E‑Methanol, hergestellt aus Wasserstoff und Kohlendioxid, gilt als vielversprechende Klimaschutztechnologie für Sektoren, in denen eine direkte Elektrifizierung kaum machbar ist. Die Substanz könnte etwa als Stromspeicher für Dunkelflauten genutzt oder durch weitere Umwandlungsschritte zu grünem Plastik oder nachhaltigen Flugkraftstoffen umgewandelt werden.
Vor allem in der Schiffsbranche gilt Methanol als eine vielversprechende Lösung, um große Containerschiffe klimafreundlich zu betreiben. Einige Reedereien wie der Methanol-Pionier Stena Line und der dänische Maersk-Konzern besitzen bereits Schiffe, die auch mit Methanol betrieben werden können.
Doch obwohl die Branche viel über Methanol spricht und viele Reedereien bereits angekündigt haben, den grünen Treibstoff einzusetzen, sobald dieser in entsprechenden Mengen verfügbar ist, gab es im vergangenen Jahr einen großen Rückschlag. Der dänische Windkraftkonzern Ørsted stoppte ein Projekt mit dem Namen "Flagship One" in Schweden, das eigentlich sehr vielversprechend aussah.
Das Vorhaben hat eine längere Geschichte, die Planungen wurden ursprünglich von einem anderen Unternehmen gestartet. Das schwedische Start-up Liquid Wind wollte, wie der Name schon sagt, erneuerbare Energien wie Windkraft in den flüssigen Energieträger Methanol umwandeln.
2020 sammelte Liquid Wind mittels Crowdfunding 2,4 Millionen schwedische Kronen ein, umgerechnet etwa 210.000 Euro. Zu den Investoren gehörten Siemens Energy, der dänische Maschinenbaukonzern Topsoe und der Energiekonzern Uniper.
2020 erfolgte auch die erste Ankündigung für das Projekt Flagship One. Dafür ging Liquid Wind eine Partnerschaft mit Övik Energi ein, einem lokalen Energieversorger in der Stadt Örnsköldsvik. Övik Energi betreibt ein Biomassekraftwerk, das als CO2-Quelle für das Projekt dienen sollte.
CO2 aus einem Biomassekraftwerk
Für alle derartigen Technologien, die man auch als CO2-Abscheidung und -Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) bezeichnet, ist die Frage entscheidend, wo das Kohlendioxid herkommt. Nutzt man CO2 aus fossilen Quellen oder auch aus der Zementindustrie, ist das im Gesamtbild nicht klimaneutral, da die Emissionen nicht verhindert, sondern nur verzögert werden. Daher nutzen solche Projekte häufig biogene CO2-Quellen, wobei es auch hier darauf ankommt, wie nachhaltig die verwendete Biomasse ist.
Im Jahr 2022 stieg der dänische Ørsted-Konzern bei Flagship One ein. Ørsted, früher Dong Energy, ist einer der größten Betreiber von Offshore-Windkraftanlagen und im Übrigen auch weltweit der bislang einzige ehemalige Ölkonzern, der sein Geschäft fast vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt hat.

Im Dezember 2022 übernahm Ørsted das Projekt vollständig und kündigte gleichzeitig eine "finale Investitionsentscheidung" an. Liquid Wind war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr beteiligt.
Alles sah vielversprechend aus. Flagship One erhielt aus einem Klimaschutzprogramm der schwedischen Regierung großzügig Fördermittel, es gab zudem eine Zusage des EU-Catalyst-Investitionsprogramms. An diesem Programm ist auch die von Bill Gates gegründete Organisation Breakthrough Energy beteiligt.
Doch im August 2024 kündigte Ørsted überraschend an, das Projekt einzustampfen. Als Grund gab das Unternehmen an, dass es nicht gelungen sei, langfristige Abnahmeverträge für das dort produzierte grüne Methanol abzuschließen.
Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass eine Regulierung der EU, die Fuel-EU-Maritime-Richtlinie, am Ende deutlich weniger ambitionierte Vorgaben für den Einsatz von grünen Treibstoffen enthielt, als viele erhofft und gefordert hatten.
Ørsted stoppte daraufhin alle Verträge mit seinen Lieferanten und mit Övik Energi. Doch was wurde eigentlich aus Liquid Wind?
Die anderen Methanol-Projekte wurden weitverfolgt
Flagship One sollte, wie der Name bereits andeutet, das erste von vielen ähnlichen Projekten sein. Tatsächlich gibt es auch ein Projekt Flagship Two, etwas weiter südlich in der Stadt Sundsvall, sowie Flagship Three, weiter nördlich in Umeå. Beide Projekte werden nach wie vor von Liquid Wind verfolgt. Das Start-up hat außerdem die Planung für eine weitere E‑Methanol-Fabrik in Schweden übernommen, die gemeinsam mit Uniper realisiert werden soll, und plant zudem Projekte im benachbarten Finnland.
