Der Corona-Knick beim globalen Luftverkehr ist fast Geschichte, die Fliegerei hat beinahe wieder das Vor-Pandemie-Niveau von 2019 erreicht. Das müsste eigentlich Anlass für die Airlines sein, ihre Klimaschutz-Bemühungen wieder voll aufzudrehen – sonst haben sie keine Chance, ihren Anteil an den Pariser Klimazielen einzuhalten.
Eine Analyse der Organisation Atmosfair zeigt nun allerdings, dass die Fluggesellschaften ihre CO2-Effizienz in den letzten fünf Jahren nur sehr unzureichend erhöht haben. "Die Klimawende im Flugverkehr lässt auf sich warten", fasst die Organisation ihren "Airline-Index 2024" zusammen. Atmosfair ist bekannt als CO2-Kompensationsanbieter, vor allem für Flüge, und finanziert aus seinen Einnahmen Klimaschutzprojekte.
Die Fluggesellschaften fliegen heute durchaus klimafreundlicher als in der Vor-Corona-Zeit. Gegenüber 2019 haben sie ihre CO2-Effizienz im ersten Nach-Corona-Jahr 2023 im weltweiten Schnitt um knapp sechs Prozent verbessert, was einer jährlichen Steigerung von 1,4 Prozent entspricht. Grundlage sind dabei die CO2-Emissionen pro Passagier und Flugkilometer.
Allerdings: Bei einem weiter wachsenden Flugaufkommen, wie es die Branche erwartet, wäre laut Atmosfair eine Effizienzsteigerung von jährlich etwa vier Prozent nötig, um den CO2-Anstieg zu stoppen und die Paris-Ziele zu erreichen. Mit der geringen Verbesserung verfehlen die Airlines nun zum ersten Mal sogar die Zielvorgabe der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO von jährlich zwei Prozent.
Keine Flotte erreicht Effizienzklasse A
Im vergangenen Jahr lagen die CO2-Emissionen des Luftverkehrs weltweit immerhin zehn Prozent unter dem Niveau von 2019. Gründe sind neben der höheren Effizienz das noch etwas niedrigere Fluggastaufkommen und eine wieder auf 80 Prozent angestiegene Auslastung der Flugzeuge.
Allerdings haben nach der Atmosfair-Analyse die Bemühungen der Airlines zur Modernisierung der Flugzeugflotten und zur Optimierung des Einsatzes der Flugzeugtypen auf den jeweiligen Strecken nachgelassen. Messlatte hierfür sind neue Flugzeugtypen wie Airbus A350-1000, Airbus A321 neo oder Boeing 737 Max‑8, bei denen auch auf verbrauchsintensiven Langstrecken Werte von unter 3,5 Litern Kerosin pro Passagier und 100 Kilometer möglich sind.
Airlines, die eine unveränderte Flotte haben oder nur wenig neue Flugzeuge nutzen, schneiden daher im aktuellen Ranking schlechter als früher ab. Da neue Modelle bei keiner Fluggesellschaft die Flotte dominieren, blieb die beste Effizienzklasse A unbesetzt und nur zwei Airlines erreichten Klasse B von insgesamt sieben Klassen. Insgesamt wurden über 200 Gesellschaften bewertet. Das aktuelle Atmosfair-Ranking ist das erste seit 2018.
Ignorierte Wirkung der Kondensstreifen
Rund 50 führende internationale Luftfahrt- und Klimawissenschaftler:innen fordern zum Ende des UN-Klimagipfels in Baku Politik, Behörden und Airlines auf, das Problem der zur Erderwärmung beitragenden Kondensstreifen zu lösen. Sie verweisen in einem offenen Brief auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach der Erwärmungseffekt dieser künstlichen Wolken mindestens so groß ist wie der direkte Effekt der CO2-Emissionen des Luftverkehrs. Ein Vorteil von Maßnahmen zur Verminderung von Kondensstreifen sei, dass sie schnell und preiswert seien.
