Die Sonne brennt auf die Weidendammer Brücke im Zentrum Berlins. Hier führt die Friedrichstraße über die Spree, die Gegend ist bei Touristen sehr beliebt. Ein paar von ihnen halten an und fragen, wo lang es denn zum Brandenburger Tor gehe. Währenddessen legen ringsherum mit dumpfem Brummen immer wieder Schiffe zu Sightseeing-Rundfahrten ab. Um sie soll es an diesem Tag gehen, deshalb steht Axel Friedrich auf der Brücke, der als Sachverständiger maßgeblichen Anteil daran hatte, dass der Dieselskandal aufflog.
"Die Schiffe haben keine Abgasreinigung, bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen", erklärt Friedrich. Vier von ihnen fahren in Berlin mit Rußpartikelfilter, die übrigen rund 100 Fahrgastschiffe stoßen ihre Abgase ungebremst in die Luft. Das habe vor allem Folgen für die Menschen direkt am Ufer: "Sie denken, sie wohnen am Wasser und haben gute Luft, aber Pustekuchen."
Friedrich hat vier Messgeräte mitgebracht, um Ruß, Feinstaub und Stickoxide (NOx) zu messen. Unterstützung bekommt er von Dietmar Oeliger, Leiter für Verkehrspolitik beim Umweltverband Nabu. Während Oeliger einen handlichen blauen Kasten in die Luft hält, der die Rußpartikel misst, widmet sich Friedrich den Stickoxid-Werten. Die Apparatur dafür ist etwas größer: Ein weißer Kasten, der auf das Skelett eines Rollkoffers geschnallt ist, ein Tablet spuckt dann die Daten aus.
"Wenn die Schiffe kommen, kommen die Spitzen rein", sagt Oeliger, das heißt: wenn ein Schiff unter der Brücke durchfährt. Sein Messgerät zeigt dann etwa den fünffachen Wert an. Dazu kommt ein unangenehmer Geruch im Nachgang. "Jedes Schiff, das ungefiltert fährt, trägt hier eine Abgasfahne hinter sich her."
Auch die NOx-Kurve schlägt sichtbar nach oben aus, auf etwa 100 Mikrogramm. Der Jahresgrenzwert, der in vielen deutschen Städten überschritten wird, beträgt 40 Mikrogramm. Später, bei einer zweiten Messung auf dem Wasser, sind es bis zu 400 Mikrogramm.
"Grüne Antriebe werden aus dem Markt gehalten"
Organisiert hat das Ganze der Verband für Elektroschifffahrt und Ladeinfrastruktur, der sich im Frühjahr in Berlin gegründet hat. Den Mitgliedsfirmen geht es nicht nur um saubere Luft, sondern auch um Geschäftsmöglichkeiten, was allerdings zusammenhängt. Sie bieten Schiffsfahrten mit emissionsfreien Antrieben an, beziehungsweise wollen ein solches Angebot aufbauen.
Doch das werde bislang massiv erschwert, sagt Vorstandssprecher Luis Lindner. Der Knackpunkt sind die Anlegestellen, die von der Stadt verpachtet werden: Hier bestehe eine Art Monopol zweier großer Anbieter, das stillschweigend immer wieder verlängert werde. Doch ohne die Haltestellen kein großes Touristen-Geschäft.
Die etablierten Anbieter wissen sich offenbar zu wehren: Trotz des hervorragenden Wetters sind relativ wenige Schiffe unterwegs. Die Reeder hätten wohl auf die angekündigten Abgasmessungen reagiert, munkeln die Veranstalter.
Besonders anschaulich wird der Konflikt, wenn es um den Humboldthafen geht. Das ist eine Bucht direkt am Berliner Hauptbahnhof. Hier soll eine neue Anlegestelle entstehen, Luis Lindner hat über sein Unternehmen "Schöne Schiffe" einen Antrag gestellt, dort mit Elektro-Fahrgastschiffen anlegen zu dürfen, ebenso der Verband. Die traditionelle Reeder-Vereinigung war ihnen jedoch zuvorgekommen.
Weil sein Antrag nicht bearbeitet werde, klagt Lindner nun gegen das Schifffahrtsamt. "Hier geht’s nur darum, Wettbewerber mit grünem Antrieb aus dem Markt zu halten", sagt er.
Zugleich geht der Berliner Senat davon aus, dass im Humboldthafen ein Betrieb mit ungefilterten Abgasen gar nicht möglich ist, ohne die Grenzwerte zu knacken – für Stickoxide wie für Feinstaub. Am Ufer entstehen gerade neue Wohnungen in bester Lage, sie wären direkt betroffen, auch vom Motorenlärm.
Berliner Senat setzt auf Förderprojekte
Bislang setzt der Senat auf Fördermittel, um die Abgase zu senken. Die Nachrüstung mit Partikelfiltern wurde bereits vor Jahren erfolgreich getestet, ein Zuschuss von 50 Prozent der Kosten dann aber nicht abgerufen. Bis Ende August konnten sich die Reeder für ein neues Pilotprojekt bewerben, dieses Mal inklusive Stickoxid-Reduzierung, beziehungsweise einem Umstieg auf Elektroantrieb, und bei voller Übernahme der Kosten durch den Senat. Bis zu 500.000 Euro sind dafür eingeplant, drei Jahre lang soll dann nachgemessen werden.
Ebenfalls Ende August musste die Berliner Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos) dem Abgeordnetenhaus berichten, wie es mit der Senkung der Schiffsschadstoffe läuft. Denn die Abgeordneten machen Druck: Anfang März verabschiedeten sie den Antrag "Saubere Luft durch schadstoffarme Schiffe". Darin fordern sie den Senat unter anderem auf, mit den Schiffsbetreibern feste Absprachen zu treffen, um deren CO2-Emissionen bis 2030 um 30 Prozent und die Feinstaub- und NOx-Emissionen um 90 Prozent zu reduzieren.
Außerdem solle Berlin eine Initiative im Bundesrat starten, damit Binnenschiffe künftig unter die städtischen Umweltzonen fallen. Das ist bei Bundeswasserstraßen wie der Spree momentan nicht der Fall. Es könne nicht sein, "dass wir eine Umweltzone in der Berliner Innenstadt haben, in die nur relativ saubere Autos einfahren dürfen. Aber auf den Gewässern kommen aus den Dieselmotoren weiterhin jede Menge giftige Abgase", kommentierte der Initiator Daniel Buchholz (SPD).
Ein erster Schritt für eine solche Initiative sei getan, ließ der Senat jetzt wissen, die Arbeitsgemeinschaft von Bund und Ländern zum Immissionsschutz erarbeite ein Konzept, prüfe technische und rechtliche Möglichkeiten. Der Elektroschiff-Verband betont allerdings, Berlin könne durchaus bereits heute Vorgaben machen, sobald ein Boot örtliche Anlegestellen nutze.
Für Luis Lindner wäre die beste Lösung, wenn die Stadt die Anleger verwalten und an die Nutzung Auflagen knüpfen würde. Sein Vorbild ist Amsterdam, dort sollen spätestens 2025 alle Schiffe emissionsfrei fahren. "Das ist ein Thema, das wir einfach noch begleiten müssen", sagt er. "Aber wo die Reise hingeht, ist, glaube ich, allen klar."