Andreas Knie. (Bild: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, auch 2025 soll es das Deutschlandticket geben, entschieden kürzlich die Länder-Verkehrsminister. Weil rund 1,5 Milliarden Euro bei der Finanzierung fehlen, soll das Ticket teurer werden – um wie viel, ist noch unklar. Lassen sich die 1,5 Milliarden wirklich nicht in den Haushalten von Bund und Ländern auftreiben?

Andreas Knie: Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland wird hoch subventioniert, das gilt für alle Verkehrsträger. Es ist also jede Menge Geld im System. Die Frage ist nur: Wie wird es verteilt?

Festzustellen ist, dass die Prioritäten immer noch die gleichen sind wie vor 50 Jahren. Die Straße steht ganz vorne. Dabei haben wir dort abnehmende Verkehrsleistungen. Ein Verkehrsmittel weiterhin mit viel Geld zu unterstützen, obwohl es bei den Nutzern einen abnehmenden Grenznutzen hat, ergibt keinen Sinn.

Also wäre es viel wirksamer, die Verkehrsmittel zu unterstützen, die noch Potenzial nach oben haben. Das sind die Füße, das Fahrrad sowie Busse und Bahnen.

Allerdings brauchen wir zuerst eine Entrümpelung der Strukturen des öffentlichen Verkehrs. Die Länder müssen die Kontrolle über den Schienenpersonennahverkehr wieder abgeben. Der Nahverkehr auf der Schiene muss bundeseinheitlich gemeinsam mit dem Fernverkehr gebündelt, integriert und aus einem Guss angeboten werden. Die Zweckverbände und Bestellorganisationen sind daher aufzulösen, die Verkehrsverbünde organisatorisch auszudünnen.

Da ließe sich auch noch jede Menge Geld sparen, das dann in den unmittelbaren Betrieb von Bussen, Bahnen und Taxis gesteckt werden könnte.

Als Argument gegen ein billiges Deutschlandticket wird angeführt, dass ein niedriger Preis nicht viel nützt, wenn gerade im ländlichen Raum kaum öffentlicher Nahverkehr unterwegs ist. Haben die Kritiker da nicht recht?

Bei den diskutierten Tarifreformen für den öffentlichen Verkehr geht es darum, mehr Menschen für Busse und Bahnen zu begeistern. Allerdings hat die Reputation der Bahn sehr gelitten und Busse bedienen die individuellen Wünsche der Menschen nur unzureichend.

Daher geht der Einstieg nur über den Preis. Das Neun-Euro-Ticket hat dies wunderbar bewiesen. Denn plötzlich war der öffentliche Verkehr in aller Munde, er war Tagesgespräch – und dies erst mal unabhängig davon, ob es einen direkten Zugang zu den Angeboten gab.

Beim Deutschlandticket hat sich dagegen gezeigt, dass der Preis viel zu hoch ist. Die Begeisterung kam nicht wieder, es wurde nüchtern kalkuliert. Und die dann gekauft haben, waren überwiegend Menschen, in deren unmittelbarer Nähe Busse und Bahnen tatsächlich verfügbar sind.

Wir benötigen daher einen echten Kracher, um die Klimaziele zu erreichen: 29 Euro für alles – für Nah- und Fernverkehr sowie Taxis für die erste und letzte Meile.

Reiche Menschen hierzulande verursachen doppelt so viele CO2-Emissionen wie arme, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das liegt an der Mobilität: Reiche fliegen deutlich mehr und weiter, auch ihre Autonutzung belastet das Klima stärker. Das Problem ist keineswegs neu, eine klimafreundliche Lösung scheint aber in immer weitere Ferne zu rücken – oder?

Grundsätzlich gilt immer noch: Je höher das Einkommen, desto größer die Verkehrsleistung. Besonders deutlich wird das beim Fliegen. Knapp 70 Prozent der Bevölkerung fliegen nie oder fast nie, 20 Prozent gelegentlich und nur zehn Prozent sind wirkliche Vielflieger – und das sind fast ausschließlich Menschen mit hohem Einkommen.

Die Idee wäre daher ganz einfach: Alle Deutschen haben pro Jahr drei Flugpaare zur Verfügung. Egal, wie lang und wohin. Wer öfter fliegt, muss sich von denen, die nicht fliegen, Flugrechte besorgen und dafür auch bezahlen. Das könnte man schön nach Angebot und Nachfrage regeln und so würde sich ein Flugverzicht und damit die Schonung von Umwelt und Klima auch finanziell richtig lohnen.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Dass der Autoverkehr seit 2016 im Schnitt um rund zwei bis drei Prozent im Jahr zurückgeht, das allein ist schon eine Überraschung. Die größere aber ist: Der Fakt ist auch dem Bundesverkehrsministerium bekannt. Das wird gar nicht dementiert.

Überraschend ist aber die Argumentation. O-Ton aus dem Haus Wissing: Das interessiert uns nicht, weil es ja ein kleiner Zeitraum ist. Wir müssen hier größer denken, und es gilt der alte Leitsatz der Planung: Was fehlt, sind Straßen, und Lücken müssen geschlossen werden.

Von vorübergehenden Kalamitäten wie der Veränderung des Verhaltens der Menschen lässt sich das Verkehrsministerium nicht aufhalten. Mit Daten, Zahlen, Fakten ist diesem Ministerium – und zwar unabhängig vom jeweiligen Minister – nicht beizukommen. In dem Haus werden viel größere Ziele verfolgt, die weit über die jetzige Zeit hinausreichen sollen.

Man weiß gar nicht, ob man weinen oder lachen soll.

Fragen: Jörg Staude