Ein Perspektivwechsel ist nötig für den klimagerechten Umbau der Straßen in den Städten und auf dem Land. Zentrale Planungsgrundlage sollten die Anforderungen von Fußgänger:innen, Kindern, Senior:innen und mobilitätseingeschränkten Personen sein.

Denn das Auto wird in den Städten im Alltag zunehmend zur bloßen Mobilitätsreserve. Die Bereitschaft der Menschen zu klimagerechterem Mobilitätsverhalten ist oft vorhanden. Die Dominanz des Autos relativiert sich.

"In Städten ... nimmt die Nutzung von Fahrrädern und Fußwegen zu, während die Dominanz des Autos abnimmt. 31 Prozent der Wege legen die Bewohner der großen Metropolen zu Fuß zurück – fast so viele wie mit dem MIV (33 Prozent). Das Fahrrad erreicht in den Metropolen einen Wegeanteil von 15 Prozent, Bus und Bahn von 21 Prozent." (Mobilität in Deutschland 2023)

In der kommunalen Praxis zeigt sich dann aber, dass der Fußverkehr an letzter Stelle rangiert. Zum Beispiel bei Schneefall und Glätte. Der Autoverkehr fließt wie gewohnt, Radfahrende müssen sich über schmale, eisige Pistchen quälen.

Für die Schneebeseitigung auf den Bürgersteigen reicht es meist auch nicht. Da muss man auf Tauwetter warten. Und schon am Anfang des Frühlings zeigt sich, dass besonders für Radfahrer:innen der Platz viel zu eng und damit gefährlich ist.

 

In Berlin gab es 2024 mehr als 133.000 Verkehrsunfälle, ein halbes Prozent weniger als im Vorjahr. 55 Menschen starben hier im vergangenen Jahr infolge eines Verkehrsunfalls – vor allem Radfahrende, Fußgänger:innen und Senior:innen.

Vom Ziel der Vision Zero mit null Verkehrstoten sind wir weit entfernt. Ursache ist der Autoverkehr mit seiner Masse an Fahrzeugen, mit hohen Geschwindigkeiten, großem Flächenverbrauch und seiner Gefährlichkeit für alle anderen Verkehrsteilnehmenden – und für die Umwelt.

Veränderte Planung für den Straßenraum

Begreift man diesen Zustand als Problem, gibt es zwei praktikable Hebel für einen Paradigmenwechsel: veränderte Planung und einfachere Umsetzung.

Dafür ist es nötig, dass das parkende Auto wieder weitgehend aus dem öffentlichen Straßenraum verschwindet und dass die Geschwindigkeit des fließenden Verkehrs reduziert wird. Die wichtigste Voraussetzung aber ist der politische Wille, das Problem zu erkennen und eine Veränderung zu wollen. Was wäre zu tun?

Anke Borcherding

ist wissen­schaft­liche Mit­arbeiterin am Wissen­schafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung (WZB). Die studierte Politik­wissen­schaft­lerin beschäftigt sich theoretisch und vor allem praktisch mit Mobilitäts­projekten.

Nur mit einer massiven, schrittweisen Reduzierung der privaten Pkw im öffentlichen Raum gibt es eine Chance, die Straßen und Plätze wieder für alle sicher, lebenswert und nachhaltig zu gestalten.

Deshalb sollte – anders als bisher üblich und gewohnt – der öffentliche Straßenraum zum Parken nur noch für Menschen mit nachgewiesener Berechtigung zur Verfügung stehen: zum Laden und Liefern, fürs Gewerbe, für soziale Dienste, für geteilte Mobilitätsformen wie das Sharing von Autos. Wer privat ein Auto fahren möchte, muss sich einen privaten Parkplatz suchen.

Die Empfehlung für eine Flächenaufteilung in verdichteten urbanen Räumen im ersten Schritt könnte lauten: ein Drittel der Flächen für Parken mit Berechtigungsnachweis, ein Drittel für gewerbliches Parken und Sharing sowie ein Drittel Entsiegelung und für zivilgesellschaftliche Nutzung.