Vor Kurzem erfolgte dann eine überraschende Ankündigung: Liquid Wind plant auch in Örnsköldsvik, also dort, wo das gestoppte Projekt Flagship One stehen sollte, erneut eine E‑Methanol-Fabrik. An Ambitionen mangelt es Liquid Wind dabei nicht. Die neue Fabrik soll eine doppelt so hohe Produktionskapazität haben – 100.000 Tonnen pro Jahr statt der ursprünglich für Flagship One geplanten 50.000.
Natürlich stellt sich hierbei eine recht offensichtliche Frage: Wenn ein etablierter Energiekonzern wie Ørsted zu dem Schluss kam, dass eine E‑Methanol-Fabrik sich nicht wirtschaftlich betreiben lässt, und man für das produzierte Produkt keine Abnehmer findet, warum erwartet dann ein vergleichsweise kleines Start-up wie Liquid Wind, dass ihm das besser gelingt? Klimareporter° sprach darüber mit Claes Fredriksson, dem Chef von Liquid Wind.
Das Unternehmen hatte seit 2019 Pläne für den Standort in Örnsköldsvik und schloss 2020 eine Vereinbarung mit Övik Energi. "Es ist ein guter Standort, nahe am Hafen, nahe am Kraftwerk, nahe am CO2", sagt Fredriksson. "Wir wollten die Idee, dort ein Projekt zu realisieren, nicht aufgeben." Daher nahm Liquid Wind, nachdem Ørsted alle Verträge gekündigt hatte, wieder Kontakt mit Övik Energi auf.
Ørsted hatte Probleme, langfristige Abnahmeverträge für sein Projekt abzuschließen, was Vertreter des Unternehmens beispielsweise dem Portal S&P Global bestätigten.
Liquid Wind will günstigere Preise anbieten
"Wenn man einen Preis anbietet, der niedrig genug ist, wird es immer Abnehmer geben", sagt Fredriksson dazu. "Es gibt mehrere Unternehmen, Treibstoffhändler und Reedereien, die bereit sind, ab 2027 alternative Schiffskraftstoffe zu kaufen."
Auch sei Liquid Wind im Gespräch mit Unternehmen, die synthetische Flugzeugkraftstoffe produzieren wollten und ein Interesse daran hätten, ab den frühen 2030er Jahren E‑Methanol zu beziehen. Methanol kann über weitere Umwandlungsschritte in Kerosin umgewandelt werden.
Das Start-up geht also davon aus, dass es E‑Methanol zu vermarktbaren Preisen anbieten kann. Laut Fredriksson hat die Firma mehrere unverbindliche Angebote von Schiffsunternehmen, die den Treibstoff zu dem von Liquid Wind angebotenen Preis abnehmen möchten.
Dass man hofft, niedrigere Preise als Ørsted anbieten zu können, liegt auch daran, dass das Unternehmen plant, größere Produktionsanlagen zu bauen.
"Größere Anlagen erhöhen generell die Effizienz und die Kosten pro Kraftstoffeinheit fallen", sagt Fredriksson. Das gilt ganz generell für viele industrielle Prozesse, insbesondere in der chemischen Industrie. Genau diese Hochskalierung ist aber auch eine große Herausforderung für industrielle Klimaschutzinnovationen.
Während es für einen wirtschaftlichen Betrieb oft unumgänglich ist, Anlagen in großem Maßstab zu betreiben, gibt es dabei automatisch auch mehr Risiken. In kleineren Produktionsstätten lassen sich leichter einzelne Prozessschritte nochmals überarbeiten und Anlagenteile austauschen, und bei einem Scheitern des gesamten Projekts sind die Risiken für Investoren geringer. Die richtige Hochskalierung zur richtigen Zeit ist daher ein entscheidender Faktor für neue industrielle Klimaschutztechnologien.
Fredriksson macht im Gespräch deutlich, dass der Betrieb einer Anlage in dieser Größenordnung erhebliche Herausforderungen mit sich bringe. "Es sind große Anlagen. Wir arbeiten mit großen Mengen an Strom, wir arbeiten mit einem Gas (Wasserstoff) und wir haben einen Brennstoff als Produkt", so Fredriksson. "Es kommt nicht so häufig vor, dass man mit all diesen Dingen gleichzeitig zu tun hat."
