Das Bild zeigt trockenen, aufgebrochenen Boden und zwei Paar Füße, die darüber gehen.
Das Bild wurde während der afghanischen Dürre im Jahr 2002 aufgenommen. Derzeit herrscht wieder extreme Trockenheit. (Foto: Stephen Dupont/​DFAT/​Flickr)

Die gute Nachricht vorweg: Die Vereinten Nationen und Organisationen wie das Rote Kreuz können ihre humanitäre Arbeit trotz der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan fortsetzen.

Der UN-Koordinator für humanitäre Fragen, Ramiz Alakbarov, sagte: "Der humanitäre Arm der Vereinten Nationen arbeitet seit über 18 Jahren mit den Taliban zusammen, und wir haben nie damit aufgehört. Wir sind dabei, neue Sicherheitsgarantien zu beantragen. Und wir haben diese Garantien erhalten."

Das ist wichtig, denn Afghanistan stünden selbst ohne die Taliban schwierige Monate bevor. Das Land wird derzeit von der zweiten Dürre in vier Jahren heimgesucht. Das Welternährungsprogramm WFP schätzt, dass 14 der 40 Millionen Afghanen dieses Jahr auf Lebensmittelhilfe angewiesen sind.

Genug Geld hat das WFP dafür allerdings nicht. Der chronisch unterfinanzierten Organisation fehlen bis zum Jahresende noch 200 Millionen Dollar.

"Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an", sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Dienstag in New York. Die Menschen verlören jeden Tag den Zugang zu elementaren Gütern und Dienstleistungen. 18 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, könnten nur dank humanitärer Hilfe überleben.

"Jeder dritte Afghane weiß nicht, woher seine nächste Mahlzeit kommen wird", so Guterres. "Mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren wird im nächsten Jahr voraussichtlich akut unterernährt sein."

UN-Koordinator Alakbarov schätzt zudem, dass dieses Jahr bereits 600.000 Afghanen ihre Heimatdörfer verlassen haben: "Es gibt eine Kombination aus Vertreibung durch Krieg und militärische Feindseligkeiten sowie Vertreibung durch Dürre und schwierige wirtschaftliche Bedingungen."

Die Dürre ist keine Überraschung: Nach Angaben des Climate Security Expert Network (SCEN) nehmen wegen des Klimawandels in Afghanistan sowohl Dürren als auch Starkregenereignisse zu.

Auch eine Ausweitung des Kohleabbaus droht

Profitieren könnte davon ausgerechnet die Opiumproduktion. Schlafmohn, aus dem Opium gewonnen wird, ist eine dürreresistente und sehr genügsame Pflanze. "Wenn der Anbau alternativer Kulturen schwieriger wird, wird der Mohnanbau für viele Landwirte in ländlichen Gebieten immer attraktiver", schreiben die SCEN-Experten in ihrer Afghanistan-Analyse.

Das wiederum beeinträchtige die Sicherheitslage: "Diese Bedingungen sind ein Nährboden für kriminelle Organisationen und terroristische Gruppen, indem sie Anreize schaffen, die Kontrolle der Regierung in den Drogenanbaugebieten zurückzudrängen, und die Korruption unter den Regierungsangestellten fördern."

Genau davon haben auch die Taliban vor ihrer Machtübernahme profitiert. Dem US-Radiosender Radio Free Europe liegt ein vertraulicher Bericht der Nato über die Finanzlage der Taliban vor. Demnach haben diese in den zwölf Monaten bis März dieses Jahres Einnahmen von 1,6 Milliarden US-Dollar verbucht.

Dürre auch in Syrien und Irak

Syrien leidet derzeit unter der schwersten Dürre in 70 Jahren. Das Welternährungsprogramm WFP schätzt, dass dort zwölf Millionen Menschen an Nahrungsmittelknappheit leiden. Außerdem gibt es gut sechs Millionen intern Vertriebene wegen des nunmehr zehnjährigen Bürgerkriegs, dessen Ausbruch ebenfalls eine Dürre vorausgegangen war. In Syrien fehlen dem WFP noch 444 Millionen US-Dollar für die nächsten sechs Monate.

Im Irak sieht es etwas besser aus. 2,4 Millionen Menschen brauchen Hilfe und 1,2 Millionen sind intern vertrieben. Hier fällt die Finanzierungslücke auch deutlich geringer aus. Das WFP braucht im Irak "nur" zusätzliche 13 Millionen Dollar. Dennoch: "Der vollständige Zusammenbruch der Wasser- und Nahrungsmittelproduktion für Millionen Syrer und Iraker steht unmittelbar bevor", sagte Carsten Hansen, Regionaldirektor der Norwegischen Flüchtlingshilfe.

Opium, auch Ausgangsstoff für Heroin, war dabei mit 416 Millionen die zweitwichtigste Einnahmequelle nach der Besteuerung des Abbaus von Bodenschätzen wie Kohle und Edelsteinen mit 464 Millionen Dollar. Für eine Rebellenarmee sind das beachtliche Einnahmen, die den Taliban "finanzielle und militärische Unabhängigkeit" garantieren, wie der Nato-Bericht feststellt.

Um ein Land mit 40 Millionen Einwohnern zu verwalten, sind 1,6 Milliarden allerdings eher wenig: nämlich 40 Dollar pro Kopf.

Zwar haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen in Afghanistan in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert, doch die Struktur der Wirtschaft ist weitgehend gleich geblieben. Außer Agrarprodukten, Opium und Bodenschätzen wird kaum etwas produziert.

Entscheidend für die weitere wirtschaftliche Entwicklung wird die Höhe der ausländischen Hilfsgelder sein, die in das Land fließen. Im Jahr 2020 machten diese 43 Prozent der offiziellen Wirtschaftsleistung des Landes aus, wie die Weltbank ausgerechnet hat.

Während weiter humanitäre Hilfe geleistet werden dürfte, ist das bei der langfristig angelegten Entwicklungshilfe weniger sicher. Nicht nur wegen der Dürre dürfte eine Taliban-geführte Regierung daher zumindest kurzfristig weiter auf die bewährten Einnahmequellen setzen: Kohle und Heroin.

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