CO2-Entnahme an Land geschieht bisher fast immer durch Wald – der steht aber unter Druck. (Bild: Martin Vorel/​Libreshot)

Klimareporter°: Frau Pongratz, seit anderthalb Jahren läuft das deutsche Forschungsprogramm CDR terra. CDR steht für Carbon Dioxide Removal, also CO2-Entnahme, terra für die Erde. Was wollen Sie herausbekommen?

Julia Pongratz: Bei CDR terra untersuchen wir vor allem, wie und in welchem Umfang landbasierte CO2-Entnahme zur Begrenzung des Klimawandels beitragen kann. Da geht es um die Rolle von Böden und Vegetation, aber auch um die Kombination mit technischen Verfahren, etwa die Nutzung von Bioenergie mit anschließender Abscheidung und Speicherung von CO2.

Neben pflanzenbasierten Methoden schauen wir uns weitere an, die nicht über die Fotosynthese funktionieren, wie Gestein fein zu mahlen und es auszubringen. Auch sehr neuartige Methoden haben wir im Blick, etwa Karbonfaser-basierte Baustoffe, die aus Algenöl hergestellt werden und so CO2 aus der Atmosphäre binden.

Erforscht wird auch die direkte technische CO2-Filterung und -Abscheidung sowie die künstliche Fotosynthese.

Unser Ziel ist, Grundlagen für einen sinnvollen CO2-Entnahme-Mix für Deutschland zu schaffen. Wie der genau aussehen wird, ist am Ende eine politische Entscheidung. Für diese wollen wir die wissenschaftliche Basis schaffen.

Auch bei CDR terra steht an erster Stelle, CO2-Emissionen zu vermeiden. Aber ohne eine Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ist es nicht möglich, Treibhausgasneutralität zu erreichen, wie sie für die Einhaltung der Pariser Klimaziele notwendig ist.

Technologien, die CO2 "versenken", sollen jetzt auch genutzt werden, um fossile Rohstoffe CO2-arm zu machen. Man denke nur an den "blauen" Wasserstoff. Wie bleibt CO2-Vermeidung an erster Stelle?

Durch CO2-Entnahme darf eine ambitionierte Klimapolitik nicht unterminiert werden. Sie kann aber die notwendige Ergänzung zu einer schnellen und drastischen CO2-Reduktion sein.

Gesellschaftlich haben wir dabei noch nicht endgültig ausgehandelt, was wirklich schwer zu vermeidende Emissionen sind und wie viele Restemissionen wir uns folglich leisten wollen.

Weltweit liegen die CO2-Emissionen bei jährlich ungefähr 40 Milliarden Tonnen. Geschätzt wird, dass auch bei aller Ambition ein Anteil von fünf bis fünfzehn Prozent der Emissionen nicht wegzubekommen sein wird. Um auf die Netto-Null zu kommen, müssen wir also – global gesehen – jedes Jahr mehrere Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre herausnehmen.

In Deutschland haben wir uns – verglichen mit vielen anderen Ländern – zwar relativ anspruchsvolle Ziele für die Emissionsreduktion gesteckt. Aber auch wir werden die Emissionen nicht auf null bringen. Deswegen braucht auch Deutschland CO2-Entnahme.

CO2-Entnahme gibt es ja schon, wenn man so will, seit ewigen Zeiten in großem Maßstab durch die Biosphäre.

Gegenwärtig werden durch Aufforstung, Wiederaufforstung und Forstwirtschaft jährlich etwa zwei Milliarden Tonnen CO2 gebunden. Diese Bindung findet nur zu etwa einem Drittel im globalen Norden statt. Da tut sich auch eine Frage globaler Gerechtigkeit auf. Wer ist dafür verantwortlich, das CO2, das andere emittieren, wieder wegzuschaffen?

Bild: LMU

Julia Pongratz

ist Geo­wissen­schaft­lerin und Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Land­nutzungs­systeme an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Sie arbeitet auch im Global Carbon Project und im Erd­system­modell-Projekt Aimes mit.

Andere Methoden wie Bioenergie mit CCS, Pflanzenkohle oder beschleunigte Verwitterung decken zusammen nur 0,1 Prozent der aktuellen CO2-Entnahme ab.

Keine der bisher bekannten Methoden ist eine Wunderwaffe. Es gibt Risiken, zum Beispiel bezüglich der Permanenz, also der Frage, wie dauerhaft der Kohlenstoff gespeichert wird.

