Klimareporter°: Frau Phillips, vor zwei Monaten hat die Labour Party die britischen Parlamentswahlen mit einem Erdrutschsieg für sich entschieden. Die Freude war auch bei Umweltverbänden und Klima-Expert:innen groß. War das einem überzeugenden Klimaprogramm von Labour geschuldet oder der Erleichterung, dass eine weitere Amtszeit der Konservativen abgewendet werden konnte?

Juliet Phillips: Es war sicherlich ein bisschen was von beidem. Die letzten Jahre der konservativen Regierung waren von einer ziemlichen schrecklichen Klima-Rückwärtsrolle geprägt. Premierminister Rishi Sunak hat Mindestenergiestandards für Mietwohnungen gestrichen. Er hat das Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen nach hinten verschoben.

Der allgemeine Ton der konservativen Regierung war klimafeindlich und hat die notwendige gesellschaftliche Debatte immer stärker zu einem Kulturkampf hochstilisiert. Es gab definitiv das Gefühl, dass die Dinge in die falsche Richtung gehen.

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Juliet Phillips

leitet das Energie­team des Klima-Think­tanks E3G in London und befasst sich dort mit der Dekar­bo­ni­sierung des Strom­systems, aber auch des Wärme- und Industrie­sektors. Sie studierte Politische Theorie an der London School of Economics und arbeitete mehrere Jahre bei der britischen Umwelt­organisation EIA mit den Schwer­punkten Ozeane und Kreislauf­wirtschaft.

Das Labour-Programm geht in die richtige Richtung?

Die Labour Party hat in dem Programm auf jeden Fall überzeugende Vorschläge gemacht. Am bemerkenswertesten ist ihr Ziel, bis 2030 ein sauberes Stromsystem zu schaffen. Auch wenn noch nicht ganz klar ist, was das am Ende bedeutet.

Der neue Premier Keir Starmer hat betont, dem Ausbau der erneuerbaren Energien Vorrang geben und damit langfristig auch die Energiekosten senken zu wollen. Mit diesem Ziel soll auch ein staatliches Energieunternehmen, Great British Energy, gegründet werden. Es soll nicht nur Erneuerbaren-Projekte ankurbeln, sondern auch garantieren, dass die Strompreise bezahlbar bleiben.

Laut Wahlprogramm will Labour bis 2030 die Windkraft an Land verdoppeln, die Solarenergie verdreifachen und die Offshore-Windkraft vervierfachen. Was ist in den ersten zwei Monaten passiert?

Das 2030er Ziel wird allgemein als sehr ehrgeizig angesehen. Um das Stromsystem in nur sechs Jahren so weit umzubauen, muss schnell gehandelt werden.

Und bisher muss man der neuen Regierung attestieren, dass sie das auch tut. Schon in den ersten zwei Tagen nach Amtsübernahme hat sie ein seit neun Jahren bestehendes De-facto-Verbot für Windkraftanlagen an Land aufgehoben.

 

Sie bemüht sich, die Planung und den Ausbau der Stromnetze zu beschleunigen. Das ist für den Ausbau der Erneuerbaren unerlässlich.

Labour hat bereits einen Chef für Great British Energy ernannt und Gesetzesvorlagen ins Parlament eingebracht, um die Unternehmensgründung schnell über die Bühne zu bringen.

Einige sehr große Solarparks, deren Genehmigung die vergangenen Regierungen immer wieder aufgeschoben hatten, wurden nun genehmigt. Für die ersten paar Wochen ist das wirklich eine beeindruckende Liste.

Die Labour Party hat in ihrem Programm versprochen, keine weiteren Öl- und Gaslizenzen zu erteilen, aber sie will unter Sunak erteilte Lizenzen nicht widerrufen. Eine Analyse des Klimaportals Carbon Brief ergab, dass die neue Regierung 13 neue Öl- und Gasprojekte genehmigen könnte, für die Unternehmen bereits Lizenzen haben. Dadurch könnten 350 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt werden. Steht das im Einklang mit den Klimazielen?

E3G unterstützt natürlich den Vorschlag, gar keine neuen Öl- und Gaslizenzen zu vergeben. Auch die meisten Klimagruppen hätten sich selbstredend erhofft, dass große Ölfelder wie Rosebank nicht erschlossen werden. Das hat negative Auswirkungen auf das Klima und untergräbt die bisher sehr positive Bilanz der Regierung.

