Seit Anfang 2017 werden die Klimaanlagen fast aller Neuwagen in Deutschland und Europa mit dem umstrittenen Kältemittel R1234yf ausgerüstet. Das Umweltbundesamt (UBA) warnt jetzt vor möglichen negativen Folgen für die Trinkwassergewinnung, nachdem Umweltforscher die Chemikalie und Abbauprodukte davon an immer mehr Messstellen in der Luft und in Gewässern gefunden haben. Das UBA fordert die Autoindustrie auf, möglichst schnell auf andere Kältemittel umzusteigen.
"Wir beobachten mit Sorge den verstärkten Einsatz des Kältemittels R1234yf in Pkw-Klimaanlagen und auch in stationären Kälteanlagen", sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Das sei problematisch, da die Chemikalie und ihr Zerfallsprodukt Trifluoressigsäure (TFA) auch in die Umwelt gelangten.
TFA ist als wassergefährdend eingestuft und schwer abbaubar, außerdem giftig für Algen. "Aus dem Trinkwasser kann TFA mit den üblichen Aufbereitungsverfahren nicht entfernt werden, sodass weitere Einträge unbedingt vermieden werden müssen", warnte Krautzberger.
In Gewässern liegt die TFA-Gesamtbelastung aus allen Quellen – dazu gehören Landwirtschaft und Industrie – laut Messungen der Bundesländer teilweise schon in Höhe des vom UBA empfohlenen Vorsorgewertes ("gesundheitlicher Orientierungswert"). Dieser beträgt drei Mikrogramm der Substanz pro Liter. Umweltexperten befürchten, dass die sukzessive Umstellung der kompletten Pkw-Flotte auf das neue Kältemittel die Werte weiter ansteigen lässt.
Die UBA-Chefin hält einen "Verzicht auf fluorierte Kältemittel wie R1234yf für die richtige Antwort". Sie verwies darauf, dass es für die Kühlung und Klimatisierung in fast allen Anwendungsbereichen Alternativen mit natürlichen Kältemitteln wie Kohlendioxid (CO2), Kohlenwasserstoffe und Ammoniak gebe.
CO2-Klimaanlagen nur für drei Modelle im Angebot
"Für Pkw bietet sich die Klimatisierung mit CO2 an", sagte Krautzberger. Das vor 2017 in Auto-Klimaanlagen standardmäßig eingesetzte Kältemittel R134a wurde in der EU verboten, weil es als sehr starkes Treibhausgas wirkt, wenn es in die Atmosphäre gelangt.
Die Autobauer Daimler und Audi haben CO2-Klimanlagen entwickelt, bieten sie bisher aber nur in insgesamt drei Modellen an, die weitere Einführung stockt. Alle anderen Neuwagen in Deutschland laufen mit dem von den US-Chemiekonzernen Honeywell und Chemours produzierten Kältemittel R1234yf. Daimler hatte die alternative Klimaanlage entwickelt, nachdem sich die Chemikalie 2012 bei Tests im Motorraum entzündet hatte, wobei hochgiftige Flusssäure entstand.
"Es ist höchste Zeit, dass die deutsche Autoindustrie die schon mehrfach angekündigten und langfristig nachhaltigen CO2-Klimaanlagen nun auch in größeren Stückzahlen in weiteren Modellen anbietet", sagte Krautzberger.
Die Umweltbehörde selbst hat gute Erfahrungen mit der CO2-Technik gemacht – nämlich in einem Dienstfahrzeug, das mit einer CO2-Prototyp-Klimaanlage ausgerüstet worden war. Es sei über Jahre im täglichen Einsatz ohne Probleme gelaufen, und "in normalen europäischen Sommern" sogar mit niedrigerem Energieverbrauch als die der Serien-Klimaanlage.
Das UBA hält die Einführung der CO2-Technik gerade auch mit Blick auf die Elektromobilität für wichtig. Für Elektroautos ergäben sich Vorteile, da die CO2-Anlage im Wärmepumpenbetrieb auch einen Teil der Heizenergie liefern könne, was die Reichweite der Fahrzeuge erhöht.
Chemikalie selbst auf Alpengipfeln nachweisbar
Forscher der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in der Schweiz finden das Kältemittel R1234yf immer öfter bei ihren Luftanalysen, die sie im Alpenraum durchführen. An der Messstelle in Dübendorf bei Zürich fand es sich 2017 in allen genommenen Proben und an der Messstelle auf dem 3.580 Meter hohen Jungfraujoch in 46 Prozent, wie Empa-Forscher Martin Vollmer mitteilte.
Die Experten arbeiten daran, die Kältemittel-Messungen europa- und auch weltweit auszudehnen – im sogenannten Agage-Messnetz –, da es sich um eine zunehmend wichtige Luftbelastung handele. Vollmer hält die Entwicklung beim R1234yf-Einsatz für "bedenklich, da es sich bald um sehr große Mengen handeln wird und man von der Chemie noch relativ wenig versteht".
Das Kältemittel zerfällt, wenn es durch Undichtigkeiten oder unsachgemäße Befüllung der Klimaanlagen in die Atmosphäre gelangt, sehr schnell, weswegen seine Klimawirksamkeit gering ist. Allerdings entstehen gleichzeitig die problematischen Abbauprodukte wie die TFA, die durch Regen auf den Boden und in die Gewässer gelangen.
Ein Plädoyer für die Abkehr in R1234yf kommt auch von dem Umweltexperten Wolfgang Lohbeck, auf dessen Initiative hin vor rund 25 Jahren der erste Haushalts-Kühlschrank entwickelt worden war, der ohne den Klimakiller R134a betrieben wurde. Lohbeck hat EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska aufgefordert, die Entwicklung und Anwendung von Alternativen zu fördern, "also Anlagen mit natürlichen Kältemitteln wie CO2, Propan oder Isobutan".
Außerdem bittet er sie in einem Brief "dringend, dazu vordringlich das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzustellen". Brüssel hat die Bundesregierung verklagt, weil sie nicht gegen den Autobauer Daimler eingeschritten war, der R1234yf wegen seiner Sorgen um die Brandgefahr erst verspätet eingesetzt hatte. Damit droht Deutschland eine millionenschwere Strafe.
Er halte die Klage für "unangemessen und kontraproduktiv", argumentiert Lohbeck, weil sie den Umstieg von den synthetischen Kältemitteln und den Umstieg auf natürliche Substanzen behindere.
Der damalige Greenpeace-Mitarbeiter hatte Anfang der 1990er Jahre beim sächsischen Hersteller Foron den ersten Öko-Kühlschrank "Greenfreeze" entwickeln lassen. Die Technik hat sich heute bei nahezu allen Herstellern weltweit als Standard durchgesetzt und wurde inzwischen mehr als 900 Millionen Mal verkauft.