Alle CO2-Methoden haben außerdem ein limitiertes Potenzial, keine ist ohne Nebenwirkungen. Aus dem Grund brauchen wir ein Portfolio an Entnahmeverfahren.

Wichtig ist auch, nicht nur zu prüfen, was technisch möglich ist, sondern auch, was gesellschaftlich machbar und wünschenswert ist.

All das wird am Ende in die wissenschaftlichen Erkenntnisse einfließen, mit denen ein risikoarmes und nachhaltiges Portfolio entwickelt werden kann, um die CO2-Entnahme in Deutschland sozial, ökonomisch und ökologisch verträglich zu gestalten.

CO2-Speicher an Land sind zeitlich begrenzt. Waldbäume werden oft nach maximal 150 Jahren gefällt, in verbautem Holz bleibt der Kohlenstoff möglicherweise länger gespeichert. Ab welchem Zeitraum können wir wirklich von einer Wirkung als CO2-Senke ausgehen?

Keine Frage, das CO2 muss in langlebiger Form gespeichert werden. Das ist eine der drei Grundprinzipien von CO2-Entnahme, von CDR.

Die anderen beiden sind: Das aufgenommene CO2 darf nicht aus fossilen Quellen stammen und es muss als Folge menschlicher Aktivität aufgenommen werden, nicht allein aufgrund natürlicher Prozesse.

Bis dato gibt es weder eine klare wissenschaftliche Definition noch einen politischen Konsens darüber, was bei einer Speicherung als 'langlebig' angesehen werden kann.

CO2-Emissionen führen über Jahrtausende hinweg zu Erwärmung. Solche langen Zeitskalen für CDR einzufordern, hat offensichtliche praktische Hürden. Zudem reduzieren auch kürzere CO2-Speicherzeiten die aktuellen Nettoemissionen, wenngleich mit Abstrichen.

Als typische Zeitskalen, bei denen von CDR die Rede sein kann, gelten Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Gerade für kürzere Zeitskalen gilt deshalb auch die Forderung, Vorsorge für eine Kompensation möglicher Leckagen zu treffen oder die CO2-Aufnahme von vornherein nicht vollständig als CDR anzuerkennen.

Landbasierte CO2-Senken scheitern oft nicht an mangelnder Forschung, sondern an jahrelangen Umsetzungsproblemen, siehe die Wiedervernässung von Mooren. Muss die Wissenschaft nicht den Vorwurf akzeptieren, sie betreibe mit CDR teils eine Art Alibiforschung, um den Verzug beim natürlichen Klimaschutz mit angeblich fehlenden Kenntnissen begründen zu können?

Genau hier setzt CDR terra an. Woran scheitert denn die Umsetzung, wo doch schon seit mehreren Jahren bekannt ist, dass wir CO2-Entnahme praktizieren müssen, um unsere Klimaziele einzuhalten?

Wir arbeiten deshalb mit Landwirt:innen zusammen, mit Verbänden und Vertreter:innen der Politik und wollen so ermitteln, woran es hapert. Sind es rechtliche Rahmenbedingungen oder fehlende Förderung oder mangelnde Absatzmärkte für neuartige Produkte wie etwa die aus Paludikultur? Hier ist unsere CDR-Forschung der Praxis sehr zugewandt.

Mehrjähriges Forschungsprogramm

Das Forschungsprogramm CDR terra zu landbasierten CO2-Ent­nahme­methoden begann 2021. Es wird vom Bundesforschungsministerium mit rund 21 Millionen Euro für zunächst drei Jahre gefördert. Die Koordination liegt bei der Universität München, beteiligt sind mehr als 30 weitere Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Darüber hinaus brauchen wir aber auch Grundlagenforschung. Neuartige Technologien wie die künstliche Fotosynthese sind erst noch zu entwickeln. Eine breite Auswahl möglicher CDR-Maßnahmen hilft uns auch, die mit bestimmten Klimaschutzpfaden verbundenen Risiken zu mindern.

Der Zeitdruck nimmt zu. Besonders dringlich ist dabei, die konventionellen landbasierten Methoden anzuwenden. Denn bisher können wir im großen Stil keine anderen als diese konventionellen Methoden einsetzen, die mit der Landnutzung zusammenhängen.

