Kohlekraftwerk in den USA.
Ein Kohlekraftwerk im US-Bundesstaat Arizona. (Foto: John Fowler/​Snowpeak/​Wikimedia Commons)

Klimareporter: Frau Hitt, ein Weltklimavertrag ist zum Greifen nahe – nicht zuletzt dank der treibenden Kraft von US-Präsident Barack Obama. Wäre die Situation ohne die "Beyond Coal"-Kampagne Ihrer Organisation jetzt eine andere?

Mary Anne Hitt: Ohne die Kampagne wären wir nicht in dieser Position. Ich denke, Obama würde als Person immer noch beim Klimaschutz führen wollen. Aber er müsste sich viel stärker als jetzt mit einem mächtigen Gegner auseinandersetzen: der Kohleindustrie.

Der Grund, warum Obama seinen Clean Power Plan und jetzt auch die Verhandlungen vorwärtstreiben kann, liegt darin, dass wir nicht mehr so stark von der Kohle abhängen. Die Kraft der Graswurzel-Bewegung hat das möglich gemacht.

184 geplante Kohlekraftwerke wurden in den USA zurückgezogen, 205 bestehende sollen abgeschaltet werden. Wie haben Sie dem nachgeholfen?

Für den Bau von neuen Kohlekraftwerken sind Genehmigungen notwendig: für die Landnutzung, die Luftbelastung, die Gewässergüte. Wir mussten also jeweils eine dieser Genehmigungen verhindern – entweder mit juristischen Mitteln oder mit politischem Druck. Wir nutzen alle Werkzeuge der Demokratie – Gerichtsverfahren, Organisation, Lobbying.

War der Einstieg von Michael Bloomberg, dem früheren New Yorker Bürgermeister, im Jahr 2011 der Wendepunkt für den Erfolg der Kampagne?

Ja. Er gab uns die Ressourcen, die wir brauchten: 50 Millionen Dollar zunächst. Er hob die Kampagne auf ein landesweites Niveau. Uns kannte vorher kaum jemand, obwohl wir all die Kohlekraftwerke verhindert hatten! Bloomberg ist außerdem ein Geschäftsmann – und damit ein unüblicher Alliierter für Umweltschützer.

Er war von Anfang an sehr direkt: Wir müssen die Kohle in den USA loswerden, weil wir im 21. Jahrhundert keine Energieversorgung mehr brauchen können, die Menschen umbringt, sagte er. Mein erster Eindruck war: Was für ein Kämpfer, wie kühn, wie aggressiv!

Der Sierra Club hat ein neues Ziel ausgegeben: die Kohlekraft bis zum Jahr 2025 um die Hälfte zu reduzieren. Was macht Sie so sicher, dass Sie das erreichen können?

Wir haben die Strategie geändert, weil wir heute mehr Erfahrung haben. Wir haben heute ein Drittel weniger Kohlekraftwerke als noch vor ein paar Jahren. Außerdem gelten die neuen Regeln der US-Umweltbehörde für Quecksilber, Flugasche und Wasserverschmutzung. Und der Clean Power Plan legt einen CO2-Standard für Kohlekraftwerke fest.

Die Industrie muss also neue Anforderungen erfüllen. Die treten gerade erst in Kraft – und eröffnen neue Anhörungen, die wir nutzen können. Außerdem sind in manchen Staaten Windkraft und Solarenergie schon billiger als Kohle. Als wir anfingen, war das noch nicht so.

Mary Anne Hitt, Die Chefin der Beyond-Coal-Kampagne der US-Umweltorganisation Sierra Club
Foto: von Brackel

Zur Person

Mary Anne Hitt wuchs in Tennessee auf und kam über den Protest gegen die Sprengung von Berggipfeln zum Sierra Club und zur Kampagne "Beyond Coal", die sie heute leitet. Sie ist vor allem für die Koordinierung der Mitglieder und die Strategie der Umwelt­organisation zuständig, die demokratisch organisiert ist. Ihre beiden größten Erfolge sind, so sagt sie, die Quecksilber-Regulierung für Kohlekraftwerke im Jahr 2012, der eine jahrelange Kampagne vorausging, und das Aus für ein altes Kohlekraftwerk in Chicago im gleichen Jahr – das selbst noch der Erfinder Thomas Alva Edison besucht hatte.

 

Wann wird das letzte Kohlekraftwerk in den USA vom Netz gehen?

Unser Ziel ist ein kohlenstofffreies Netz 2030.

Vergangene Woche versuchten die Republikaner im Senat, den Clean Power Plan zu blockieren.

Das zeigt, dass die Kohlelobby nach wie vor Macht hat. Der Clean Power Plan ist wichtig, aber er ist nicht der Königsweg und nicht unsere einzige Hoffnung. Das ist eine der Stärken in unserer Strategie.

Außerdem wird der Präsident sein Veto gegen das Senatsvotum einlegen. Selbst wenn ein Republikaner nächster Präsident wird, wäre es schwer, diese Regelung auszuhebeln. Die Energieunternehmen treffen schon Geschäftsentscheidungen. Sie brauchen Sicherheit und richten sich nach internationalen Klimaschutzvorgaben aus – deshalb ist der Paris-Gipfel so wichtig.

Wenn Kohlekraftwerke in den USA schließen, ist das eine Sache. Allerdings wird in den USA weiter Kohle abgebaut und etwa nach Asien exportiert. Wird das Problem nur verlagert?

Wir exportieren etwa zehn Prozent der Kohle. Bisher hat sich das nicht dramatisch verändert. Es ist nicht sehr wirtschaftlich, die Kohle über die Weltmeere zu verschiffen. Die großen Kohlevorkommen liegen im Westen der USA, die Kohle könnte nach Asien geliefert werden. Aber den Kohlehäfen fehlt es an Kapazität. Die Industrie will große Exportterminals an der Westküste errichten, sieben sind in Planung. Mit unserer Graswurzelbewegung haben wir drei oder vier von ihnen gestoppt.

Wir nutzen dafür die gleichen Taktiken wie beim Stopp der Kohlekraftwerke. Unsere Strategie ist, die Nachfrage zu senken und die Exporte zumindest auf dem derzeitigen Niveau zu halten – damit mehr Kohle im Boden bleibt. Die wirtschaftlichen Aussichten für die Kohle sehen immer schlechter aus. Aber wir befinden uns in einem Rennen gegen die Zeit und müssen die Gegenkräfte beschleunigen.