Klimareporter°: Frau Rostek, Biokraftstoff-Unternehmen bereiten eine Milliarden-Klage gegen das Bundesumweltministerium vor. Der Vorwurf: Noch immer tue das Ministerium zu wenig dagegen, dass falsch deklarierter Biokraftstoff vor allem aus China nach Deutschland gelangt. Dieser muss aus Abfallstoffen hergestellt werden, tatsächlich aber steckt Palmöl darin. Lohnt es sich, eine Regierung zu verklagen, die bald aus dem Amt scheidet?
Sandra Rostek: Durch einen Wechsel der Regierung ändert sich nichts an möglichen Schadensersatzansprüchen, die betroffene Unternehmen für sich geltend machen. Zudem sind die Hauptakteure in diesem Skandal Referats- und Bereichsleiter in den zuständigen Ministerien. Diese werden auch in der nächsten Legislatur zum weit überwiegenden Teil noch im Amt sein.
Beim Streit um den Betrug bei der Treibhausgasminderungs- oder kurz THG-Quote geht es erstens um Emissions-Zertifikate aus sogenannten Upstream-Emission-Reduction-Projekten aus China. Ein Drittel dieser UER-Projekte hat das Umweltbundesamt schon rückabgewickelt sowie 45 von insgesamt 69 als "verdächtig" eingestuft. Reicht das Ihrer Branche noch nicht?
Wir begrüßen es, dass auf den großen politischen und medialen Druck hin nun endlich UER-Projekte als gesichert gefälscht oder zumindest verdächtig eingestuft werden und die Rückabwicklung eingeleitet wurde.
Dieser Prozess aber ist sehr langwierig und er zielt zunächst einmal nur auf die dubiosen Zwischenhändler der Zertifikate. Es ist leider gelebte Behördenpraxis, dass die THG-Quoten, die auf Basis der gefälschten Zertifikate von diesen Händlern an die quotenverpflichteten Mineralölunternehmen verkauft wurden, von der Rückabwicklung nicht erfasst werden.
Sandra Rostek
leitet seit 2015 den Verbände-Verbund "Hauptstadtbüro Bioenergie". Sie hat Politik- sowie Geistes- und Kommunikationswissenschaften studiert. Nach Stationen bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena) leitet sie seit 2014 das Berliner Büro des Fachverbands Biogas und ist seit 2022 Politikchefin im Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Mit anderen Worten: Das Zertifikat wird zwar im Register gelöscht, die mit dem Zertifikat "erfüllte" THG-Quote wird jedoch nicht aberkannt. Sie verbleibt im Markt und verzerrt diesen nach wie vor.
Noch im August dieses Jahres hat sich die Mineralölwirtschaft für 2023 zwei Millionen Tonnen THG-Quote aus UER-Projekten anrechnen lassen. Diese Mengen stammen mehrheitlich aus eben diesen genannten rückabgewickelten oder als verdächtig eingestuften Projekten.
Mitte 2024 hat das Umweltministerium doch die künftige Anrechnung der UER-Projekte auf die THG-Quote beendet. Ist das nicht genug?
Es bedarf einer Marktbereinigung. Alle bis dato zu Unrecht ausgestellten Zertifikate und die daraus generierte THG-Quote müssen aberkannt werden. Der entgangene Beitrag zum Klimaschutz muss zwingend nachgeholt werden.
Das behördliche System in Deutschland wies zudem offenbar grobe Mängel auf. So wurden von den Projektträgern, die sich im Nachhinein häufig als Briefkastenfirmen entpuppten, nur sehr geringe Sicherheitsleistungen gefordert. Auch die vorgeschriebenen Handelsregisterauszüge wurden in vielen Fällen nicht verlangt. Das erleichterte den Betrug natürlich und muss Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Anrechnung der UER-Projekte auf die THG-Quote sollte auch für die Zukunft ausgeschlossen bleiben.
Das zweite Problem beim THG-Betrug: Seit Anfang 2023 gelangen aus dem asiatischen Raum in großen Mengen sogenannte "fortschrittliche" Biokraftstoffe" nach Europa und Deutschland. Diese müssten eigentlich aus Abfallstoffen wie dem berühmten Frittenfett hergestellt werden. Tatsächlich aber wird dafür meist Palmöl verwendet. Ist das derzeit nicht das größere Problem?
In der Tat, dies ist aktuell das größte Problem, zumal die Anrechnung von UER auf die THG-Quote immerhin für künftig ausgeschlossen ist.
Frappierend finden wir vor allem, dass diese fragwürdigen Kraftstoffe immer noch ungebremst importiert werden. Aus den Erfahrungen mit den UER sind bisher offensichtlich keine Lehren gezogen worden.
