"Clean Diesel" war das Buzzword einer großangelegten Volkswagen-Medienkampagne. Damit plante der deutsche Autohersteller die Verkaufszahlen seiner Dieselmodelle in den USA anzukurbeln.

Heute ist die PR-Offensive vor allem eine bittere Randnotiz des wohl größten Industrieskandal Deutschlands, die die Kaltschnäuzigkeit von VW unterstreicht. Damals, von der Jahrtausendwende bis in die frühen 2010er-Jahre, erschien es als einleuchtende Werbestrategie: In den USA galt Diesel – ganz anders als in Europa – als schmutzig, als Treibstoff für Trucks und Landmaschinen. Zugleich machten die strengen Stickoxid- und Feinstaubgrenzwerte der US-Umweltbehörde EPA den deutschen Herstellern immer mehr zu schaffen.

 

Plakate zeigten den "Clean Diesel"-Passat B7 vor idyllischer Naturkulisse, auf Highways prangten sie im Riesenformat. In Werbeclips hielt eine Seniorin einen weißen Schal vor den Auspuff, als Beweis für die angebliche Sauberkeit von Dieselkraftstoff. Mit solchen Bildern wollte Volkswagen die Diesel-Wahrnehmung der US-Amerikaner:innen verändern.

Seit dem 18. September 2015 ist klar: Die deutschen Hersteller setzten nicht nur auf Werbekampagnen. An dem Tag schrieb die EPA öffentlich an zwei hochrangige VW-Mitarbeiter, sie habe in Dieselmodellen der Baujahre 2009 bis 2015 illegale Manipulationsvorrichtungen entdeckt.

Währenddessen fand die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main statt. Die "Notice of Violation" platzte also mitten in die wichtigste deutsche Automesse und schlug erwartungsgemäß wie ein Blitz ein.

Noch bevor die Messe zu Ende war, gab der damalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Martin Winterkorn, seinen Rücktritt bekannt. Er sei sich zwar keines persönlichen Fehlverhaltens bewusst, so Winterkorn damals. Er übernehme aber die Verantwortung für "die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren".

Kein rechtskräftiges Urteil in Deutschland

Es sollten weitere vier Jahre vergehen, bis der Konzern selbst, in der Person von Winterkorns Nachnachfolger Herbert Diess nicht mehr nur von "Unregelmäßigkeiten" oder anderen Euphemismen sprach, sondern von Betrug. Allerdings ruderte VW schnell wieder zurück und sprach von einer unglücklichen Wortwahl.

Schon Jahre zuvor hatten Umweltverbände, aber auch Branchenvertreter:innen, auf "Unregelmäßigkeiten" hingewiesen. Aber erst 2015 lieferte eine Untersuchung der West Virginia University im Auftrag der Denkfabrik International Council on Clean Transportation (ICCT) belastbare Beweise.

Lange Autoschlange auf einer Schnellstraße, die Fahrbahn ist von Abgasen eingenebelt, sonst ist wenig zu erkennen.
Neben VW gerieten auch andere Hersteller wie Mercedes, BMW oder Renault wegen Abgasmanipulationen ins Visier der Behörden. (Bild: Kim Hansen/​Flickr)

Weltweit musste der Konzern rund elf Millionen Autos zurückrufen. In den VW-Modellen war nachweislich eine Software verbaut, die auf dem Prüfstand die Abgasreinigung aktivierte, sie im normalen Straßenbetrieb aber weitestgehend ausschaltete.

Die entsprechenden Dieselmodelle stießen deshalb im realen Straßenverkehr zehn- bis 40-mal so hohe Stickoxidmengen aus, als die US-Grenzwerte zuließen.

Die VW-Aktie schmierte ab. Mehr als 33 Milliarden Euro kostete der Skandal den Konzern bis heute. Die Folgen für VW waren desaströs – zumindest kurzfristig. 

Während 2016 noch ein Reformplan mit 23.000 Stellenkürzungen angedroht wurde, lief es 2017 schon wieder gut genug, dass der Personalvorstand weltweit 50.000 neue Stellen ankündigte.

Das liegt nicht zuletzt an der schützenden Hand von Politik und Behörden in Deutschland. Während die USA über 20 Milliarden Euro an Strafen und Entschädigung von dem Konzern einforderten und hochrangige VW-Mitarbeiter dort zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, verlief die Aufklärung hierzulande schleppend.

Ganz ungeschoren kam VW freilich auch in Deutschland nicht davon. Es dauerte fünf Jahre, bis die ersten Verbraucher:innen entschädigt wurden, mit insgesamt knapp über 800 Millionen Euro. Im Mai dieses Jahres sprach das Landgericht Braunschweig auch erste Urteile – bislang ist keines von ihnen rechtskräftig.

Vom Diesel zum Plug-in-Hybrid

Ebenso wie vor dem sogenannten "Dieselgate" steht die Politik auch heute fest an der Seite der Automobilindustrie. Vor 2015 warben deutsche Spitzenpolitiker:innen, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, im Ausland für Dieselfahrzeuge. Heute geht es gegen das Verkaufsverbot für klimaschädliche Diesel- und Benzinmotoren. Damals wie heute droht die Nähe zur Branche zum Bumerang zu werden, warnen Kritiker:innen.

Auch "Dieselgate" ist noch nicht abgeschlossen. Noch immer sind in Europa bis zu 19,1 Millionen Fahrzeuge mit auffälligen Emissionswerten unterwegs, warnt der europäische Verkehrsdachverband Transport & Environment (T&E). Die Folge: Bis 2040 könnten 81.000 Menschen vorzeitig sterben, zudem drohten 55.000 neue Asthmafälle bei Kindern.

Immerhin, die Autohersteller haben mittlerweile dazugelernt. Statt Autos illegal sauber zu rechnen, versuchen sie es mittlerweile legal.

Ähnlich wie bei den Dieselautos zeigen heute Plug-in-Hybride – Autos mit Verbrennungs- und Elektromotor – auffällig mehr CO2-Emissionen im Alltag als im Testbetrieb. In der Praxis nutzen Fahrer:innen schlicht seltener den E-Motor, als für die Tests von den Herstellern angegeben, und verbrennen dadurch mehr Benzin oder Diesel.

Das ist bekannt, aber die Autolobby will entsprechende Regulierungen verhindern. Die deutsche Politik ist dabei gern behilflich.

Auch zehn Jahre später habe die Branche nichts aus ihren Fehlern gelernt, kritisiert Sebastian Bock, Geschäftsführer von T&E Deutschland. Sie versuche "weiterhin, ihre tatsächlichen Emissionen zu verschleiern, um mit einer überholten Technologie noch möglichst viel Geld zu verdienen".

Auch dieser Tage ist wieder häufig zu lesen: Wenn der Abgasskandal etwas Gutes hatte, dann, dass er ein Anschub für die Elektromobilität war. Unterstützung bekam dieses Narrativ kürzlich aus unerwarteter Richtung.

Ausgerechnet jene Organisation, die einst maßgeblich zur Aufdeckung des Skandals beitrug, attestiert der europäischen Autoindustrie heute Fortschritte beim Umstieg auf E-Antriebe. Seit 2015 habe sich die Branche gewandelt, erklärte ICCT. Der US-Thinktank mahnte jedoch, jetzt nicht an den Klimazielen zu rütteln.

Genau das aber stellt der aktuelle VW-Chef Oliver Blume infrage. Auf der diesjährigen IAA sprach er sich gegen ein Verkaufsverbot für Diesel- und Benzinfahrzeuge sowie auch für Hybridautos ab 2035 aus.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Betrug in Reinform