Abraumbagger im Tagebau Jänschwalde in der Nacht.
Die Abraumbagger im Braunkohlentagebau Jänschwalde in der Lausitz werden in diesem Jahr ihre Arbeit voraussichtlich einstellen – die Kohlevorräte sind erschöpft. (Foto: Sandra Kirchner)

Klimareporter°: Herr Herrmann, auch im Osten Deutschlands soll der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen werden, hat Ihre Bundestagsfraktion kürzlich beschlossen. Die Grünen halten das für notwendig, damit Deutschland seine Klimaziele erfüllt. Ist ein früheres Ende der Braunkohleverstromung im Osten aber auch realistisch?

Bernhard Herrmann: Das Gesetz sieht derzeit ja vor, dass die Kohleverstromung spätestens 2038 endet. Die Braunkohle wird aber deutlich früher unwirtschaftlich werden. Darauf weisen alle Parameter eindeutig hin.

Den Ausbau der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent Anteil am Strommarkt bis 2030 und die Entwicklung des CO2-Preises im Emissionshandel kann ich nicht mit Aussagen zusammenbringen, 2038 sei das fixe Ausstiegsdatum. Wer das garantieren will, hat nicht verstanden, wie die Energiebranche wirtschaftlich funktioniert.

Der Betreiber EnBW hat beschlossen, seinen Braunkohleblock in Lippendorf bei Leipzig schon 2028 abzuschalten, sieben Jahre früher als für Lippendorf spätestmöglich gesetzlich vorgesehen. Das ist erst der Anfang. In der Braunkohle ist schon jetzt alles auf Kante genäht.

Ohne die Braunkohle lässt sich keine zuverlässige und stabile Stromversorgung sichern, entgegnen hier die Ministerpräsidenten der Ost-Kohleländer.

Porträtaufnahme von Bernhard Herrmann.
Foto: Daniela Schleich

Bernhard Herrmann

ist selbstständiger Wasserbauingenieur in Chemnitz (Sachsen) und seit 2021 Bundestagsabgeordneter der Grünen. Sein Schwerpunkt im Bundestag ist die Energiepolitik.

Keine Frage: Eine sichere Versorgung und ein stabiles Stromnetz müssen wir jederzeit garantieren, das ist klarer gesetzlicher Auftrag. Dazu beschleunigen wir die Genehmigungsverfahren für die Erneuerbaren und den Netzausbau.

Im Februar kam die Bundesnetzagentur in einer Analyse auch klar zum Schluss: Trotz eines vorgezogenen Kohleausstiegs im Lausitzer Revier und im Revier Halle/Leipzig ist die sichere Stromversorgung gegeben. Das sei zwar ambitioniert, aber möglich und nötig, sagt die Netzagentur.

Dazu hält die Behörde aber auch den Bau von 17.000 bis 21.000 Megawatt neuer Gaskraftwerke für notwendig. Die sollen einspringen, wenn die Erneuerbaren allein nicht ausreichen, und außerdem "H2-ready" sein, also auf Wasserstoff umgestellt werden können. Bis die ersten dieser Gaskraftwerke am Netz sind, gehen mindestens noch zwei, drei Jahre ins Land. So lange werden wir auf Braunkohlestrom nicht verzichten können.

Sicher, wir müssen zügig vorankommen, um mit dem marktgetriebenen Ausstieg aus der Braunkohle Schritt zu halten. Ich bin da sehr zuversichtlich. In Sachsen sind derzeit allein 100 Windkraftanlagen in der Genehmigung, ebenso wie neue Gaskraftwerke. Früher kamen in manchen Jahren nur ein oder zwei Windräder ans Netz. Das ist eine deutliche Beschleunigung.

West-Versorger wie EnBW oder auch RWE können sich doch leichter von der Kohle trennen, weil sie schon ein großes Portfolio an Erneuerbaren haben. RWE erzeugt bereits gut 20 Prozent seines Stroms auf erneuerbarer Basis. Beim größten Ost-Kohleverstromer, der Leag, liegt dieser Anteil noch unter einem Prozent. Sehen Sie da nicht eine unterschiedliche Betroffenheit im Kohleausstieg?