Die Treibhausgas-Quote
Die Treibhausgasminderungs-Quote (THG-Quote) verpflichtet Unternehmen, die fossilen Otto- und Dieselkraftstoff für den Verkehr verkaufen, den CO2-Ausstoß ihrer Kraftstoffe zu senken. Dazu gibt der Gesetzgeber einen festen Anteil vor, für den die Mineralölhersteller nachweisen müssen, dass sie CO2-freie Antriebsenergien einsetzen.
Dieser Anteil liegt derzeit bei 9,35 Prozent und soll stufenweise auf 25 Prozent im Jahr 2030 steigen. Als Nachweis, dass sie die THG-Quote einhalten, stehen den Herstellern sogenannte Erfüllungsoptionen frei. Derzeit sind das Biokraftstoffe, Biomethan oder Biogas, erneuerbare Kraftstoffe wie E‑Fuels oder auch E‑Strom in Fahrzeugen oder grüner Wasserstoff.
Über diese Produkte verfügen die Mineralölfirmen meist nicht selbst oder nicht ausreichend, um die Quote zu erfüllen. Sie kaufen deshalb von Biokraftstoffherstellern oder E‑Autonutzern Emissionszertifikate, die die CO2-Einsparung jeweils nachweisen. Die Zertifikate sind selbst handelbar, meist geschieht das in zweiseitigen, wenig transparenten Geschäften.
Nach Angaben der zuständigen Generalzolldirektion sparte die THG-Quote 2023 fast 19 Millionen Tonnen CO2 ein, davon gingen knapp elf Millionen Tonnen auf das Konto der "Bio"-Beimischungen zu fossilem Benzin ("E10") und Diesel. Reine Biokraftstoffe steuerten 1,9 Millionen Tonnen CO2-Einsparung bei, E‑Antriebsstrom 1,5 Millionen Tonnen und die umstrittenen UER-Projekte zwei Millionen Tonnen. Dazu kamen noch 3,3 Millionen Tonnen als Übertrag aus dem Jahr 2022. Wasserstoff lieferte keine CO2-Einsparung.
Nach anfänglichem Abwiegeln beschloss die Bundesregierung Mitte November eine Novelle der 38. Bundes-Immissionsschutzverordnung. Danach darf sich die Mineralölindustrie zur Erfüllung der THG-Quote 2025 und 2026 nur noch solche CO2-Minderungen aus erneuerbaren Kraftstoffen und Strom anrechnen, die im selben Jahr erzielt wurden.
Damit ist der in den letzten Jahren angehäufte "Überhang" vieler Millionen Tonnen an CO2-Zertifikaten erst einmal auf "Eis" gelegt und das Problem mehr oder weniger der nächsten Bundesregierung in die Schuhe geschoben. Das verschafft der Branche doch erst einmal eine Atempause?
Die Maßnahme zeigt zunächst einmal den 2023 und 2024 entstandenen Schaden für die THG-Quote. Seit das Umweltministerium Mitte September den Referentenentwurf für die Novelle vorlegte, gaben die Quotenpreise noch einmal um 30 Prozent nach.
Dies liegt vor allem daran, dass gerade kleinere Marktakteure ihre Zertifikate nicht ohne weiteres bis 2027 "einfrieren" können und aus Gründen der Liquidität gezwungen sind, sie noch dieses Jahr zu den historisch niedrigen Preisen abzustoßen.
Der Gewinner dabei ist die Mineralölindustrie. Sie kann sich nun mit extrem günstigen Zertifikaten eindecken, um sie dann 2027 zu verwerten. Wenn bis dahin die THG-Quote nicht deutlich angehoben wird, wiederholt sich das Problem mit dem Überhang und es wird wieder keine Nachfrage geben.
Verlierer sind alle diejenigen, die ohnehin aufgrund der Marktsituation bereits in die Ecke gedrängt wurden.
Für 2025 und 2026 kann die erlassene Verordnung den Markt ein wenig stabilisieren. Aber dieser Effekt wird verpuffen, wenn sich der Betrug mit falsch deklariertem Biokraftstoff fortsetzt.
Den Betrug mit "fortschrittlichen Biokraftstoffen" zu stoppen, ist besonders schwierig, weil sich nicht einmal durch chemische Tests nachweisen lässt, ob gutes Frittenfett oder schlechtes Palmöl der Ausgangsstoff war. Nötig ist eine detaillierte und transparente Kontrolle der Lieferkette, die mitunter um den halben Globus reicht. Ist so ein Aufwand gerechtfertigt?
