Claudia Kemfert. (Foto: Stanislav Jenis)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, nach einer zähen Nachtsitzung hat die Kohlekommission am Samstagmorgen ihren Endbericht verabschiedet. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Claudia Kemfert: Die Kohlekommission hat einen guten Kompromiss erarbeitet. Wenn alle Empfehlungen konsequent umgesetzt werden, können die Klimaziele 2030 noch erreicht, der Hambacher Wald erhalten und der Strukturwandel klug gestaltet werden.

Wichtig ist, dass die Kohlekraftwerksblöcke wie empfohlen vom Netz gehen, aber vor allem auch, dass die erneuerbaren Energien schneller als bisher ausgebaut werden und die vorgeschlagenen Gelder in Innovationen und zukunftsweisende Energiewende-Projekte fließen.

Besonders wichtig ist aber, dass diese Empfehlungen auch von der Politik so umgesetzt werden. Die Zeit der Ausreden ist vorbei, der Kohleausstieg muss nun rasch umgesetzt und die Energiewende vorangebracht werden.

Nach den Berechnungen, so von Agora Energiewende, wird mit dem Kompromiss das Klimaziel für 2020 erst 2025 erreicht. Ist das vertretbar?

Es ist die Konsequenz des Nicht-Handelns der letzten Jahre. Nachdem der Kohleausstieg, die nachhaltige Verkehrswende und Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz verschleppt wurden, muss nun Schadensbegrenzung betrieben werden.

Beim 2020er Ziel handelt es sich ja "nur" um ein freiwilliges Ziel. Die Verfehlung des 2030er Ziels kann jedoch richtig teuer werden. Daher sind die Politiker nun gefordert, endlich Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, die zu Emissionsminderungen beitragen.

Umwelt- und Klimaschützer rechnen damit, dass der Kohleausstieg in Deutschland eine Eigendynamik entfaltet, wenn erst die alten Kraftwerke vom Netz gehen, dass also die Kohleverstromung mehr und mehr unrentabel wird und schneller aus dem Markt geht, als es jetzt im Endbericht der Kohlekommission vorgezeichnet ist. Wie berechtigt ist das?

Diese Hoffnung ist nur dann berechtigt, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorangeht, und zwar nicht nur in der Stromerzeugung, sondern auch im Verkehr durch den Einsatz von mehr Elektromobilität oder nachhaltige Kraftstoffe sowie im Gebäudeenergiebereich.

Kohlekraftwerke werden in der Tat immer unprofitabler. Die Rahmenbedingungen müssen aber auch für den gesamten Energiesektor so werden, dass sich der Einsatz fossiler Energien immer weniger lohnt.

Um das Klimaziel für 2030 zu erreichen, reicht der Beitrag der Energiewirtschaft nicht aus, dazu müssen auch Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude nun "liefern". Wie sehen Sie hier die Chancen?

Besonders im Verkehrsbereich sehe ich schwarz, da nicht nur jegliche Diskussion um mögliche Instrumente für mehr Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutz im Keim erstickt wird, sondern sogar wissenschaftliche Erkenntnisse für mehr Gesundheitsschutz in Zweifel gezogen werden.

Die Arbeit der Verkehrskommission wird infrage gestellt, bevor überhaupt Empfehlungen ausgesprochen wurde. Das kann man nur als besonders schweres Politikversagen bezeichnen.

Besonders bedauerlich ist das nicht nur, weil die menschliche Gesundheit in der politischen Debatte in den Hintergrund gerät, sondern auch weil der Wirtschaft mit der Arbeitsverweigerung kein Gefallen getan wird.

Im Gegenteil: Das unnötig lange Festhalten an der Vergangenheit, die Ablehnung jeglicher umwelt- und klimaschonender Verkehrspolitik wird der deutschen Autoindustrie massiv schaden. Wir überlassen den Markt der ausländischen Konkurrenz.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dass die Kohlekommission nach derart langen und zähen Verhandlungen sowie intensiven Interventionen aus der Politik es dennoch geschafft hat, einen recht ordentlichen Kompromiss zu erzielen.

Der ist aus Klimasicht zwar nicht optimal, aber ein wichtiger Meilenstein für die Energiewende – wenn, ja wenn die Politik sich an die sofortige Umsetzung der Empfehlungen macht. Aber das wäre nun wirklich überraschend.

Fragen: Jörg Staude