Aber das Entnahme-Portfolio wird sich künftig ändern. Derzeit generieren wir mehr als 99 Prozent der CO2-Entnahme über den Wald. Schon in zehn Jahren wird das vermutlich deutlich vielfältiger aussehen und in 50 Jahren wird CO2-Speicherung in geologischen Formationen vielleicht schon einen substanziellen Anteil haben.

Deutschland ist von seinem Ziel, bis 2030 die CO2-Emissionen aus Landnutzungsänderungen um 25 Millionen Tonnen zu mindern, um mehr als 90 Prozent entfernt. Ursachen sind die abnehmende Leistung der Wälder als CO2-Senke und auch die stockende Wiedervernässung von Mooren. Was kann Ihre Forschung dazu beitragen, diesem Ziel näher zu kommen?

Beim Senken der Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung gibt eine Reihe von Knackpunkten.

So stammen knapp sechs Prozent der deutschen Emissionen aus trockengelegten Moorböden. Deren Wiedervernässung ist rein technisch oft gar nicht schwer.

Die Flächen wurden aber nicht ohne Grund trockengelegt. "Des Ersten Tod, des Zweiten Not, des Dritten Brot" – dieser Volksspruch aus der Zeit der Moorkolonisierung zeigt doch, dass Forderungen nach Wiedervernässung tief in lange bewährte landwirtschaftliche Praktiken eingreifen. Die Gefahr, die Existenzgrundlage zu verlieren, ist teilweise ganz real.

Deshalb halte ich es für wichtig, Politikfelder wie Klimaschutz und Landwirtschaft nicht gegeneinander auszuspielen.

Bei den Mooren kommt es darauf an, alternative Nutzungen aufzuzeigen, wie sie mit der Paludikultur grundsätzlich auch möglich sind. Zugleich braucht es eine kluge Politik, die Rahmenbedingungen schafft, damit dem Landwirt oder der Landwirtin der Umstieg auf neue Methoden leicht gemacht wird.

Um sich daraus ergebende Fragen zu klären, ist Forschung unerlässlich. Welche Nutzpflanzen gedeihen gut auf wiedervernässten Moorböden? Welche Produkte können wir aus ihnen gewinnen? Wie muss der Wasserstand im wiedervernässten Moor genau eingestellt sein, um nicht das Klimaschutzpotenzial durch erhöhte Emissionen etwa von Methan wieder zunichte zu machen? Wie verhält sich das Moorsystem unter fortschreitendem Klimawandel mit zunehmenden Dürre- und Hitzewellen?

Und was ist mit den Wäldern, die Klimaforscher teilweise gar nicht mehr als künftige CO2-Senke in die Klimabilanzen einrechnen wollen?

Der Zustand der Wälder ist ein weiterer Knackpunkt. Wie verletzlich dieser große CO2-Speicher auch in Deutschland ist, haben uns in den vergangenen Jahren nicht zuletzt die wiederkehrenden großflächigen Feuer vor Augen geführt. Weltweit betrachtet dauert die Saison mit Feuerwetter inzwischen 14 Tage länger als noch vor 40 Jahren.

Aber auch wegen der Hitzewellen und Insektenausbrüche ist schon lange klar, dass es notwendig ist, den Wald zu einer höheren Klimaresilienz umzubauen.

Diese Aufgabe ist kaum zu bewältigen, wenn wir die Emissionen nicht rasch und drastisch senken – auch weil der Klimawandel im Vergleich zur Lebenszeit eines Baumes bereits sehr schnell voranschreitet.

Der Klimawandel könnte schneller sein als die Anpassungsfähigkeit der Bäume und Wälder?

Die Gefahr besteht. Die Forschung bemüht sich hier, Wege zu Win-win-Situationen aufzuzeigen. Es gilt, die Wälder so umzugestalten, dass sie gleichzeitig widerstandsfähiger gegen den Klimawandel werden und mehr CO2 speichern, nicht zuletzt durch die Verknüpfung mit forstwirtschaftlichen Methoden.

Ein nachhaltiger Holzeinschlag mit Nutzung des Holzes in langlebigen Produkten führt zu einem zusätzlichen CO2-Speicher, der nicht den Risiken vom Extremwetter ausgesetzt ist. Hier sind auch Substitutionseffekte möglich, indem energieintensive Baustoffe wie Stahl ersetzt werden.