Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.
Klimareporter°: Herr Knie, das Bundeskabinett hat in dieser Woche eine der bisher größten Energie-Reformen beschlossen. Ziel ist ein komplett erneuerbares Stromsystem bis 2035. Umweltverbände kritisieren, dass in dem Paket Maßnahmen für Gebäude und Verkehr fehlen. Ist das bei den 600 Seiten, die das Gesetzeswerk schon hat, nicht ein bisschen viel verlangt?
Andreas Knie: Das, was die Bundesregierung in Sachen Verkehr zurzeit an Politik anbietet, ist erbärmlich. Wir haben die Erfahrungen der Pandemie, wir haben die Klimakrise und wir haben Krieg. Die Menschen sind bereit, ihr Verhalten anzupassen und weniger Auto zu fahren.
Es wäre die Gelegenheit, ein generelles Tempolimit auf Bundesautobahnen von 100 Kilometern pro Stunde sowie flächendeckend Tempo 30 in Städten einzuführen. Einmal im Monat gäbe es am Sonntag ein generelles Fahrverbot.
Stattdessen wird wie wild kompensiert, was teuer erscheint, und dazu noch ein bürokratisches Monster zum Transfer geboren. Das ist Politik im Stil eines teuren Populismus, die den Menschen einfach nichts zutraut.
Erstmals kommen Energieimporte auf die Liste der Sanktionen gegenüber Russland. Die EU-Kommission reagiert damit auf die Ermordung von Zivilisten bei Kiew. Zunächst geht es um Kohle, nicht um Gas und Öl. Kommt Deutschland an einem Energieembargo gegenüber Russland doch nicht vorbei?
Wir haben es immer noch nicht verstanden: Mit unseren Verbrennungsmotoren finanzieren wir Putins Krieg. Es hilft auch nicht, im Nahen Osten um Öl und Gas zu betteln. Wir sind mit unserem raumgreifenden Lebensstil abhängig von Autokraten und wir unternehmen beim Verkehr einfach nichts, um das zu ändern. Wir haben den Eisberg im Blick und geben gerade nochmal richtig Vollgas.
Kurz vor dem 1. April hat Staatssekretärin Kluckert vom FDP-geführten Verkehrsministerium mitgeteilt, dass die Planungsausschreibungen zum Weiterbau der Berliner Stadtautobahn A 100 veröffentlicht wurden. Haben Sie im ersten Moment ernsthaft glauben können, dass im Jahr 2022 ein Bundesministerium auf die Idee kommt, eine neue Betonpiste mitten durch eine Stadt zu bauen?
Die Staatssekretärin hat nur ausgeplaudert, was das Verkehrsministerium denkt: Wir bauen Straßen, immer mehr und immer teurer, weil wir in Deutschland überhaupt keinen Knopf zum Abstellen dieser Baumaschine haben.
Wir brauchen ein sofortiges Moratorium für alle Straßenneubauten! Wir müssen weg von der Dominanz des Autos und Alternativen suchen. Wir haben in der Pandemie den Nahraum neu kennengelernt und viele von uns müssen nicht mehr jeden Tag sehr lange Wege mit dem Auto pendeln.
Das Verkehrsvolumen mit dem Auto lässt sich ohne Einschränkungen unserer Freiheiten um gut ein Drittel verringern. Wir brauchen dann keine neuen Straßen und die Abhängigkeit von Putins Öl wäre auch gebannt.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Dass wir keine Schilder haben, um Tempo 100 auf deutschen Autobahnen einzuführen. Wie lächerlich kann man sich als Minister eigentlich machen? Was für ein Argument gibt es, jetzt immer noch kein Limit einzuführen? Die Freiheit der Menschen? Die hört auf Autobahnen wie generell im Verkehr dort auf, wo die Unfreiheit der anderen beginnt.
Kein Land, wirklich kein Land in der Welt erlaubt sich noch diesen sehr gefährlichen Unsinn. Es sind übrigens nur noch ältere Männer und die FDP, die dagegen sind. Die könnten doch alle auf unseren verwaisten Formel‑1-Rennstrecken fahren – so schnell sie können und immer schön im Kreis.
Fragen: Jörg Staude