Die Erde vom Mond aus gesehen, der größte Teil liegt im Schatten.
Planet Erde: Scheint dem reicheren Teil der Menschheit nicht genug zu sein. (Foto: NASA/​Wikimedia Commons)

"Stellen Sie sich vor, dass es ein Land auf der Welt gibt, das alle grundlegenden Bedürfnisse seiner Einwohner erfüllt – eines, in dem jeder ein langes, gesundes, glückliches und gutes Leben hat. Und dann stellen Sie sich vor, dass dasselbe Land all dies mit einem Ressourcenverbrauch ermöglicht, den man auch dann noch als nachhaltig bezeichnen kann, wenn jedes andere Land auf der Welt dasselbe täte. Solch ein Land existiert nicht."

So ernüchternd fasst der Umweltökonom Dan O'Neill von der britischen Universität Leeds das Ergebnis einer aktuellen Studie zusammen, für die er gemeinsam mit Kollegen Daten von mehr als 150 Ländern weltweit zusammengetragen und ausgewertet hat. Und nicht nur das. "Es gibt nicht einmal ein Land auf der Welt, das dem auch nur nahekäme", sagt O'Neill.

Ausgangspunkt von O'Neills Datensammelwut ist der "Donut", ein Modell für Nachhaltigkeit, das die Ökonomin Kate Raworth geprägt hat. Der Donut, das runde Gebäckstück mit dem charakteristischen Loch in der Mitte, ergibt sich, wenn man zwei Kreise ineinander zeichnet: einen äußeren Kreis, der die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde anzeigt, und einen inneren Kreis, in dem grundlegende soziale Ziele verzeichnet sind.

Donut als Idealbild einer nachhaltigen, gerechten Gesellschaft

Werden die ökologischen Belastungsgrenzen, die sogenannten planetaren Grenzen, überschritten, franst der Donut aus und verliert seine klassische Form. Das passiert etwa dann, wenn zu viele Treibhausgase in der Atmosphäre landen, zu viel Stickstoff die Böden belastet oder die Frischwasserreserven der Erde zur Neige gehen.

Torten-Balken-Diagramm: Weltweit werden zu viele Ressourcen verbraucht, während Grundbedürfnisse vielfach unerfüllt bleiben.
Das "Donut-Modell" von Kate Raworth: Die äußere grüne Linie markiert die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde. Überschreitet die Belastung diese Grenzen, franst der "Donut" aus – es gibt Probleme. (Grafik: Kate Raworth/​Apfelsamen/​Wikimedia Commons)

Das Konzept der planetaren Grenzen wurde 2009 von Wissenschaftlern am Stockholm Resilience Centre entwickelt. Es soll den Menschen helfen zu erkennen, ab wann sie die Erde so gravierend belasten, dass nicht wiedergutzumachende Schäden drohen.

Die sozialen Ziele des Donuts, der innere Kreis, orientieren sich an den UN-Nachhaltigkeitszielen. Sie werden zum Beispiel verfehlt, wenn Menschen nicht genug zu essen oder zu wenig Geld zum Leben haben, wenn sie keinen Zugang zu Bildung erhalten oder es an sanitären Anlagen fehlt.

"Der Donut stellt die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar: zu erreichen, dass die Bedürfnisse aller erfüllt sind, und dies innerhalb dessen, was der Planet leisten kann", erklärt Raworth ihr Modell.

Weil der runde Donut ohne ausgefransten Rand durch gesprengte planetare Grenzen das Ideal liefert, an dem sich nachhaltiges Wirtschaften orientieren soll, spricht Raworth auch von "Doughnut Economics".

Datenbank zeigt Donuts für 150 Staaten an

Dank der in Leeds gesammelten Daten gibt es nun eine Datenbank, die für mehr als 150 Staaten den entsprechenden Donut ausspuckt. Darin aufgenommen haben die Wissenschaftler sieben planetare Grenzen und elf soziale Ziele.

Zum Beispiel Deutschland: Da zeigt der innere "soziale" Kreis des Donuts, dass die elf erfassten soziale Ziele im Land erreicht werden. Der äußere "ökologische" Kreis warnt jedoch gleichzeitig: Diese Bedürfnisbefriedigung geschieht zurzeit auf eine Weise, die fünf der sieben planetaren Grenzen sprengt.

Der Balken etwa, der den Treibhausgasausstoß im deutschen Donut anzeigt, ragt weit über den äußeren Kreis hinaus. Nur der Frischwasserverbrauch und die Landnutzungsänderungen sind in Deutschland im verträglichen Rahmen.

Wie gegensätzlich die Lage in anderen Ländern ist, kann man sich in der Datenbank unmittelbar neben dem Deutschland-Donut anzeigen lassen. In Bangladesch etwa wird nur ein einziges der elf erfassten Grundbedürfnisse erfüllt. Weder erreichen die Menschen dort im Durchschnitt ein Mindestalter von 65 Jahren noch haben sie Zugang zu sanitären Anlagen.

