Fürs Erste rettet das neue Klimaschutzgesetz den Verkehr vor zu viel Klimaschutz. Die einst verpflichtende jährliche Emissionsvorgabe ist künftig nur noch eine Größe, an der sich Politik orientieren soll.
Das kauft dem Verkehr klimapolitisch zwar Zeit, am Ende muss aber auch er 2045 weitgehend klimaneutral sein – wie die anderen Sektoren.
Derzeit droht der Verkehr aber bis 2030 etwa 180 Millionen Tonnen CO2 zu viel zu emittieren. Sein Anteil am deutschen CO2-Ausstoß beträgt inzwischen fast 22 Prozent. Im kommenden Jahrzehnt wird der Verkehr den Energiesektor als Hauptverschmutzer ablösen.
Prognosen sagen jetzt schon: Gerade nach 2030 werden sich die fordernden Blicke auf den Verkehr richten. Andere Bereiche wie Energie werden dann die Mehremissionen des Verkehrs nicht mehr kompensieren können.
Gleichzeitig werden dann die Verkehrsemissionen immer noch so hoch sein, dass "erhebliche" und "schnelle" Emissionseinsparungen unumgänglich sind, betont eine heute veröffentlichte Analyse des Thinktanks Agora Verkehrswende. Mit der Erstellung wurde die Basler Beratungsfirma Prognos beauftragt.
"Mobilitätsverzicht ist nicht erforderlich"
In Zahlen stellt der 20-seitige "Ergebnisbericht" das akute Problem so dar: Bleibt es bei der jetzigen Klimapolitik, wird der Verkehr von 2021 bis 2045 etwa 2,2 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Für das Ziel Klimaneutralität 2045 steht dem Sektor aber höchstens noch ein Restbudget von 1,65 Milliarden Tonnen zu Verfügung. Hält er das nicht ein, wird es nichts mit Deutschlands Klimaneutralität, das macht auch die Agora-Prognos-Studie klar.
Um auf den Klimaneutralitätspfad zu kommen, entwerfen die Studienautoren zwei Szenarien. Beim ersten wird angenommen, dass auch die nächste Bundesregierung keine zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr ergreift und in dem Sektor erst nach 2030 umgesteuert wird.
In diesem "Wende-2030-Szenario" gelte es dann, den Verbrenner-Bestand bei den Fahrzeugen "sehr schnell" zu senken, sagt Carl-Friedrich Elmer. Nötig seien dazu Stilllegungsprogramme für Verbrenner sowie der verstärkte Einsatz synthetischer Kraftstoffe, erläutert der Experte von Agora Verkehrswende.
In dem zweiten, dem "Wende-2025-Szenario" wird angenommen, dass sich die Regierenden doch noch entschließen, vom kommenden Jahr an weitergehende Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr zu ergreifen.
Konkreter Vorschläge zu Klimamaßnahmen enthält sich die Studie jedoch. Eher geht es in der Ausarbeitung darum, den Status quo auf Grün umzustellen. Ausdrücklich wird betont: "Ein Mobilitätsverzicht ist nicht erforderlich." Sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr soll die Verkehrsleistung bis 2045 weiter ansteigen, beim Gütertransport sogar um gut 25 Prozent.
Auch der motorisierte Individualverkehr verändert sich nur wenig. Für 2045 rechnet die Studie mit 38 Millionen Autos – gegenüber aktuell 49 Millionen sowie 54 Millionen, wenn keines der beiden Klimaneutralitätsszenarien eintritt. Verkehrswende heißt hier im Wesentlichen: Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner, also eine Antriebswende.
Außerdem soll sich der Anteil des öffentlichen Verkehrs verdoppeln – von derzeit 15 auf knapp über 30 Prozent.
Deutschlands Verkehrssystem ist schon heute sehr teuer
Die Verkehrswende soll in beiden Szenarien vor allem mithilfe öffentlicher und privater Investitionen realisiert werden. Dieses Vorgehen hat seinen Preis: Für den Zeitraum von 2023 bis 2045 veranschlagt die Analyse für das schnellere 2025er Szenario Kosten von gut 9.400 Milliarden Euro – also 9,4 Billionen –, um am Ende ein klimaneutrales Verkehrswesen zu haben.
In dem Erst-ab-2030-Szenario kommen dabei laut den Angaben noch einmal gut 600 Milliarden Euro am Kosten hinzu – vor allem wegen der unausweichlichen "Abwrackprämie" für Verbrenner und um den Bedarf nach den teuren E‑Fuels zu decken.
Gegenüber den errechneten 9,4 oder gar zehn Billionen Euro für die Verkehrswende nehmen sich die jüngst verkündeten, bis 2035 anfallenden Kosten der Energiewende von 1,2 Billionen Euro fast wie Peanuts aus.
Heutige Verkehrsverhältnisse sind für private wie öffentliche Haushalte eben eine kostspielige Sache. Laut der Studie lagen 2019 die jährlichen Ausgaben im Verkehrssektor bei insgesamt rund 350 Milliarden Euro, rechnet man die Aufwendungen für Fahrzeuge, Personal, Infrastruktur, Energie und Wartung zusammen.
Auf 20 Jahre gesehen kämen so allein für den Status quo rechnerisch rund 7.000 Milliarden oder sieben Billionen Euro zusammen. Der Unterschied zu den Kosten des 2025er-Wende-Szenarios in der Studie ist offensichtlich nicht mehr allzu groß.
Bei schnellem und entschlossenem Handeln könne der Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral werden – und das bei vollständiger Aufrechterhaltung der Mobilität, fasst Agora-Vizechefin Wiebke Zimmer ihrerseits die Studienergebnisse zusammen.
Politisches Zögern werde hingegen seinen Preis haben, betont Zimmer. Entweder werde Deutschland seine Klimaziele verfehlen oder die Klimaneutralität könne nur mit höheren Kosten, Strukturumbrüchen sowie der Entwertung von Investitionen erreicht werden, so die Verkehrsforscherin.
Entsprechend fordert Zimmer von der Bundesregierung ein Finanzierungskonzept für eine Verkehrswende: "Wenn wir früh investieren, profitieren wir auch in der Langfristperspektive."
Auf die Frage, ob es wirklich so eine gute Idee ist, das heutige Verkehrssystem mehr oder weniger eins zu eins ins Grüne transformieren zu wollen, geht Zimmer nicht direkt ein. Die Studie betrachte, wie sich die großen Kostenblöcke im Verkehr entwickeln, wenn man den Pfad zur Klimaneutralität einschlage, entgegnet sie. Auch sei die angenommene Verdopplung des öffentlichen Verkehrs durchaus "ambitioniert".