Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.
Klimareporter°: Herr Knie, die jetzt vom Bundesverkehrsminister vorgelegte "Verkehrsprognose 2040" sagt voraus: Auch in 16 Jahren wird das Auto noch das wichtigste Verkehrsmittel sein. Reicht eine Antriebswende aus, um die Klimaziele im Verkehrssektors zu erreichen?
Andreas Knie: Das Prognoseteam des Verkehrsministeriums hat sich bestimmt viel Mühe gemacht, aber herausgekommen ist ein für die aktuellen Haushaltsverhandlungen erwünschtes Ergebnis, das leider keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhält.
Laut der offiziellen Prognose wird der Güterverkehr sehr stark auf der Straße und noch viel mehr auf der Schiene wachsen. Auch die Luftfahrt kann sich über deutliche Zuwächse im In- und Auslandsverkehr freuen. Lediglich die Binnenschifffahrt stagniert und geht sogar zurück.
Die Wahrheit ist aber, dass wir bis 2040 mit viel Optimismus bei der Wirtschaftsleistung stagnieren werden. Durch den demografischen Wandel, die Digitalisierung und die Verschiebungen in den Wertepräferenzen der Menschen werden die Verkehrsleistungen beim Güter- und Personenverkehr sogar deutlich zurückgehen.
Das wäre eine Chance, unsere Infrastruktur endlich auf den richtigen Kurs zu bringen, sie bedarfsgerecht anzupassen und damit auch resilienter zu machen. Aber so weit kann das Ministerium nicht denken. Man orientiert sich an den Bedürfnissen der Bauindustrie und kennt auch aus dem eigenen Haus nur eine Richtung: Wachstum. Immer und auch unter allen Umständen.
Bisher importieren viele europäische Länder fast 100 Prozent des für E‑Auto-Batterien und Energiespeicher benötigten Lithiums. Mit neuen Minenprojekten etwa in Frankreich, Portugal oder Serbien will Europa unabhängiger von Importen werden. Umweltgruppen und Anwohner:innen kritisieren die Pläne. Müssen Umweltrisiken für die Verkehrs- und Energiewende in Kauf genommen werden?
Dass Elektroautos auch nicht von Luft und Liebe angetrieben werden und batterieelektrische Antriebe auf Ressourcen angewiesen sind, die unter prekären Umständen beschafft werden, ist nicht unbekannt und wird seit Jahrzehnten vielfach diskutiert.
Aber was sind die Alternativen? Diesel- und Ottomotoren emittieren nicht nur Schadstoffe und Treibhausgase, sie können die Emissionsstandards auch nur durch das Mitführen einer Chemiefabrik bestehend aus einer Vielzahl von Edelmetallen einhalten, und das auch nicht immer. Ist es zu heiß oder zu kalt und wenn der Motor noch nicht auf Betriebstemperatur ist, dann funktionieren die Reinigungsprozesse noch gar nicht.
Unter dem Strich ist die Antwort die gleiche, wie sie vor zehn Jahren schon ausgefallen wäre: E‑Fahrzeuge sind unter Umweltgesichtspunkten die etwas bessere Alternative zu Verbrennerfahrzeugen. Aber die Klimaziele werden nur erreicht, wenn der Bestand an Fahrzeugen und den damit absolvierten Verkehrsleistungen sinkt.
Die Krise bei Volkswagen spitzt sich weiter zu. Der Automobilkonzern plant, mindestens drei Werke in Deutschland zu schließen. Der Gewinn von VW brach im dritten Quartal um 64 Prozent ein und war damit noch niedriger als befürchtet. Gibt es trotzdem noch Hoffnung für die deutsche Autoindustrie?
Es ist ja längst das Kabarett, das uns aufklärt. Die "Heute-Show" des ZDF vom 1. November fasste die Lage so zusammen: Der Wohlstand in Deutschland habe all die Jahre nur darauf beruht, dass uns die Amis für lau beschützt, die Russen uns mit Energie für billig Geld versorgt und die Chinesen uns alles abgekauft haben, was wir an überteuerter Ware dorthin lieferten.
Das gilt gerade für VW. Der Konzern hat in den letzten Jahren rund 60 Prozent seiner Fahrzeuge in China abgesetzt. Bei den anderen Automobilherstellern sieht dies nicht viel anders aus.
Da China seit rund 15 Jahren darum bittet, doch die Produkte etwas an die chinesischen Bedürfnisse anzupassen, die deutschen Hersteller sich aber partout weigern dies zu tun und – ganz im Gegenteil – den Chinesen immer wieder erklären, nur wir, die Deutschen, wüssten, wo es beim Auto langgeht, werden wir in China alles an Reputation und Geschäft verlieren.
Das bedeutet: Wolfsburg wird das neue Detroit und die Region um Stuttgart das neue Ruhrgebiet.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Der eigentliche Hammer der offiziellen Verkehrsprognose des Verkehrsministeriums ist: Das Ministerium blockiert alle Maßnahmen zur Eindämmung der Treibhausemissionen.
Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wird abgelehnt. Eine höhere CO2-Besteuerung wird abgelehnt. Eine deutliche Erhöhung der Lkw-Maut wird abgelehnt. Eine Citymaut oder eine Ausweitung der Infrastrukturabgabe auf Pkw ist als sogenanntes Teufelszeug erst gar nicht diskutiert worden.
Weiter: Die Schiene wird gegenüber der Straße gar nicht bevorzugt, sondern im Unterschied zur Straße wird öffentliches Geld dort nur als Kredit vergeben – mit der Folge, dass die "Schienenmaut", also der Trassenpreis, deutlich steigt.
Und jetzt kommt der Zaubertrick des Ministers: In seiner Prognose hat er doch alle diese Maßnahmen als wirksam unterstellt. Deshalb gelingt es ihm, trotz höheren Verkehrswachstums bis 2040, die Emissionen um 77 Prozent zu senken und damit voll im Plan der Bundesregierung zu sein.
Jetzt kommt die Frage: Wie macht der Minister das? Der Verkehrsminister ist einfach ein Zauberer.
Fragen: David Zauner