Torten-Balken-Diagramm: Deutschland verbraucht zu viele Ressourcen, erfüllt aber die Bedürfnisse seiner Einwohner – Bangladesh bleibt im planetaren Limit, Grundbedürfnisse bleiben aber unerfüllt.
So kann man sich die "Donuts" in der Datenbank aus Leeds anzeigen lassen: Links Deutschland, wo die Belastung deutlich über die dunkelgrüne Linie der ökologischen Grenzen hinausgeht. Rechts der "Donut" von Bangladesch. Dort sieht man an den hellblauen Segmenten, dass die grundlegenden sozialen Ziele im Land nicht erreicht werden. (Grafik: Dan O'Neill et al./​University of Leeds)

Es gibt keinen Zugang zu Strom, nur eine schlechte Bildung, eine hohe Arbeitslosigkeit und viele Menschen, die mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag leben müssen. Die planetaren Grenzen dagegen werden in Bangladesch so gut wie gar nicht belastet und an keiner einzigen Stelle gesprengt.

Dieser Gegensatz zieht sich als Trend durch alle Datensätze: Diejenigen Staaten, die die wichtigsten Bedürfnisse der Menschen im Land befriedigen, treiben damit den Planeten in den Kollaps. Die Staaten dagegen, die im ökologischen Rahmen bleiben, schaffen es bisher nicht, den Menschen im Land ein gutes Leben zu ermöglichen.

"Beunruhigenderweise neigen die Länder umso mehr dazu, die biophysischen Grenzen zu überschreiten, je mehr soziale Pluspunkte sie erreichen", sagt Forscher O'Neill. "Im Moment erreicht kein einziges Land alle elf sozialen Ziele, ohne nicht gleichzeitig mehrere planetare Grenzen zu missachten."

Das Land, das einem harmonischen Gefüge aus Sozialem und Ökologie am nächsten kommt, ist Vietnam. Es erfüllt zumindest sechs der elf grundlegenden sozialen Bedürfnisse seiner Bewohner. Mit seinem zu hohen Treibhausgasausstoß überbeansprucht Vietnam dabei nur eine der sieben planetaren Grenzen.

 

In einer ähnlichen Studie für den WWF aus dem Jahr 2006 war dem Karibikstaat Kuba noch bescheinigt worden, als einziges Land die ökologischen und sozialen Kriterien einzuhalten. Diesmal wird Kuba nicht bewertet, weil laut der Studie Daten wie Lebenserwartung oder soziale Gleichheit fehlten. Allerdings sind auch einige der ökologischen Grenzen überschritten.

"Unser Wirtschaftsmodell sprengt die Grenzen"

Welche Schlüsse muss man nun aus der Studie ziehen? Ist es tatsächlich nicht möglich, den sieben – und bald noch mehr – Milliarden Menschen innerhalb der planetaren Grenzen ein gutes Leben zu ermöglichen?

Eine direkte Antwort auf diese Frage lässt sich aus O'Neills Datensammlung nicht ziehen. Sie bildet nur den Status quo ab. "Unsere Analyse ist auf den gegenwärtigen Zusammenhang zwischen sozialen Zielen und Ressourcenverbrauch ausgerichtet", erläutert der Umweltökonom.

"Das bedeutet nicht, dass wir das nicht auch besser hinbekommen", sagt O'Neill. Besser, das hieße, die UN-Nachhaltigkeitsziele auf eine Weise zu erreichen, die die ökologischen Grenzen nicht sprengt.

Dafür müsste man die Ressourcen umverteilen. In reichen Ländern werden die sozialen Kennziffern, darunter auch die Lebenszufriedenheit, nicht mehr oder kaum noch verbessert, wenn der Ressourcenverbrauch steigt. Würden diese Länder ihren Ressourcenverbrauch zugunsten ärmerer Staaten senken, müsste das nicht zu Einbußen in der Lebensqualität führen.

Havanna
Straße vor dem Kapitol in Havanna: Ist es wirklich nicht möglich, menschliche Grundbedürfnisse und planetare Grenzen in Einklang zu bringen? (Foto: Carlos Adan/​Wikimedia Commons)

"Unsere Aufgabe ist es, uns eine Wirtschaft und Gesellschaft vorzustellen, wo die Ressourcen dazu verwendet werden, zum Wohl aller beizutragen und nicht zum Wohl einiger weniger", sagt O'Neill.

Das allein wird aber nicht reichen. Auch insgesamt, also global betrachtet, ist der Ressourcenverbrauch viel zu hoch – und damit auch die Umweltbelastung.

Deshalb will O'Neill seine Forschungsergebnisse auch als Warnung an politische Entscheider verstanden wissen. "Wir überschreiten global schon eine ganze Reihe kritischer planetarer Grenzen. Wenn wir das gegenwärtige Wirtschaftsmodell nutzen, um die UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, sprengen wir die Grenzen endgültig."

Für den Forscher ist klar: "Der Norden muss sein Wachstum zurückschrauben."