Braunkohle Ost

Im Osten laufen noch fünf große Braunkohle-Kraftwerke. In der Lausitz sind das Jänschwalde (3.000, ab 2024 noch knapp 2.000 Megawatt), Schwarze Pumpe (1.600 Megawatt) und Boxberg (2.575 Megawatt). Im Revier Halle/Leipzig kommt Braunkohlestrom aus Lippendorf (1.750 Megawatt) und Schkopau (900 Megawatt).

Der gesetzliche Abschaltplan sieht vor, bis Ende 2028 Jänschwalde vollständig vom Netz zu nehmen, bis Ende 2029 auch die Hälfte der Boxberger Leistung. Der Energiekonzern EnBW kündigte kürzlich an, seinen Block im Kraftwerk Lippendorf 2028 vorfristig stillzulegen. Die Leistung des Kraftwerks würde sich dann halbieren.

Endgültig abgeschaltet laut Gesetz würden dann Schkopau Ende 2034, Lippendorf Ende 2035 sowie Boxberg und Schwarze Pumpe Ende 2038.

In der Hinsicht gibt es klare Unterschiede zwischen Ost- und West-Kohlenrevieren. Noch. Auch die Leag hat mit dem Einstieg in die Erneuerbaren begonnen, denn sie weiß, dass enormer wirtschaftlicher Druck auf ihrem Braunkohlegeschäft lastet und sie neue Geschäftsfelder erschließen muss.

Sie steigt breit in die Wind- und Solarenergie ein und stellt viele gut bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Erneuerbaren-Branche ein. Die Leag wird in naher Zukunft mehr Geld mit Erneuerbaren umsetzen als heute mit der Kohle.

Das Problem ist ein anderes. Bei den Erneuerbaren entstehen viele gut bezahlte Jobs. Im Osten, vor allem in der Lausitz, gibt es aber einen eklatanten Arbeitskräftemangel.

Deswegen brauchen wir ein klares Bekenntnis, dass man künftig im Erneuerbaren-Bereich im Osten auch gutes Geld wie bisher mit der Kohle verdienen kann. Das fördern wir als Ampelkoalition in Berlin mit unseren neuen Gesetzen.

Manche Ministerpräsidenten pflegen beim Strukturwandel noch immer eine Kultur des Verhinderns und bauen das Bild: Wenn die Kohle vom Netz ist, geht das Licht aus in den Revieren. Wir aber schaffen gute Arbeitsplätze, prosperierenden Aufbruch und Klimaschutz.

Als ihr größtes Pfund sieht die Lausitzer Leag, dass sie über mehr als 30.000 Hektar Bergbaufolgeflächen verfügt, die genügend Platz für Solar- und Windparks bieten. Damit diese dort errichtet werden können, änderte die Ampel-Koalition extra das Baugesetzbuch. Die Ost-Kohleländer müssen das aber noch per Rechtsverordnung umsetzen. Wie steht es darum?

Braunkohle-Jobs

Ende 2021 sollen in der Braunkohlewirtschaft nach Branchenangaben bundesweit gut 18.000 Beschäftigte tätig gewesen sein. Aber selbst in den Braunkohle-Bundesländern ist nach verschiedenen Studien der Anteil der direkt und indirekt in und durch die Branche Beschäftigten relativ gering, gemessen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen.

Dieser Anteil liegt in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt nur bei rund 0,2 Prozent. Allein für Brandenburg ergeben sich mit 0,4 Prozent direkt und 0,8 Prozent indirekt Beschäftigten etwas größere Anteile.

Der einseitige Zugriff auf Flächen in den Ost-Revieren ist noch immer eine besondere Situation. Wir Bündnisgrünen sind dafür, dass es auch in diesen Kohlerevieren Akteursvielfalt bei Zukunftsenergien gibt, auch mit Bürgerenergie, Unternehmen und Stadtwerken. Es gilt zu vermeiden, dass wir in den Ost-Revieren weiter von einem Großakteur abhängig sind.

