Blick auf die nächtliche Hauptstadt Vietnams, Ho-Chi-Minh-Stadt
Woher soll künftig die Energie kommen? Vietnam hat noch keine Antworten: Blick auf Ho Chi Minh City bei Nacht. (Foto: Chris Jones/​Flickr)

47 Entwicklungsländer wollen in den nächsten drei Jahrzehnten ihre Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen. Mit dieser Ankündigung sicherten sie sich die Schlagzeilen am letzten Tag der Klimakonferenz in Marrakesch.

Die 47 Länder sind besonders verletzlich gegenüber den Folgen des Klimawandels und haben sich daher im "Climate Vulnerable Forum" (CVF) zusammengeschlossen. "Unsere Länder liegen an der Klima-Front und wir werden die Auswirkungen des Klimawandels überproportional zu spüren bekommen", schreibt das CVF.

Nun wollen die verletzlichen Länder auch etwas gegen den Klimawandel unternehmen. Damit stahlen sie Deutschland, den USA, Mexiko und Kanada die Show. Diese vier Staaten hatten in Marrakesch jeweils einen nationalen Klimaplan für das Jahr 2050 vorgelegt und dafür viel Lob bekommen.

Einen Kohleausstieg sucht man in den Klimaplänen allerdings vergebens. Kanada kündigte das Ende seiner Kohleverstromung für das Jahr 2030 nach der Marrakesch-Konferenz an. Auf die Frage, ob die CVF-Staaten Deutschland überholt hätten, antwortete Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im Interview: "Es ist doch so, dass die meisten dieser Länder gar keine Kohlekraftwerke haben! Sie steigen nicht aus der Kohle aus, sie steigen nur nicht ein."

Doch das trifft nicht auf alle 47 Länder zu. Sechs davon haben derzeit Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von zusammen 25.000 Megawatt am Netz. Das entspricht 25 großen Kohlekraftwerken. Im Bau befinden sich weitere 23.000 Megawatt, in Planung sind sogar 80.000 Megawatt.

Würden alle diese Kraftwerke tatsächlich gebaut, hätten am Ende 14 der 47 Länder Kohlekraftwerke, also rund ein Viertel. Die Ankündigung der CVF-Staaten ist daher durchaus bedeutsam: Wenn die Länder ihrer Ankündigung Taten folgen lassen, müssen sie in den nächsten beiden Jahren Pläne vorlegen, wann die bestehenden Kohleblöcke abgeschaltet werden und wie die Länder ohne die geplanten Kohlekapazitäten auskommen.

Eine besondere Herausforderung wird dies für Vietnam und die Philippinen. Bangladesch und die Mongolei müssen hingegen nur auf ihre geplanten Kraftwerke verzichten.

Vietnam ist unter den CVF-Staaten der Spitzenreiter bei der Kohleverstromung mit einer Kapazität von 13.000 Megawatt – rund einem Viertel der deutschen Kohleleistung. In Bau und Planung ist aber noch viel mehr: insgesamt 47.000 Megawatt. Der Chef der Weltbank Jim Yong Kim warnte denn auch in deutlichen Worten, was dies für die Welt bedeutet: "Wenn Vietnam mit (dem Neubau von) mehr als 40.000 Megawatt Kohle weitermacht, wenn die ganze Region ihre Pläne umsetzt – das wäre ein Desaster für uns und unseren Planeten."

Noch scheint Vietnam aber hin- und hergerissen bei seiner Energiepolitik. Im Januar dieses Jahres hatte der damalige vietnamesische Ministerpräsident Nguyen Tan Dung eigentlich angekündigt, er würde "jedes neue Kohlestromprojekt stoppen". Doch im Mai musste Dung zurücktreten. Sein Nachfolger bestätigte den weiteren Ausbau der Kohle – um nun im Rahmen des CVF erneut den Ausstieg anzukündigen.

Ein Grund dafür könnten die Kohleimporte und -exporte sein. Vietnam war stets ein Kohleexporteur. Doch dieses Jahr muss das Land zum ersten Mal Kohle importieren. Für eine weitere Volte in der Kohlepolitik könnte die Atompolitik sorgen. Gerade hat das vietnamesische Parlament beschlossen, auf den Bau der ersten beiden Atomkraftwerke zu verzichten. "Atomstrom ist nun weniger wettbewerbsfähig als Strom aus anderen Quellen", sagte Duong Quang Tanh, der Chef des nationalen Stromkonzers. Vor allem Kohle sei günstiger als zur Zeit der Planung für die Atomreaktoren.

Umwelt- kontra Energieminister

Ebenso unklar ist die Situation auf den Philippinen. "Warum sollte ich mehr Kohlekraft bewilligen?", fragte Umweltministerin Gina Lopez im Juli dieses Jahres. "Warum sollten wir uns auf eine Energie festlegen, die keine Zukunft hat?"

Alle Beiträge zur COP 22 in Marokko
finden Sie in unserem Marrakesch-Dossier

Der Energieminister des Landes sieht dies allerdings anders. "Die Zeichen der Zeit sagen uns, dass Kohle bleiben wird", sagte Alfonso Cusi kürzlich und erklärt das Problem: "Wir sehen uns einem 'Energie-Trilemma' gegenüber: Wir haben die schwierige Aufgabe, eine Balance zu finden zwischen Versorgungssicherheit, ökologischer Nachhaltigkeit und ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit." Trotz der CVF-Ankündigung scheint also auch auf den Philippinen das letzte Wort über die zukünftige Energiepolitik noch nicht gesprochen.

Damit die 47 klimaverletzlichen Länder ihren Plan einer komplett erneuerbaren Stromversorgung umsetzen können, kann Deutschland helfen. In Marrakesch hat Hendricks zusammen mit Marokko eine neue Initiative aus der Taufe gehoben: die NDC-Partnerschaft.

NDCs sind die nationalen Klimapläne der Länder, und Deutschland will hier Entwicklungsländern helfen, möglichst klimafreundliche Pläne zu entwickeln. Hilfreich wäre dabei sicher, wenn Deutschland bereits auf eigene Erfahrung mit dem Kohleausstieg zurückgreifen könnte. Doch die deutsche Regierung wähnt sich offenbar vor einem Kohle-Dilemma. Einerseits ist klar, dass der Ausstieg kommt. Andererseits sind nächstes Jahr Bundestagswahlen. So hat jeder seinen eigenen Zielkonflikt beim Klimaschutz.  

Anzeige