Was, wenn Europas Zentralheizung ausfiele? Das hätte böse Folgen für den Kontinent. Nein, hier geht es ausnahmsweise mal nicht um Putin und sein Erdgas. Sondern um den Golfstrom.
Man weiß, käme dieser zum Erliegen, würde es in Europa dramatisch kälter. In Hamburg oder Berlin herrschte sibirisches Klima, und ganz Skandinavien läge unter einer Eisdecke. Zudem würden sich die jahreszeitlichen Regenmuster in vielen Ländern rund um den Atlantik drastisch verändern.
Die Sorge, dass der Klimawandel die riesige Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) zum Versiegen bringt, von der der Golfstrom ein Teil ist, ist in der Forschung seit Langem ein Thema. Es geht schließlich um ein Kippelement im Weltklima mit gewaltigen Dimensionen. Die Meeresströmung befördert pro Sekunde 20 Millionen Kubikmeter warmes Wasser vom Äquator nach Norden, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms.
Eine neue Untersuchung gibt nun – vorerst – Entwarnung. Demnach kühlt sich ein Teil des Nordatlantiks zwar tatsächlich ab, was ein markanter Gegensatz zu den allermeisten anderen Meeresregionen ist.
Die Auswertung deute aber darauf hin, dass in erster Linie natürliche Schwankungen dafür verantwortlich seien, betont das Forschungsteam von der Uni Kiel, das die Studie jetzt im Fachmagazin Nature Climate Change veröffentlicht hat. Doch es stellte eben auch eine beginnende Verlangsamung der AMOC in den vergangenen Jahrzehnten fest.
Die Expert:innen um Mojib Latif, Professor für Ozeanzirkulation und Klimadynamik in Kiel, sehen "keine sicheren Anzeichen" dafür, dass das System sich dramatisch verlangsamt. Aber das bedeutet eben keine Entwarnung.
Kein Grund zur Beruhigung
Sie verweisen auch darauf, dass die aktuellen Klimamodelle alle eine deutliche Reduzierung der Strömung voraussagen. Sie prognostizieren, dass sich das AMOC-System weiter abschwächen wird, nämlich um bis zu 45 Prozent zum Ende des Jahrhunderts, falls die Menschheit die Erwärmung weiter vorantreibt.
Das wäre dann nach heutigen Wissensstand schon nahe an dem Kipppunkt, an dem AMOC und Golfstrom instabil werden.
"Es bleibt die Frage, wann der Klimawandel die Kontrolle über die AMOC übernimmt", betont Jing Sun, Meteorologin am Kieler Meeresforschungszentrum Geomar und Co-Autorin der Studie. "Dann verliefe die Entwicklung nur noch in Richtung Abschwächung und Risiken könnten deutlich zunehmen."
Joachim Wille ist Chefredakteur des Online-Magazins Klimareporter°.
Um mit größerer Sicherheit sagen können, welchen Einfluss der Klimawandel auf das Strömungssystem hat, sind laut dem Kieler Team bessere Beobachtungsdaten aus allen Regionen des Atlantiks nötig.
Freilich: Mit dem Klimaschutz zu warten, bis sie da sind, ist keine gute Idee. Denn dann wäre es für ein Umsteuern garantiert zu spät.