Dieser Vorschlag stammt aus einem in den letzten beiden Jahren durchgeführten Projekt im Graefekiez in Berlin-Kreuzberg.

Einfachere Umsetzung durch die Kommunen

Kommunen können dafür ihre Handlungsspielräume besser nutzen. Die bestehenden gesetzlichen Grundlagen geben ihnen Legitimation und Instrumente in die Hand, wie Umwidmungen auf der Grundlage der Landesstraßengesetze.

Die Beteiligung der Bürger:innen sollte mit klarer Zielsetzung und klarer Benennung des Mehrwertes für alle gesellschaftlichen Gruppierungen erfolgen. Sie dient nicht der Legitimation, sondern der Verbesserung der Ausrichtung der Verkehrsprojekte.

Auf kostspielige Baumaßnahmen sollte verzichtet werden. Ziel sollte es sein, mit einfachen Maßnahmen verkehrliche und klimaresiliente Effekte zu erzielen.

In Stadtteilen mit hoher Verdichtung, guten Verkehrsanschlüssen und hohem Versorgungsgrad hat eine Veränderung des Verkehrsverhaltens bereits eingesetzt: Es wird deutlich weniger Auto gefahren, das Zu-Fuß-gehen hat sehr stark zugelegt, das Fahrrad und die Sharing-Angebote gewinnen weiter an Bedeutung, der öffentliche Nahverkehr bleibt auf hohem Niveau.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Die novellierte Straßenverkehrsordnung (StVO) erleichtert dabei einiges. Sie eröffnet für die Kommunen handfeste Vereinfachungen, beispielsweise bei der Einrichtung von Busspuren oder dabei, mehr Platz für das Radfahren und Zufußgehen zu schaffen.

Dennoch plädieren Fachkreise immer für eine Kombination von Maßnahmen nach der StVO mit einem planungsrechtlichen Vorgehen über Bebauungspläne, Flächennutzungspläne oder einfache Maßnahmen in der eigenen Baulastträgerschaft sowie dem Parkraummanagement.

Im Entwurf des Berliner Fußverkehrsplans steht zwar, Gehen habe "eine herausragende Bedeutung in der Alltagsmobilität und für das Zusammenleben in der Stadt", weshalb das Land Berlin "einen besonderen Fokus auf die Stärkung des Fußverkehrs" lege. Mit dem Fußverkehrsplan werde "der Fußverkehr seiner Bedeutung angemessen berücksichtigt und gefördert". Der Plan solle "die Sicherheit und den Komfort des Fußverkehrs systematisch verbessern".

Und bei den Zielen heißt es sogar: "Verzicht auf Flächen für den ruhenden Verkehr" und "Verzicht auf Flächen des fließenden Verkehrs". Das klingt gut, aber ohne konkrete und messbare Ziele wird es nicht gehen.

Da beißt die Maus keinen Faden ab: Um den Fußverkehr und den Radverkehr zu fördern, müsste die vorhandene Fläche neu aufgeteilt werden. Das bedeutet nun mal Umwidmung von Fahrstreifen, entschärfte und damit verengte Kreuzungen und weniger Parkplätze.

 

Auch für die schwächsten Verkehrsteilnehmer, die Kinder, soll und kann sich alles zum Besseren wenden: Aus der speziellen Perspektive von Kindern gibt es keine fahrenden und parkenden Autos auf den Straßen, auch keine Radfahrenden, sondern Sitzflächen, Grünflächen, Spielflächen und beleuchtete und bunte Fassaden. Dann sind alle Wege sicher.

Daraus entwickeln sich auch veränderte Präferenzen. Es gibt eine deutliche Mehrheit unter den Bürger:innen für weniger Autos und in der Folge für eine Neuaufteilung des öffentlichen Straßenraums. Nur auf der politischen Agenda ist dies noch nicht angekommen.