Deutlich größere Anlagen in China
Alle zur Zeit von Liquid Wind geplanten Projekte sollen eine Kapazität zwischen 100.000 und 130.000 Tonnen E‑Methanol pro Jahr haben. Das ist deutlich mehr als die meisten anderen E‑Methanol-Projekte. Das bisher am weitesten fortgeschrittene vergleichbare Projekt in Europa befindet sich in Kassø in Dänemark, mit einer geplanten Kapazität von 32.000 Tonnen jährlich. Es ist bereits in Bau und gehört der Firma European Energy.
Von der Größenordnung vergleichbar mit den Projekten von Liquid Wind sind zwei Anlagen in China, die von der isländischen Firma Carbon Recycling International gebaut wurden. Diese produzieren ebenfalls Methanol aus Kohlendioxid, allerdings wird der Wasserstoff dort nicht mittels Elektrolyse hergestellt, sondern stammt aus bestehenden, fossilen Industrieprozessen.
Andere Akteure in China haben Pläne für deutlich größere Anlagen. Der Windkraftkonzern Goldwind hat im vergangenen Jahr den Baubeginn für eine kombinierte Bio- und E‑Methanol-Anlage mit einer Kapazität von 500.000 Tonnen angekündigt. Auch der Autohersteller Geely möchte ins E‑Methanol-Geschäft einsteigen und plant Anlagen in ähnlicher Größenordnung.
Selbst wenn alles gutgeht, dürfte es noch einige Zeit dauern, bis die E‑Methanol-Fabrik in Örnsköldsvik mit der Produktion startet. Zunächst benötigt Liquid Wind eine neue umweltrechtliche Genehmigung für die Anlage, was auch in Schweden einige Zeit dauert. Fredriksson erwartet, dass diese in zwölf bis fünfzehn Monaten vorliegen könnte, sagt aber auch, dass man parallel mit Investoren im Gespräch sei. Eine Investitionsentscheidung könnte im Herbst 2026 fallen.
Bald Baubeginn für "Flagship Three"?
Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne für eine andere Anlage von Liquid Wind, die etwa 100 Kilometer nordöstlich von Örnsköldsvik in der Stadt Umeå gebaut werden soll. Es handelt sich um das erwähnte Projekt Flagship Three. Die umweltrechtliche Genehmigung wurde im Januar erteilt.
In vielerlei Hinsicht ähneln sich die beiden Vorhaben. Auch in Umeå plant Liquid Wind den Bau nahe einem Hafen und möchte CO2 aus einem nahegelegenen Kraftwerk nutzen. Das dortige Kraftwerk Dåva wird mit einer Mischung aus Biomasse und Haushaltsabfällen beheizt.
Liquid Wind plant, nur so viel CO2 zu nutzen, wie anteilig aus biologischen Rohstoffen stammt. Das ist auch nötig, damit das produzierte E‑Methanol als grün gelten kann. Für den fossilen Rest hat der Betreiber des Kraftwerks den Plan, das CO2 unterirdisch einzulagern, was als Carbon Capture and Storage (CCS) bekannt ist. Es dürfte allerdings noch dauern, bis es dazu kommt. Bislang gibt es in Schweden keine unterirdischen CO2-Speicher.
Der Bau der E‑Methanol-Anlage hingegen könnte schon bald starten – wenn alles gutgeht. "Wir planen eine finale Investitionsentscheidung und einen Baubeginn in der zweiten Hälfte dieses Jahres", sagt Liquid-Wind-Chef Fredriksson über das Projekt in Umeå. "Wir haben zwei nicht-bindende Angebote für die Abnahme, wir sind also bei den Abnahmeverträgen gut aufgestellt."
Liquid Wind ist außerdem in regelmäßigen Gesprächen mit dem Hafen von Göteborg. Dort werden gerade die Anlagen für die Betankung von Schiffen – das sogenannte Bunkering – für die Verwendung von Methanol umgerüstet.
Fähre mit Methanolantrieb verbindet Göteborg und Kiel
Der Hafen von Göteborg gehört zu den Pionieren bei der Nutzung von Methanol. Die Fähre "Stena Germanica" der Reederei Stena Line war 2015 das erste Schiff, das mit einem Dual-Fuel-Motor ausgestattet wurde, der sowohl mit Methanol als auch mit konventionellen Schiffstreibstoffen betankt werden kann.
Die "Stena Germanica" verbindet Göteborg in Schweden mit Kiel in Schleswig-Holstein. Zurzeit nutzt das Schiff allerdings überwiegend fossiles Methanol, und auch das nur teilweise. Das führt zu weniger Luftverschmutzung, dem Klima bringt es wenig.
Es ist offensichtlich, dass Liquid Wind nach wie vor daran glaubt, in Europa eine großskalige Produktion von E‑Methanol etablieren zu können. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Die Herausforderungen sind erheblich.