Derartige Kontrollen werden in Deutschland, Europa und den USA bereits durchgeführt. Warum sollten wir bei China eine Ausnahme machen?
Zudem müsste die Mineralölwirtschaft mehr in die Verantwortung genommen werden. Es kann nicht angehen, dass die Branche nach wie vor 100-prozentigen Vertrauensschutz für alle ihre Einkäufe aus China genießt und von jeglicher Haftung befreit ist, obwohl die Risiken allgemein bekannt sind.
Biokraftstoffe erbringen derzeit, ob man das gut findet oder nicht, den weitaus größten Anteil an der dokumentierten CO2-Minderung im Verkehr. Die THG-Quote soll auch weiter steigen – von derzeit gut neun auf 25 Prozent im Jahr 2030. Dies wird voraussichtlich größtenteils mit Biokraftstoffen und E‑Mobilität erfüllt werden.
Die Frage ist: Wird der Handel mit Emissionszertifikaten überhaupt gebraucht, um die THG-Quote zu erfüllen? In den Tank oder in die Batterie kann man die Zertifikate schließlich nicht füllen.
Aus politischen Gründen sind Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse in ihren Mengen und damit in ihrem Beitrag zur Erfüllung der THG-Quote gedeckelt.
Vor einigen Jahren standen für den Markt echte fortschrittliche Biokraftstoffe, die Elektromobilität und grüner Wasserstoff noch nicht in dem Umfang wie heute zur Verfügung, um die gesetzliche Quote erfüllen zu können.
Daher war es für eine gewisse Zeit prinzipiell sinnvoll, weitere Erfüllungsoptionen zuzulassen wie die UER-Projekte, sofern sie denn auch tatsächlich existieren und keine "Fakes" sind.
Heute gibt es aber ausreichend nachhaltige Alternativen, sodass auf Emissionszertifikate aus UER-Projekten verzichtet werden kann, zumal wir uns diese Zertifikate nicht auf die deutschen Klimaziele anrechnen lassen können.
Nochmal nachgefragt: Sie wollen nur auf solche Zertifikate verzichten und nicht auf den Handel mit der THG-Quote generell?
Die THG-Quote an sich ist ein sehr effizientes System, um Klimaschutz im Verkehrssektor zu bewirken. Sie reizt besonders klimafreundliche Erfüllungsoptionen an und sorgt für Investitionen in deutsche Klimaschutztechnologien.
Auch der Import entsprechender Kraftstoffe ist ein wichtiger Baustein. Wir müssen nur dringend sicherstellen, dass dieses System nicht durch Betrüger unterlaufen werden kann. Sonst drohen uns künftig ähnliche Probleme auch in anderen Bereichen, etwa beim Import von grünem Wasserstoff oder beim CO2-Grenzausgleich.
Ein Kritikpunkt an den Emissionszertifikaten ist, dass sie klimapolitisch weitgehend ein Nullsummenspiel sind. Verkauft ein E‑Autofahrer seine CO2-Einsparung selbst oder über Zwischenhändler an die Mineralölindustrie, erwirbt diese ja das Recht, mehr zu emittieren. Wo ist da der Nutzen fürs Klima?
Der Nutzen für das Klima entsteht durch die Tatsache, dass mehr Autofahrer auf Elektromobilität setzen und Stadtwerke, Kommunen und Unternehmen E‑Ladesäulen betreiben. Dieser Beitrag sollte auch in Zukunft honoriert werden.
Die Branche beklagt, dass wegen der falsch deklarierten Importe der Preis für die THG-Quote seit Anfang 2023 von 425 Euro je Tonne CO2 auf heute unter 100 Euro gefallen ist. Selbst große Hersteller von Biokraftstoffen geraten derzeit in Schieflage, weil sie offenbar bei den Handelsgeschäften mit der THG-Quote ein großes Rad gedreht haben. Firmen, die nur auf den Handel setzen, haben sogar existenzielle Probleme. Muss die Branche nicht auch über ihr Geschäftsmodell nachdenken?
Nicht das Handelsgeschäft ist das Problem. Auch der vorsichtigste Geschäftsmann kann Betrug in solchen Dimensionen nicht voraussehen.
Die Leidtragenden sind zudem nicht nur Händler, sondern all diejenigen, die in Deutschland ehrlichen Klimaschutz im Verkehr betreiben: Betreiber von Ladesäulen oder von Tankstellen für alternative Kraftstoffe oder die Erzeuger von Biomethan und Biokraftstoffen.
Diese Geschäftsmodelle zu hinterfragen wäre eine Bankrotterklärung für den Klimaschutz im Verkehrsbereich in Deutschland.