Neuen Zündstoff für den Daueraufreger "Verbrenner-Verbot 2035" lieferte vergangene Woche ein durch die Medien zirkulierendes Gerücht. Die Europäische Kommission wolle Mietwagenfirmen und großen Unternehmen schon ab 2030 nur noch die Anschaffung von E‑Autos erlauben.

Zuerst hatte das Boulevardblatt Bild am Sonntag berichtet, mit gewohnt knalligem Titel: "EU plant E‑Auto-Zwang für Mietwagenfirmen". Der Bericht selbst beruft sich auf "EU-Kreise" und einen namenlosen "Politiker in Brüssel", der vor den Folgen dieses, wie die Zeitung verschwörerisch formuliert, "verborgen vor der Öffentlichkeit" vorbereiteten "drastischen Eingriffs" warnt.

 

Die EU-Kommission hat einen derartigen Plan dementiert. Vielmehr führt die Kommission gegenwärtig Gespräche mit Vertreter:innen der Branche. Es sollen Möglichkeiten eruiert werden, gewerbliche Fahrzeuge schneller zu elektrifizieren.

Zwei von drei Pkw-Neuzulassungen in Deutschland sind Firmenwagen – zum allergrößten Teil mit Verbrennungsmotor. Die Elektrifizierung dieses Segments ist also ein enormer Hebel für die Dekarbonisierung des Verkehrs.

Solche Überlegungen seien deshalb richtig und wichtig, betont Michael Bloss von den Grünen. Den vermeintlichen "E‑Auto-Zwang" ab 2030 habe sich die Bild am Sonntag jedoch ausgedacht. So einen Vorschlag gebe es nicht, sagt der Europaabgeordnete, und er werde in dieser Form von der Kommission auch nicht kommen.

Tatsächlich scheint dieser Vorstoß, über den auch Spiegel, ARD und viele weitere berichteten, weit hergeholt. Aus keiner Fraktion kam die konkrete Forderung nach einem so weitreichenden Schritt. 50 Prozent "E" bis 2030 sei eher ein Vorschlag, der nach Kommission klinge, so Bloss.

Konkreter Gesetzesvorschlag noch weit entfernt

Selbst der europäische NGO-Dachverband Transport & Environment (T&E) greift in einem offenen Brief an die Kommission vor wenigen Tagen kürzer. Darin fordern neben den Umweltschützer:innen auch verschiedene Unternehmen und europäische Städte, dass 90 Prozent der Neuzulassungen großer Unternehmen 2030 elektrisch sein sollen.

"Indem diese Vorgaben nur für große Unternehmen gelten, die entsprechend größere Fuhrparks haben, deckt man einen signifikanten Teil der gewerblichen Neuzulassungen ab, ohne kleine und mittlere Unternehmen zu belasten", erklärte T&E‑Expertin Susanne Götz.

Die Antriebswende stockt und eine Verkehrswende ist noch gar nicht in Sicht. (Bild: Canetti/​Shutterstock)

Die Vorgaben müssten zudem an die jeweilige Infrastruktur der EU-Länder angepasst werden. Ein großes Unternehmen in den Niederlanden hätte dann eine höhere Elektro-Quote zu erfüllen als ein großes Unternehmen in Griechenland.

Woher der Bild-Bericht stammen könnte, den zahlreiche Medien übernahmen, wisse sie auch nicht, so Götz. "Ein konkreter Vorschlag liegt noch nicht vor." Die Kommission befinde sich noch ganz am Anfang eines Gesetzgebungsprozesses.

Es sei wirklich infam, kritisiert Michael Bloss, dass der Firmenwagen-Hebel in diesem frühen Stadium so aufgeblasen werde, um ihn dann gleich wieder abzuschießen. "Ein bisschen Kulturkampf im Sommerloch", mutmaßt der Grünen-Politiker.

Fakt ist: Die Verkehrsemissionen sinken EU-weit und gerade in Deutschland viel zu langsam. Jahr um Jahr reißt der Verkehr hierzulande sein Sektorziel.

Laut dem neuesten Bericht des Expertenrats für Klimafragen sanken die Verkehrsemissionen 2024 um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der zarte Rückgang sei den schweren Nutzfahrzeugen zu verdanken, so die Expert:innen, während die Pkw-Emissionen unbeirrt auf einem stabilen Niveau segelten.

"Vorsicht, liebe CDU"

Es gebe viele "belegbar effektive Vorschläge zum Hochlauf der Elektrifizierung", die bisher unbeachtet geblieben seien, erklärt Götz. Eine klügere Steuerpolitik könne der Elektrifizierung zum Beispiel einen enormen Schwung geben.

Mit Steuervorteilen in Höhe von knapp 14 Milliarden Euro würden fossile Dienstwagen in Deutschland begünstigt. Ohne diese fossilen Subventionen wären E‑Autos automatisch attraktiver und es würden Mittel etwa für ein Social-Leasing-Programm frei, argumentiert die T&E‑Expertin.

Die Dienstwagen in den Blick zu nehmen, würde indirekt auch Privatfahrer:innen den Umstieg auf Elektro erleichtern. Firmenwagen werden in der Regel nur kurz gehalten und landen dann auf dem Gebrauchtmarkt. Genau dort werden in Deutschland 70 Prozent der Privatautos erstöbert.

Vor allem aber, erinnert Götz, seien die Überlegungen der Kommission eine Reaktion auf Klagen aus der Autoindustrie über mangelnde E‑Auto-Nachfrage. Auch Michael Bloss bestätigt, dass hier der Aufbau eines europäischen Leitmarktes für E‑Autos im Fokus stehe.

"Vorsicht, liebe CDU", warnt Bloss. "Wenn man sofort gegen jedes Instrument für die deutsche Automobilbranche schießt, steht Europa am Ende mit leeren Händen da."

Mit einer festen Elektrifizierungsquote gäbe es eine planbare und verlässliche Nachfrage nach E‑Autos. Die große Mehrheit der Firmenwagen in der EU stammt von europäischen Herstellern, insbesondere den deutschen Schwergewichten. VW und BMW verkaufen etwa 70 Prozent ihrer Neuwagen im gewerblichen Segment.

 

Kommentator:innen mancher Zeitungen mutmaßen indes, aufbauend auf der unbelegten Bild-Behauptung, dass die E‑Auto-Lobby das "Verbrenner-Aus" klammheimlich um fünf Jahre nach vorne zerren wolle. Dabei befindet sich das auf wackeligen Beinen stehende 2035er Ziel aus ganz anderer Richtung unter Druck.

Zahlreiche konservative EU-Abgeordnete, allen voran der CSU-Politiker Manfred Weber, haben angekündigt, das Ziel kippen zu wollen. Spätestens wenn dieses oder nächstes Jahr die EU-Kommission ihre Folgenabschätzung zu dem – wie es ordentlich heißt – "EU-Verkaufsverbot für neue Benzin- und Dieselfahrzeuge" vorlegt, wird das große Gerangel losgehen.