Doch viele mit dem Thema vertraute Fachleute sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit denen ich in den vergangenen Monaten gesprochen habe, sind überzeugt davon, dass E‑Methanol eine wichtige Rolle bei zukünftigen klimaneutralen Technologien spielen wird.
Die Entscheidung von Ørsted, Flagship One zu stoppen, war für viele enttäuschend. Trotzdem gab es zuletzt eine ganze Reihe weiterer Ankündigungen für Projekte rund um grünes Methanol.
Im September 2024 hat die dänische A. P. Møller Holding ein Start-up mit dem Namen Vioneo gegründet, das aus grünem Methanol fossilfreies Plastik herstellen möchte. Die A. P. Møller Holding ist der Hauptaktionär von Maersk, die beiden Unternehmen sind eng miteinander verbunden.
Die Bestellung von Methanol-fähigen Schiffen durch Maersk vor einigen Jahren galt als wichtiges Signal an die Branche dafür, wie vielversprechend E‑Methanol ist. Zuletzt hat Maersk allerdings einen Rückzieher gemacht und eine große Zahl an Schiffen mit fossilen Erdgasantrieben bestellt. Der Konzern kam nun offenbar zu dem Schluss, dass Technologien auf Basis von grünem Methanol auch anderswo zum Einsatz kommen könnten.
Grünes Plastik und Methanol aus Abfall
Vioneo möchte im belgischen Antwerpen eine Methanol-to-Olefin-Anlage bauen. Diese Technologie wird bislang fast ausschließlich in China eingesetzt, um aus Methanol, das mittels Kohlevergasung gewonnen wird, Rohstoffe für die Plastikproduktion herzustellen. Das ist natürlich überhaupt nicht klimafreundlich, doch die Technologie gilt, wenn man statt Kohlevergasung grünes Methanol nutzt, als vielversprechend für klimaneutrale Kunststoffe. Viele der chinesischen Anlagen wurden von dem US-Konzern Honeywell gebaut, auch Vioneo plant mit der Technologie von Honeywell.
European Energy, die Firma, die in Dänemark eine E‑Methanol-Anlage mit einer Kapazität von 32.000 Tonnen baut, hat ebenfalls größere Ambitionen. European Energy erhielt kürzlich eine Zusage für eine Förderung durch den EU Innovation Fund, ein Förderprogramm der Europäischen Union für innovative Klimaschutztechnologien. Damit soll eine Anlage mit einer Kapazität von 100.000 Tonnen entstehen, also in derselben Größenordnung wie die geplanten Anlagen von Liquid Wind in Schweden.
Im Januar kündigte der spanische Konzern Repsol eine Investition in eine Abfall-Gasifizierungsanlage an. Das Projekt wird ebenfalls durch den EU Innovation Fund unterstützt. In der Anlage von Repsol sollen Abfälle zunächst zu Synthesegas und dann zu Methanol umgewandelt werden.
Derartige Gasifizierungstechnologien sind potenziell eine vielversprechende Möglichkeit des chemischen Recyclings, um anderweitig nicht nutzbare Abfälle wieder in Rohstoffe umzuwandeln.
Doch diese Gasifzierungstechnologien gelten auch als technisch sehr anspruchsvoll und es gab in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Projekten, die spektakulär gescheitert sind. Ältere Leserinnen und Leser erinnern sich dabei möglicherweise noch an den Namen Thermoselect.
Repsol will bei seinem Vorhaben eine Technologie einsetzen, die von der kanadischen Firma Enerkem entwickelt wurde. Diese wiederum hatte zuletzt auch einige Probleme. Die Firma hatte im kanadischen Edmonton für einige Jahre eine Abfall-Gasifizierungsanlage in Betrieb, die produzierte allerdings laut einem Bericht des Senders CBC deutlich weniger als erwartet.
Im Januar 2024 wurde die Anlage stillgelegt. Weitere geplante Projekte von Enerkem in den Niederlanden wurden nicht umgesetzt. Der Bau einer Anlage mit Enerkem-Technologie in Kanada wurde gerade mangels Finanzierung auf Eis gelegt. Trotz dieser Rückschläge scheint Repsol davon auszugehen, dass die Technologie des Unternehmens erfolgreich eingesetzt werden kann.
Es scheint, dass die Absage von Flagship One nicht dazu geführt hat, dass sich beim grünen Methanol nichts mehr tut. Alle diese Anlagen sind natürlich noch nicht in Betrieb und es wird sich zeigen, ob sie realisiert werden und wie erfolgreich sie sind.
Der Autor schreibt einen englischsprachigen Newsletter über Industriedekarbonisierung. Auf dem jüngsten Chaos Communication Congress in Hamburg hielt er einen Vortrag: "Is Green Methanol the missing piece for the Energy Transition?"