Laut einer Untersuchung der europäischen Organisation Transport and Environment (T&E) verursachen nur drei Prozent aller Flüge rund 80 Prozent der Erwärmung durch Kondensstreifen. Veränderte Flugrouten könnten diesen Effekt bis 2040 um mehr als die Hälfte reduzieren. Die Mehrkosten pro Passagier betrügen zum Beispiel bei einem Flug von Frankfurt am Main nach Washington weniger als vier Euro, heißt es in der NGO-Studie.
Unterzeichnet haben den offenen Brief auch Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut, Christiane Voigt von der Universität Mainz und Patrick Le Clercq vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Eine Bewertung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung des Bundestages hatte in diesem Jahr ergeben, dass technische Innovationen in absehbarer Zeit keine Klimaneutralität im Luftverkehr erreichen können.
Von den Top 50 der CO2-effizientesten Airlines der Welt kamen zwölf aus Europa und sieben aus China. Unter den großen Linienfluggesellschaften führt international die chilenisch-brasilianische Latam das Ranking an, dank moderner Flotte und hohen Auslastungen (Platz vier, 82 von 100 Effizienzpunkten). Innerhalb der EU liegen die spanischen Iberia (Platz zwölf, 78 Punkte) und Air Europa (Platz 18, 76 Punkte) vorne.
Die deutschen Gesellschaften Lufthansa, Condor und Tuifly fallen im aktuellen Ranking gegenüber der letzten Bewertung zurück, da sie bei der CO2-Effizienz im Schnitt nur geringe Verbesserungen erreichten. Lufthansa rutschte von Platz 66 auf Platz 97 ab und erreicht nur Klasse F. Condor fällt von Platz neun auf 36 zurück (Klasse D), Tuifly von Platz vier auf Platz 14 (Klasse C).
"Fast auf Vor-Pandemie-Niveau"
Da es beim Klimaschutz im Flugverkehr neben sparsameren Flugzeugen vor allem auf eine Umstellung von fossilem Kerosin auf CO2-arme Treibstoffe ankommt, hat Atmosfair auch dies in der Analyse berücksichtigt. Die genutzten Mengen sind hier allerdings noch denkbar gering, die besten Airlines erreichten maximal rund ein Prozent ihres gesamten Treibstoffverbrauchs.
Beim alternativen Kerosin gibt es zwei Varianten. Sogenanntes Biokerosin wird zum Beispiel aus fetthaltigen Pflanzen wie Raps und gebrauchten Speisefetten hergestellt, was zu den gleichen Debatten wie beim umstrittenen Biosprit führt.
Die andere Möglichkeit sind mit grünem Wasserstoff produzierte "E‑Fuels". Solche synthetischen Treibstoffe sind jedoch erst in sehr kleinen Mengen kommerziell erhältlich.
In diesem Sektor ist auch Atmosfair selbst aktiv. Das gemeinnützige Unternehmen hat im niedersächsischen Werlte eine Pilotanlage für "E‑Kerosin" gebaut und Mitte des Jahres eröffnet, nach eigenen Angaben eine Weltpremiere. Laut Atmosfair erreicht das synthetische Rohöl aus der Anlage eine CO2-Reduktion um 96 Prozent gegenüber dem fossilen Rohöl.
In dem aktuellen Ranking konnte sich nur eine Airline durch die Nutzung von alternativem Flugzeugtreibstoff um zwei Plätze im Ranking verbessern. Dieser Treibstoff ist biobasiert.
Atmosfair-Chef Dietrich Brockhagen sagte zu dem neuen Airline-Index, der zum UN-Klimagipfel in Baku vorgelegt wurde: "Der Luftverkehr ist fast wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau angewachsen, das gilt leider nicht für die Klimabemühungen."
Die Anstrengungen der Airlines zum Klimaschutz hätten selbst gegenüber der schwachen Dekade vor der Pandemie weiter nachgelassen. Die Zahlen zur CO2-Effizienz und die Prognosen für den Einsatz von CO2-neutralen Treibstoffen zeigten, "dass der Sektor beim Klimaschutz einfach zu langsam ist".