Zum einen muss sich ein Kohleverstromer wie die Leag entwickeln können, um zukünftig gut zu wirtschaften. Zum anderen müssen aber auch Wege für kleinere Akteure frei werden. Die stehen schon in den Startlöchern und wollen Wind- und Solaranlagen bauen. Ziel muss es sein, die Energiewende dezentral auszurichten, und nicht, ein Kohlestrom-Oligopol zu einem Grünstrom-Oligopol werden zu lassen.

In ihrem Koalitionsvertrag hielt die Ampel fest, es werde die Errichtung einer Stiftung oder Gesellschaft geprüft, die den Rückbau der Kohleverstromung und die Renaturierung organisiert. Wie steht es um dieses Vorhaben?

Wir wissen als Abgeordnete sehr gut, dass die Frage des Zugriffs auf die Mittel zur Rekultivierung keineswegs in trockenen Tüchern ist. Ob es möglich ist, das mittels einer Stiftung sicherzustellen, und unter welchen Bedingungen die Einrichtung einer oder mehrerer solcher Stiftungen sinnvoll ist – das prüfen wir gerade und sind in Gesprächen.

"Ziel muss eine dezentrale Energiewende sein und nicht, ein Kohlestrom-Oligopol zu einem Grünstrom-Oligopol werden zu lassen."

Zwei getrennte Stiftungen erscheinen dabei sinnvoll, da die Situation in den Ost-Revieren in der Tat eine ganz andere ist als im Rheinland. Jedenfalls muss gesichert sein, dass die Leag ihrer Pflicht zur Rekultivierung nachkommt und die entsprechenden Gelder der Leag bereitstehen.

Die Regierungschefs der drei Ost-Kohleländern beharren bisher auf dem Endjahr 2038 und erklären unisono: Wenn die Bundesregierung einen früheren Ausstieg will, kann sie doch einfach das Gesetz ändern und zum Beispiel 2032 oder 2033 hineinschreiben. Für diese Jahreszahlen gibt es in den Ost-Ländern hie und da Sympathien. Warum ändert die Ampel nicht einfach das Gesetz?

Zunächst hält ja das geltende Gesetz fest, dass 2038 das späteste Ausstiegsdatum ist. Ein spätestes ist kein fixes oder gesichertes Datum. Insofern wird auch ohne neues gesetzliches Ausstiegsdatum der Kohleausstieg deutlich vor 2038 kommen. Es ist unverantwortlich, den Leuten zu suggerieren, 2038 sei in Stein gemeißelt.

Wegen der ökonomischen Realität des vorgezogenen Ausstiegs brauchen wir gute Rahmenbedingungen für die Transformation und für gute Arbeitsplätze. Gerade die Lausitz muss Energie- und Industrieregion bleiben, zukunftsfähig werden. Das ist viel wichtiger, als das Gesetz zu ändern. Der Klimaschutz ist für uns Grüne essenziell, aber immer eingebettet in soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Braunkohle-Emissionen

Wird eine Tonne Braunkohle verstromt, entsteht ungefähr eine Tonne CO2. Ein Abschalten aller Braunkohlekraftwerke bis 2030 könnte so die CO2-Emissionen um bis zu 120 Millionen Tonnen jährlich senken.

Laut deutschem Klimaschutzgesetz darf die Energiewirtschaft 2030 nur noch 108 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Das sind 148 Millionen Tonnen weniger als heute. Wie diese Minderung ohne weitgehende Einstellung der Braunkohle-Verstromung erreicht werden kann, ist unklar.

Zudem ist das Kohlebeendigungsgesetz mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern verknüpft. Den kann der Staat nicht einseitig aufkündigen. Da braucht es eine Einigung mit den Betreibern. Mit RWE hat das schon geklappt. Und ich bin zuversichtlich, das bekommen wir auch mit der Leag hin.

Wir müssen uns ehrlich machen: Wann wird das Ende der Kohle kommen? Und was bedeutet das für alle Prozesse, inklusive der Mittel für die Sanierung des Bergbaus, für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und nicht zuletzt für die Schaffung gut bezahlter Industriearbeitsplätze?