Ein Windrad am Horizont vor der untergehenden Sonne.
Ukrainische Windräder wurden häufig in den südlichen Regionen errichtet, die jetzt von russischen Truppen besetzt sind. (Foto: Sergij Golownjow)

Am heutigen Freitag findet ein Gipfel der EU und der Ukraine statt, bei dem es auch um den Wiederaufbau des Landes nach dem Ende des Krieges geht. Der Berliner Nachhaltigkeits-Thinktank Adelphi hat dazu eine Studie vorgelegt. Tenor: Der Wiederaufbau muss "grün" sein.

Denn nur ein solches Konzept werde es der Ukraine ermöglichen, beim Energieverbrauch unabhängig von russischen fossilen Brennstoffen zu werden, die Integration in die EU zu beschleunigen sowie soziale und ökologische Vorteile einzufahren. Gleichzeitig könnten so neue wirtschaftliche Möglichkeiten erschlossen und Fehlinvestitionen vermieden werden.

Exakte aktuelle Daten zu den Zerstörungen, die die russischen Angriffe vor allem im Osten und Süden des Landes verursacht haben, gibt es nicht. Doch bereits im September 2022 wurden 7,3 Prozent des ukrainischen Wohnungsbestands als beschädigt oder zerstört gemeldet.

In Großstädten wie Charkiw und Mariupol sind laut Adelphi ein umfassender Wiederaufbau und die Wiederherstellung der Sozial- und Verkehrsinfrastruktur erforderlich. Einige kleinere Städte müssten komplett neu aufgebaut werden.

Hinzu kommen große Schäden an der Energie- und Verkehrsinfrastruktur auch in anderen Landesteilen, seitdem Putins Armee diese intensiv bombardiert. Es kommt dort immer wieder zu Strom- und Heizungsausfällen.

"Billige fossile Brennstoffe wird es nicht mehr geben"

Für die Adelphi-Studienautorinnen Iryna Holowko und Constanze Haug ist klar: "Der Wiederaufbau von komfortablen neuen Wohnungen für Hunderttausende von Ukrainern gehört zu den dringendsten Prioritäten." Das müsse schnell gehen und erschwinglich sein.

Trotzdem sollten sowohl bei Neubauten als auch bei der Sanierung von teilzerstörten Gebäuden hohe Energieeffizienz-Standards angewandt werden, um dauerhaft Energie zu sparen. Selbst Gebäude mit Nahezu-Null-Energie-Standard könnten mit relativ geringen Zusatzkosten gebaut werden.

Die Betriebskosten solcher Gebäude seien niedriger. Das bedeute, dass die Bewohner jedes Jahr bei den Energierechnungen sparten. Zudem werde der Gesamtenergiebedarf des Landes gesenkt – "ein entscheidender Aspekt in einem Kontext, in dem billige fossile Brennstoffe nicht mehr verfügbar sind", heißt es in der Studie.

Der Wiederaufbau zerstörter Städte ist laut Adelphi zudem eine Gelegenheit, die Stadtplanung zu verbessern, gerade auch im Hinblick auf die Anpassung an den Klimawandel. Stichworte: mehr Grünflächen, Abwassersysteme, die an Starkregenereignisse angepasst sind, Vorrang für öffentliche Verkehrsmittel, mit eigenen Fahrspuren und möglichst elektrisch angetrieben, sowie für Fahrradwege.

Holowko und Haug betonen dabei: "Maßnahmen zur Verbesserung der Klimaresilienz müssen weder teuer noch komplex sein" – zumindest, wenn der Wiederaufbau von vornherein so geplant werde.

Vorrang für Windkraft und Solarenergie

Auch bei der Energieversorgung steht die Ukraine vor solchen Weichenstellungen. "Vieles muss repariert oder ersetzt werden, darunter beschädigte Wärmekraftwerke und Kesselhäuser, Teile der Hochspannungs- und Verteilnetze sowie zahlreiche Anlagen für erneuerbare Energien", schreibt Adelphi.

Im Wärmesektor sollten vorrangig veraltete kommunale Heizkessel und Heizkraftwerke durch Anlagen ersetzt werden, die statt mit Kohle oder Erdgas mit Wärmepumpen, Solarkollektoren oder nachhaltig erzeugter Biomasse arbeiten.

Für den Elektrizitätssektor empfiehlt der Thinktank – wie auch andere Fachleute – einen Vorrang für Windkraft und Solarenergie mit einem daran angepassten Stromsystem, da dies die billigsten, am schnellsten realisierbaren und zukunftssichersten Optionen seien.

Dagegen warnen die Expertinnen vor Investitionen in neue Kohlekraftwerke und Atommeiler. Die Ukraine habe in den letzten Jahren bereits fast die Hälfte der im Land verbrauchten Kohle importiert. "Diese Abhängigkeit sollte nicht durch den Ausbau von Kohlekapazitäten verstärkt werden – ganz zu schweigen von den Klimafolgen", heißt es in der Studie.

Aber auch Investitionen in neue Kernkraftwerke sieht Adelphi kritisch. AKW seien extrem teuer und wegen ihrer begrenzten Flexibilität nicht gut in ein Erneuerbaren-Stromsystem integrierbar. Außerdem gebe es Sicherheitsrisiken.

Die Ukraine freilich, in der 1986 in Tschernobyl der erste Super-GAU der Geschichte geschah, will an der Nutzung der Atomenergie zumindest festhalten. Mitte 2022 vereinbarte der dortige Atomkonzern Energoatom eine Zusammenarbeit mit dem US-Konzern Westinghouse bei Atombrennstoff-Lieferungen.

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