Im letzten Jahrzehnt gab es einen Hype ums autonome Fahren. Fast jeder namhafte Autohersteller machte große Ankündigungen dazu, Pilotprojekte wurden gestartet.
Die Hoffnung war: Bereits Mitte der 2020er Jahre könnten erste Pkw ohne Lenkrad und Pedale alle Fahraufgaben allein bewältigen, auf jeder Straße, bei jedem Wetter und in komplexesten Verkehrssituationen. Inzwischen ist die Euphorie zumindest hierzulande abgeklungen.
Doch nun könnten ausgerechnet die öffentlichen Verkehrsbetriebe, sonst nicht eben Hort der Innovation, eine Vorreiterrolle dabei übernehmen. Der Grund: Selbstfahrende Busse sollen helfen, den grassierenden Personalmangel zu beheben.
Unlängst kündigte das Verkehrsunternehmen in Deutschlands größter Stadt, Berlin, ein solches Projekt an. Autonom fahrende Kleinbusse könnten danach bereits in gut zwei Jahren Teil des dortigen Nahverkehrs werden. Der Senat und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen eine größere Anzahl von fahrerlosen Bussen in Betrieb nehmen.
Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) sagte auf einer Veranstaltung zum Nahverkehr in der Hauptstadt, sie erwarte für das erste Halbjahr 2027 eine Zulassung dafür. Bisher gab es in Berlin bereits einige Tests mit autonomen Kleinbussen, etwa auf dem Gelände des Charité-Campus und im Stadtteil Tegel.
Bundesweit 45 Projekte
Längerfristig soll damit nicht nur ein besseres Angebot an die Kunden erreicht werden, es geht auch um ein Mittel gegen den Personalmangel bei der BVG. "Wir sehen, wie schwer es der BVG fällt, Fahrer zu finden", sagte Bonde. Daher sei es wichtig, autonom fahrende Fahrzeuge zu entwickeln.
Mitte des Jahres hatte eine Analyse im Auftrag des Senats ergeben, dass die BVG mit ihren Bussen 2024 nur eine Fahrleistung von 90,2 Millionen Fahrkilometern statt der vom Land bestellten 97,9 Millionen erreichen wird. Einen so niedrigen Wert hatten die Verkehrsbetriebe zuletzt 2016 erbracht.
Als Begründung war vor allem der Mangel an Fahrpersonal genannt worden. Zum Fahrplanwechsel 2023 hatte die BVG auf 44 Buslinien die Takte ausgedünnt.
Deutschlandweit gab und gibt es eine ganze Reihe von Versuchen mit selbstfahrenden Bussen. Eine Übersicht des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) listet 45 Projekte in fast allen Bundesländern auf, vom "Marktliner" in Aachen bis zum "Autonomen Nahverkehr" in Wusterhausen/Dosse. Im Rhein-Main-Gebiet soll ein neuer Testbetrieb mit "Kira"-Shuttles in Darmstadt und im Kreis Offenbach im nächsten Jahr starten.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erwartet in diesem Sektor einen zeitnahen Durchbruch. "2026, spätestens 2027 werden selbstfahrende Robo-Busse in den ersten Städten in Deutschland unterwegs sein und Fahrgäste transportieren", sagte KBA-Präsident Richard Damm unlängst der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Es sei zu erwarten, dass es in fünf bis zehn Jahren einen breiten Einsatz selbstfahrender Busse geben werde, aber auch von Lkw, die ganz ohne Fahrer unterwegs sind. In den USA seien viele Logistikunternehmen längst dabei, für Langstrecken auf autonome Lkw zu setzen und sich dafür Partner zu suchen.
"Viel näher am Gefühl eines eigenen Autos"
Die Verkehrsbetriebe rief Damm auf, den Robo-Bus-Zug nicht zu verpassen. "Die Anschaffung ist zwar teuer, aber die Vorteile, die gewonnene Flexibilität, sind riesig." Noch nicht alle Verkehrsbetriebe hätten das erkannt, sie sollten schnell umdenken.
Vorreiter beim Einsatz autonomer Kleinbusse in Großstädten ist Hamburg, mit dem Berlin bei dem aktuellen Projekt kooperiert. Der dortige Verkehrsbetrieb, die Hamburger Hochbahn, will bereits Mitte 2025 die erste selbstfahrende Flotte in einem Testbetrieb laufen lassen.
Das Gebiet in der zweitgrößten Stadt Deutschlands, in dem die Busse ohne Fahrer unterwegs sein sollen, umfasst immerhin ein Areal von 37 Quadratkilometern. Bis 2030 will Hamburg die Flotte deutlich hochfahren, dann sollen bis zu 10.000 der unterschiedlichen Fahrzeuge, die vier bis zwölf Plätze haben werden, das Angebot der Hochbahn ergänzen.
Die treibende Kraft hinter den Busprojekten in Berlin und Hamburg ist BVG-Vorstandschef Henrik Falk, der vorher auch Chef der Hamburger Hochbahn war. Er glaubt, dass viele Menschen sich nur zu einem Umstieg in Busse und Bahnen animieren lassen, wenn deren Takte verdichtet werden.
Zu seinem Amtsbeginn in Berlin sagte Falk dem Tagesspiegel: "Die Schlüsseltechnologie für die Mobilitätswende ist, mit autonomem Fahren viel näher an das Gefühl eines eigenen Autos heranzukommen. Da käme ich mit dem klassischen ÖPNV niemals hin." Die autonomen Kleinbusse könnten häufiger, näher zu den Wohngebieten und gegebenenfalls auch "on demand" verkehren.
Vorbild USA
Allerdings wird offenbar auch daran gedacht, den klassischen Busverkehr zunehmend mit autonomen Systemen abzuwickeln. So testet ein Forschungsteam der Technischen Universität Berlin, einen normalen Zwölf-Meter-Linienbus mit über 30 Sitzplätzen autonom durch die Stadt fahren zu lassen, bisher noch ohne Fahrgäste.
Bei dem Projekt "Be-Intelli" darf das Fahrzeug unter bestimmten Bedingungen selbst steuern, es muss aber eine Person am Steuer sitzen, um eingreifen zu können. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat im September dazu eine Erprobungsgenehmigung für "Level 3" des autonomen Fahrens erteilt. Die Teststrecke verläuft zwischen dem Brandenburger Tor und dem Kurfürstendamm.
Der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie begrüßt die Entwicklung. "Selbstfahrende Autos sind in der Tat der Gamechanger in der Verkehrsbranche, und es ist gut, dass sich die BVG hier engagiert", sagt er.
Allein mit klassischen Bussen und Bahnen werde man die Menschen vom Auto nicht in den öffentlichen Verkehr hineinbekommen, so Knie. Die Angebote müssten flexibel abrufbar, jederzeit verfügbar sein und alle Orte ansteuern können.
Als Beispiel verweist auch Knie, Professor am Wissenschaftszentrum Berlin, auf die USA. Dort zeigten die Unternehmen Uber und Waymo gerade in der Metropole San Francisco, wie die alte Idee des "Anrufsammeltaxis" als Robo-Taxi mit Poolingfunktion eine völlig neue Angebotsqualität biete, die auch Autofahrende zum Umstieg bewege.
"Insofern sind autonome Fahrzeuge als Teil des öffentlichen Verkehrs eine Schlüsseltechnologie bei der Verkehrswende", meint der Experte.
Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.