Allerdings hat das wahrscheinlich auch mit juristischen Erwägungen zu tun. Die Vorgängerregierung hat diese Lizenzen abgesegnet, sodass es für die Labour Party rein rechtlich ziemlich schwierig wäre, sie einfach zu widerrufen.

Nun ist der Stromsektor in Großbritannien nur für gut elf Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Wie schlägt sich Starmer in den anderen Sektoren?

Es stimmt, auf dem Fortschritt bei der Stromwende darf sich die Regierung nicht ausruhen. Es geht um die Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft.

Eine Solar-Vorzeigesiedlung macht noch keine Wärmewende: Sechs von zehn britischen Haushalten heizen mit fossilem Gas, und sehr viele Häuser sind schlecht gedämmt. (Bild: Christine Westerback/​geograph)

Unter der konservativen Regierung wurden Wärmepumpen mit bis zu 7.500 Pfund gefördert. Allerdings hat die Regierung auch viel dazu beigetragen, die Heizungswende zu einem Kulturkampf aufzublasen. Eine ähnlich aufgeheizte Debatte gab es ja auch in Deutschland.

Die Labour Party ist bisher ziemlich still gewesen, was Wärmepumpen angeht. Für den Gebäudesektor warten wir also noch auf ehrgeizige Schritte. Bisher hat die Regierung lediglich den sogenannten "Warm Homes Plan" angekündigt.

Heute haben 99 Prozent der Briten fossile Heizungen. Außerdem haben wir einen der am wenigsten energieeffizienten Gebäudestände in Westeuropa. Es gibt also viel nachzuholen.

Was ist der "Warm Homes Plan"?

Labour hat im Rahmen dieses "Plans für warme Wohnungen" angekündigt, 13,2 Milliarden Pfund über fünf Jahre für die Wärmewende bereitzustellen. Das wäre eine Verdopplung im Vergleich zur letzten Legislaturperiode.

Das ist viel Geld, aber wenn man bedenkt, wie wenig in den letzten Jahren passiert ist, reicht es voraussichtlich nicht, um alle energiearmen Haushalte auf den neuesten Effizienzstandard zu bringen. Und das ist dringend nötig.

Eine unserer wichtigsten Forderungen an die Regierung ist, den Steuersatz für Haushalte, die mit Strom heizen, zu senken. Im Moment ist es viel billiger, mit Öl und Gas zu heizen. Das könnte dadurch geändert werden.

An den KfW-Darlehensprogrammen für Wärmepumpen in Deutschland sollte sich Großbritannien ein Beispiel nehmen. In Deutschland klappt es sehr gut, damit einen Heizungswechsel erschwinglicher zu machen.

Die Tories hatten zuletzt die Polizei- und Strafverfolgungsgesetze deutlich verschärft, um härter gegen Klimaaktivist:innen durchgreifen zu können. Schlägt die neue Regierung einen anderen Kurs ein?

Bisher gibt es dafür keine Anzeichen. Erst kürzlich wurden einige "Just Stop Oil"-Demonstranten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Verglichen mit Urteilen nach den rassistischen Protesten in Großbritannien vor ein paar Wochen ist das ziemlich schockierend. Da erhielten Personen, die rassistische Parolen gerufen und Polizeibeamte angriffen hatten, deutlich geringere Strafen.

 

Das passt zu der Kritik, die im Wahlkampf und schon davor immer wieder laut wurde. Labour sei unter Keir Starmer deutlich nach rechts gerückt. Teilen Sie diese Einschätzung und ist das auch bei der Klimapolitik erkennbar?

Man kann auf jeden Fall behaupten, dass die gegenwärtige Regierung mehr im politischen Zentrum liegt, als es eine Regierung unter Jeremy Corbyn getan hätte.

Die Klimapolitik unter Starmer ist ziemlich ambitioniert, aber gerade im sozialen Bereich, etwa bei Themen wie Einwanderung, unterscheidet sich Labour in seiner Haltung kaum noch von der Conservative Party.

Ob die Regierung Klimagerechtigkeit – national wie global – stärker gewichtet als ihre Vorgänger, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.

Ein gerechter Transformationsplan für die Beschäftigten und Gemeinden, die heute von der fossilen Industrie und der Schwerindustrie abhängig sind, wird ein Härtetest für die Regierung.