Nächtlich beleuchteter Eingang mit dem Neonschriftzug
Stillgelegter Flughafen: Es mehren sich die Stimmen für einen Stopp von Kurzstreckenflügen. (Foto: Sascha Kohlmann/​Flickr)

Klimareporter°: Herr Graichen, wir Deutschen galten vor Corona als Reiseweltmeister. Jetzt sind wir auf Entzug. Wird nach Ende des Lockdowns alles wieder so sein wie früher?

Jakob Graichen: Kurzfristig gibt es bestimmt weniger Fernreisen und mehr Urlaub in der Nähe. Die zentrale Frage ist aber, ob sich das Reiseverhalten dauerhaft ändert. Das bezweifle ich stark, auch wenn es mehrere Jahre dauern wird, bis der Tourismus wieder auf dem Niveau von 2019 angekommen ist.

Es kann aber sein, dass Fliegen in Zukunft wieder etwas teurer wird, etwa falls die Passagiere zum Infektionsschutz nicht mehr so dicht gedrängt sitzen dürfen oder es zu vielen Konkursen in der Branche kommen sollte.

Vor allem der Flugverkehr gilt als Klimakiller. Sein Anteil an der Treibhaus-Wirkung durch den Einfluss des Menschen beträgt weltweit zwischen vier und zehn Prozent, je nach Berechnungsart. Kann es da denn das Ziel sein, das frühere Flugaufkommen wiederherzustellen? Oder ist Gesundschrumpfen angesagt, möglichst sozialverträglich natürlich?

Für das Klima wäre es natürlich besser, wenn in Zukunft weniger geflogen wird. Aber es gibt gute Gründe, warum Menschen ins Flugzeug steigen, zum Beispiel um die Welt kennenzulernen, für die Arbeit, um Familie und Freunde zu treffen. Ziel muss es deshalb sein, den Luftverkehr klimaneutral zu gestalten. Neben einer Verbesserung der Energieeffizienz und alternativen Antrieben muss dafür allerdings auch das seit Jahrzehnten unbegrenzte Wachstum des Sektors enden.

Konkret: Sollten Inlandsflüge eingestellt werden?

Ja. Ich halte hier die Position des Umweltbundesamtes für richtig: Es plädiert dafür, alle Flüge unter 1.000 Kilometern auf die Schiene zu verlagern. Das geht auf der Strecke Frankfurt–Berlin genauso gut wie auf der Strecke Frankfurt–Paris.

Porträtaufnahme von Jakob Graichen.
Foto: Öko-Institut

Jakob Graichen

ist wissen­schaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energie und Klimaschutz am Öko-Institut in Berlin. Der Physiker arbeitet unter anderem an Strategien zur Vermeidung von Treib­haus­gas­emissionen im Flug- und Schiffs­verkehr, der Weiter­entwicklung des europäischen Emissions­handels und des European Green Deal. 

Sollte Fliegen im geplanten Konjunkturprogramm gestützt werden oder sollten die Umwelt- und Klimakosten des Fliegens in Zukunft eingerechnet werden? Und wie?

Es ist schon absurd: Auf den Treibstoff wird keine Energiesteuer erhoben, auf internationale Flüge wird keine Mehrwertsteuer bezahlt, im Emissionshandel werden den Fluggesellschaften die allermeisten CO2-Zertifikate geschenkt, aber jetzt soll wie bei der Lufthansa ohne Gegenleistung Unterstützung in Milliardenhöhe geleistet werden.

Wenn der Staat die Lufthansa rettet, müssen im Gegenzug diese Subventionen abgebaut werden. Und es ist höchste Zeit für eine Strategie für einen klimaneutralen Flugverkehr bis 2050.

Die Lufthansa und andere Airlines arbeiten dazu an der Entwicklung von Öko-Kerosin aus erneuerbaren Energien. Welche Chancen hat das?

Synthetische Kraftstoffe, hergestellt aus erneuerbarem Strom, sind tatsächlich der vielversprechendste Ansatz besonders für die Langstrecke. Die Technologie dafür steckt in Teilen aber noch in den Kinderschuhen, und die Kosten für diese Kraftstoffe sind deutlich höher als für fossiles Kerosin.

Damit sie sich im Markt durchsetzen können, bedarf es staatlicher Anreize und Regulierung, etwa durch Beimischquoten oder Abnahmegarantien. Auf freiwilliger Basis werden sie nur Nischenprodukte bleiben.

Rollback oder Öko-Neustart?

Kohleausstieg verschieben, CO2-Preis überprüfen, Pkw-Emissionsziele strecken: Aus Wirtschaft und Politik mehren sich die Forderungen, Klimaschutz-Regeln beim Ankurbeln der Wirtschaft auszusetzen oder zu streichen. Der Corona-Neustart muss aber genutzt werden, um Klima- und Umweltschutz den überfälligen Push zu geben. Wie, das beleuchtet Klimareporter° in einer Interview-Serie mit prominenten Fachleuten.

Flugreisenden wird heute bereits angeboten, die Emissionen durch Zahlungen zu kompensieren. Ist das nur ein Ablasshandel oder sinnvoll?

Kompensation mit Geld, das in gute Klimaschutzprojekte fließt, ist bestimmt besser, als nichts zu tun. Hier kommt es sehr auf den Anbieter an. Auf einen Flug zu verzichten ist aber unstrittig das Beste für das Klima.

Letzte Frage: Was soll eigentlich mit den derzeit nicht mehr genutzten Jets geschehen?

Die meisten der gerade geparkten Flugzeuge werden sukzessive wieder in den aktiven Dienst genommen, sobald sich der Markt erholt. Mehrere Fluggesellschaften haben allerdings schon angekündigt, dass sie ineffiziente ältere Modelle stilllegen werden.

Da diese Flugzeuge einen erheblichen Restwert haben, dürften viele allerdings verkauft werden und noch Jahre etwa in Schwellenländern in der Luft bleiben. Sie zu verschrotten wäre fürs Klima besser, aber für die Fluggesellschaften ein Minusgeschäft.