Mobilität – kaum ein Klimathema hat so viel gesellschaftliche Sprengkraft. Immer und überall mit dem eigenen Auto hinfahren zu können, ist für viele Menschen eine nicht wegzudenkende Normalität.

Bei jeder noch so kleinen verkehrspolitischen Klimaschutz-Maßnahme – etwa dem Tempolimit – fühlen sich deutsche Bürger:innen in ihrer Freiheit beschränkt. Das Ergebnis ist ein Verkehrssektor, dessen Emissionen einfach nicht sinken wollen und der Jahr für Jahr die schlechteste Klimabilanz aller Sektoren aufzuweisen hat.

Selbst in Großstädten, in denen sich der Verkehr noch am einfachsten transformieren lassen würde, ist jeder progressive Vorschlag ein langwieriger politischer Kampf. Derweil macht der Stadtverkehr allein etwa acht Prozent der weltweiten Treibhausgase aus.

Wissenschaftler:innen haben in einer neuen Studie untersucht, wie sich klimafreundlicher Verkehr und eine zufriedene Bevölkerung in Metropolen vereinbaren lassen. Dabei untersuchte das europäische Forschungsteam unter Beteiligung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC 120 Großstädte rund um den Globus.

Für jede dieser Städte fütterten die Forscher:innen das Regionalökonmiemodell Nedum mit Daten zu Bevölkerungsdichte, Flächennutzung, Verkehrskosten und einigem mehr. Ziel der Studie war es, die Wirkung verschiedener klimapolitischer Ansätze auf den Ausstoß von Treibhausgasen und auf die Wohlfahrt der Bevölkerung zu berechnen.

Wohlergehen umfasst für die Studie den materiellen Lebensstandard, Gesundheitsfolgen von Verkehr – Lärm, Abgase, Unfälle – sowie Fitness durch Laufen oder Radfahren. Hohe ÖPNV- oder Kraftstoffkosten schränken laut Studie das Wohlergehen ein, eine Rückverteilung der Kraftstoffsteuer – etwa über ein Klimageld – steigert das Wohlergehen.

"Wohlergehen spiegelt sich in höherer Lebenserwartung und/​oder mehr verfügbarem Einkommen wider", sagte Felix Creutzig, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport und Co-Autor der Studie.

Vier klimapolitische Ansätze berechneten die Wissenschaftler:innen mit diesem Modell, nämlich Spritsteuern, effiziente Autos, Investitionen in ÖPNV und klimafreundliche Stadtentwicklung, sowie außerdem den Fall, dass alle vier Ansätze zugleich verfolgt werden.

Keine Patentlösung für jede Stadt

Am effektivsten ist es – wenig überraschend –, wenn alle Ansätze parallel laufen. Im Durchschnitt lassen sich laut der Studie damit in nur 15 Jahren 31 Prozent der Emissionen einsparen. Allerdings sinkt in diesem Szenario mit der größtmöglichen Klimaschutzwirkung gleichzeitig das Wohlergehen der Bevölkerung im Schnitt um drei Prozent.

Das Szenario sei deshalb politisch nicht umsetzbar, so die Logik der in der Fachzeitschrift Nature Sustainability erschienen Studie. Deshalb nahmen die Forscher:innen eine Nebenbedingung in die Simulation auf: Die Wohlfahrt der Stadtbevölkerung muss wenigstens ein bisschen steigen.

Von den 31 Prozent Emissionseinsparung bleiben unter dieser Voraussetzung noch 22 Prozent übrig. "Es erscheint also überall möglich, ohne negative Folgen für die Lebensqualität einen Großteil des Einsparpotenzials bei den Klimagas-Emissionen im Stadtverkehr zu realisieren", sagte Felix Creutzig.

Das stärkste Klimaschutzpotenzial haben effizientere Autos, insbesondere Elektroautos, dicht gefolgt von einer "klimafreundlichen Stadtentwicklung". Allerdings ist die klimafreundliche Stadtentwicklung auch am teuersten und reduziert somit laut der Studie das Wohlergehen der Stadtbevölkerung.

Höhere Treibstoffkosten haben den stärksten positiven Effekt auf die Gesundheit, und die meisten Haushalte profitieren davon bei einer Umverteilung über das Klimageld.

Creutzig erklärte, dass es keine Patentlösung für jede Stadt gebe. In jede Klimaschutz-Strategie müssten die lokalen Besonderheiten einbezogen werden. Er begrüße deshalb die geplante Reform der Straßenverkehrsordnung in Deutschland.

Die überarbeitete StVO soll den Kommunen mehr Entscheidungsfreiheit in der Gestaltung des Straßenverkehrs einräumen. Wann die neue Straßenverkehrsordnung kommt, ist allerdings ungewiss. Ihre Verabschiedung hatte sich zuletzt immer wieder verschoben.

Kopenhagen, Bogota, Shenzhen – richtungsweisende Beispiele fehlen nicht

Allerdings reichen weder die 22 noch die 31 Prozent weniger Emissionen in 15 Jahren aus, um auf einen 1,5-Grad-Kurs zu kommen. Es bedarf also weiterer Maßnahmen, um die Metropolen der Welt klimaneutral zu machen. Ansätze dafür müssen zukünftige Studien erforschen.

Die Autor:innen verweisen auch auf einige Schwachstellen ihrer Studie. So werden wichtige Faktoren des Wohlergehens, etwa Ungleichverteilung von Einkommen, in dem Modell nicht berücksichtigt. Auch das sollte in zukünftigen Analysen nachgeholt werden, schreiben die Autor:innen.

Es gibt zudem kaum Daten von afrikanischen Metropolen, weshalb diese in der Studie fehlen. Und obwohl die Verfügbarkeit von Daten auf Stadtebene sich generell verbessert hat, gibt es nach wie vor viele Lücken, die für verlässlichere Simulationen geschlossen werden müssen.

Auch suffiziente Szenarien, etwa weniger Ausgaben durch weniger Straßenbau, werden in der Studie nicht beachtet. Creutzig: "Hier lassen sich gesellschaftlich noch zusätzlich Milliardenbeträge einsparen."

Einige Städte gehen bereits mit gutem Beispiel voran. Kopenhagen etwa möchte bis 2025 klimaneutral werden. Ein wichtiger Baustein ist die sichere Fahrradinfrastruktur. Über 40 Prozent des gesamten Stadtverkehrs laufen mittlerweile über das Fahrrad.

Die kolumbianische Hauptstadt Bogotá hat eines der größten Bus-Rapid-Transit-Systeme aufgebaut und die chinesische Millionenstadt Shenzhen hat 2018 als erste Stadt der Welt ihre gesamte Busflotte elektrifiziert. Es fehlt also nicht an richtungsweisenden Beispielen.

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