrspolitik" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, und zwar auch als Mittel, um die zu hohe Luftbelastung durch den Pendlerverkehr in den Großstädten zu verringern – siehe Dieselgate. "Die Absenkung wäre ein Beitrag, um die Preise zu senken und den Pendlern den Umstieg auf Bus und Bahn schmackhaft zu machen", so das Argument. Die Experten verweisen darauf, dass sich Bahnen und Busse in den vergangenen Jahren stärker verteuert haben als der Autoverkehr.
Zwar spielt sich der überwiegende Teil des Pendlerverkehrs im 50-Kilometer-Radius um die Großstädte ab, in dem der ermäßigte Steuersatz gilt. Doch nehmen die Pendlerdistanzen seit Jahren deutlich zu, wie etwa aus einer jüngst vorgestellten Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg hervorgeht.
Die aktuelle Gesetzeslage führt dazu, dass das Ticket des Pendlers, der 50 Kilometer unterwegs ist, nur einen Steueraufschlag von sieben Prozent ausweist, ab 51 Kilometer aber 19 Prozent fällig werden. "Das ist offensichtlich unsinnig", meint der Kasseler Verkehrsprofessor Helmut Holzapfel, einer der Leiter des Stiftungs-Arbeitskreises.
Auch in einem Gutachten zum "Verkehrsverlagerungspotenzial auf den Schienenpersonenverkehr in Deutschland", das das Bundesverkehrsministerium 2016 herausbrachte, heißt es: "Die Trennung von Nah- und Fernverkehr bei einer Grenze von 50 Kilometern ist willkürlich und heute mit den geänderten Lebensbedingungen nicht mehr vereinbar."
Finanzministerium reagiert reserviert
Mit einer Vereinheitlichung der Steuersätze könne "das Steuerrecht vereinfacht werden und ein Signal zur Lenkungswirkung zugunsten der Schiene gesetzt werden", schreiben die Experten. Freilich haben sich weder der frühere Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, noch sein Amtsnachfolger Andreas Scheuer (beide CSU), dafür starkgemacht.
Im Finanzministerium gibt man sich in Bezug auf den aktuellen Vorstoß zunächst vorsichtig. Er betreffe "ein wichtiges Thema", nämlich die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personenverkehrs, heißt es zwar auf Anfrage im Haus von Olaf Scholz (SPD). Allerdings: Die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes sei im Groko-Vertrag unter den Maßnahmen zur Stärkung des Schienenverkehrs nun einmal nicht genannt.
Zudem gebe es ein weiteres Problem – es drohten "erhebliche steuerliche Mindereinnahmen". Außerdem sei unklar, ob der niedrigere Satz dann nicht auch für Flugreisen gewährt werden müsse. Bei Flugtickets im innerdeutschen Verkehr fallen 19 Prozent an, auf internationalen Strecken ist der Steuersatz hingegen null.
Ein EU-Vergleich zeigt allerdings, dass eine ganze Reihe andere Länder den Bahnverkehr generell steuerlich viel besser stellt als Deutschland. So wird in Großbritannien, Irland und Dänemark auf Bahntickets überhaupt keine Mehrwertsteuer erhoben. Weitere zwölf Länder, darunter Frankreich, Italien und Spanien, liegen zwischen drei und zehn Prozent. Ähnlich stark wie Deutschland im Bahn-Fernverkehr oder sogar noch stärker langen nur osteuropäische Länder wie Bulgarien, Litauen oder Ungarn zu.
Noch eindeutiger ist die Lage im grenzüberschreitenden Verkehr – hier wenden sogar 19 der 28 EU-Länder den Nullsatz an, weitere sechs Länder ermäßigte Sätze. Für deutsche Bahntickets hingegen fallen bis zur Grenze die vollen 19 Prozent an. Der Lobbyverband "Allianz pro Schiene" sieht die positiven Beispiele aus den anderen EU-Ländern denn auch als klaren Beleg dafür, "dass auch Deutschland die umwelt- und klimafreundliche Bahn stärker fördern könnte", so deren Verkehrspolitik-Referent Martin Roggermann.
"Heute ist die Kassenlage besser"
Die Mindereinnahmen für den Bundeshaushalt durch eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes im Fernverkehr werden auf rund 500 bis 600 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Verkehrsforscher Holzapfel meint, dieses Minus sei angesichts der guten Steuereinnahmen des Bundes gut zu verkraften. "Zudem ist diese Maßnahme sozialer als eine Absenkung der Einkommenssteuer, und sie entspricht voll den verkehrs-, umwelt- und klimapolitischen Zielen aus dem Groko-Vertrag."
Schützenhilfe erhält er übrigens vom früheren Finanzminister Hans Eichel (SPD), der heute Beiratsvorsitzender des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) ist und sich für eine umweltorientierte Neujustierung des Steuer- und Abgabensystems einsetzt. Es spreche einiges dafür, die Bahn mit dieser Maßnahme attraktiver zu machen, sagte er Klimareporter auf Anfrage.
Zu seiner Amtszeit hatte Eichel selbst den Plan der damaligen rot-grünen Bundesregierung, die Mehrwertsteuer im Bahn-Fernverkehr abzusenken, erfolgreich abgewehrt. Damals hätten die Finanzen des Bundes das nicht erlaubt, so Eichel. Er wolle der aktuellen Politik zwar keine Ratschläge erteilen, aber: "Heute ist die Kassenlage deutlich günstiger."