Gelbes Fahrzeug der Stuttgarter Stadtbahn unterwegs.
An den ÖPNV werden ganz andere Maßstäbe angelegt als an den Autoverkehr. (Foto: Leon/​Pixabay)

Man muss dieser Tage kein Mathegenie sein, um sich zu wundern, warum Menschen in einer Rechnung mit denselben Ausgangsgrößen auf so unterschiedliche Ergebnisse kommen. Gemeint ist die Debatte um das Neun-Euro-Ticket und vor allem die Frage, wie seine Weiterführung finanziert werden soll.

Die einen finden eine Fortsetzung viel zu teuer und argumentieren, das Geld könne wirkungsvoller in Taktung und Ausstattung der Bahn investiert werden. Dank der neun Euro würden auch viele Fahrten gemacht, die sonst nicht nötig gewesen wären.

Andere argumentieren, es sei gar kein Problem, die finanziellen Mittel für eine Weiterführung zu finden. Das Neun-Euro-Ticket habe vielen Menschen unabhängig vom Einkommen Mobilität ermöglicht.

Moment mal: Wann sind wir eigentlich an den Punkt gekommen, an dem es darum geht, sich zwischen günstiger Mobilität für alle und einem guten Angebot im öffentlichen Verkehr entscheiden zu müssen?

Ich sehe zum Beispiel niemanden in der Autoindustrie darüber diskutieren, ob wir uns nun doch für die neue Autobahn oder das Dienstwagenprivileg entscheiden sollten. Können wir statt "Entweder-oder"- vielleicht "Sowohl-als-auch"-Debatten darüber führen, wie wir uns beides leisten können – den Ausbau und ein günstiges Ticket?

Steuervergünstigungen für die Autoindustrie und alles, was damit zusammenhängt, sind für uns so alltäglich geworden, dass wir dieses Geld unbewusst als "unverfügbar" ansehen. Dabei sind das auch nur, wie der Name schon sagt, Subventionen, die wir streichen könnten – wenn der politische Wille da wäre.

Geld ist genug da

Laut einer jetzt erschienenen Greenpeace-Studie zu einer Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket sind es bis zu 46 Milliarden Euro jährlich, die der Bund durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen einnehmen könnte – und nebenbei könnten wir damit noch massiv CO2 einsparen.

Die Umweltorganisation hat auf Basis aktueller Daten zur Nutzung von Pkw und öffentlichem Nahverkehr verschiedene Mobilitätsvarianten miteinander verglichen und geprüft, unter welchen Bedingungen Haushalte auf gebrauchte Verbrenner-Autos verzichten würden. Diese Fahrzeuge sind ohne das Neun-Euro-Ticket preislich attraktiver als der öffentliche Nahverkehr.

Als mögliche Einnahmequelle gibt es zum einen die Entfernungspauschale, die im Jahr rund sechs Milliarden Euro im Haushalt bindet. Das Prinzip der Pauschale ist, dass Arbeitnehmer:innen die einfache Distanz zwischen ihrem Wohnort und dem Arbeitsplatz unabhängig vom Verkehrsmittel mit 30 Cent je Kilometer in der Einkommensteuererklärung als Werbungskosten geltend machen können.

Porträtaufnahme von Clara Thompson.
Foto: privat

Clara Thompson

hat das Bündnis "Wald statt Asphalt" mitgegründet und schreibt regelmäßig über Verkehrswende, Klimagerechtigkeit und soziale Bewegungen. Sie studiert Umweltsoziologie an der Universität Jena.

In der Praxis werden allerdings besonders häufig Autofahrten eingebracht. Davon profitieren Spitzenverdiener:innen, die häufiger große Pendeldistanzen zurücklegen und zugleich einen höheren Steuersatz haben.

Untere Einkommensgruppen werden kaum entlastet, da bei ihnen weite Arbeitswege eher selten und die Steuersätze niedriger sind.

Dann gibt es das Dienstwagenprivileg, das zwischen 3,1 und 5,5 Milliarden Euro jährlich bindet, um zu ermöglichen, dass Menschen kostengünstig ihren Dienstwagen nutzen dürfen – teilweise auch nur für "zusätzliche Fahrten", die vermutlich sonst nicht gemacht würden.

Wo bleibt hier der Aufschrei?

Alles für die Autoindustrie?

Nicht zu vergessen sind die Kosten, die mit dem teuren Ticketsystem für den öffentlichen Nahverkehr einhergehen. Jedes Jahr kommen mehrere tausend Menschen, die sich die Geldstrafe für Schwarzfahren nicht leisten können, in den Knast. Im Durchschnitt kostet den Staat ein Hafttag für Schwarzfahrer 158 Euro.

Wenn der öffentliche Verkehr so günstig wäre, dass ihn sich alle leisten können, fielen diese formalen Kosten weg. Nebenbei würden soziale Ungleichheiten entschärft.

Die Greenpeace-Studie zeigt: Haushalte mit besonders niedrigen Einkommen fallen bei der Nutzung klassischer Nahverkehrstickets komplett durchs Raster. Erst mit einem Ticket, das maximal einen Euro pro Tag kostet, ergeben sich für diese Haushalte Möglichkeiten, innerhalb ihres finanziellen Rahmens flexibel mobil zu sein.

Warum kostet Schwarzfahren 60 Euro und Falschparken häufig nur zehn Euro? Warum debattieren wir darüber, ob wir beim Nahverkehr Ausbau oder günstige Preise wählen sollen, während in der Autoindustrie niemand darüber streitet, ob wir nun das Dieselprivileg oder den Autobahnausbau streichen sollen?

In Wahrheit ist es nämlich so, dass für die Autoindustrie alles gleichzeitig da sein darf: sowohl günstige Preise als auch eine attraktive Infrastruktur. Nur beim öffentlichen Verkehr sollen wir uns nun für eine der beiden Optionen entscheiden müssen.

Diese Debatte – Ausbau oder günstiges Ticket – offenbart, wie sehr wir uns noch in der autozentrierten Gesellschaft befinden.

Für eine wirklich klimafreundliche und sozial gerechte Mobilität müssen wir uns aus der Entweder-oder-Diskussion befreien. Es ist Zeit, Geld für beides freizumachen: Ausbau und günstige Tickets. Denn es ist da.

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