Klimareporter°: Herr Baumann, für die Deutsche Umwelthilfe ist der Einsatz des Biodiesels HVO genauso klimaschädlich wie der von fossilem Diesel. Auch Ihr Verband sieht das "Hydro-treated Vegetable Oil" inzwischen recht kritisch. Warum?

Elmar Baumann: Zunächst: Die Aussagen der Deutschen Umwelthilfe sind sachlich falsch, sie basieren auf einer Studie, die gravierende fachliche Mängel aufweist, und haben mit unserer Kritik inhaltlich nichts zu tun.

 

Wie stellt sich dann Ihre Kritik dar?

Seit Anfang 2023 kritisiert unser Verband die riesigen Importe fälschlich als fortschrittlich deklarierter Biokraftstoffe aus China und die fehlende Reaktion der Europäischen Kommission und der Bundesregierung auf diesen Missstand.

Zu den Importen gehört neben Biodiesel – chemisch Fettsäuremethylester – auch hydriertes Pflanzenöl, kurz HVO. Unsere Kritik bezieht sich also auf falsch deklariertes HVO.

Derzeit hat HVO insgesamt – als Beimischung und als Reinkraftstoff HVO 100 – in Deutschland einen Marktanteil von zehn Prozent bei den Dieselsubstituten. Die anderen 90 Prozent sind Biodiesel. Das in Deutschland gesammelte Altspeise‑ und Tierfett geht zu großen Teilen in die inländische Biodieselproduktion.

Der heutige geringe Mehrpreis des HVO an den Zapfsäulen deckt nach Informationen aus dem Markt nicht die Kosten. Eines Tages werden die Mehrkosten weitergegeben werden müssen – es sei denn, sie können durch den Treibhausgas-Quotenhandel und den neuen Emissionshandel kompensiert werden. Das gilt sinngemäß auch für reinen Biodiesel, B100. Biodiesel ist allerdings kostengünstiger als HVO.

Tatsächlich hatte der massenhafte Import vermeintlich fortschrittlicher Biokraftstoffe vor allem aus asiatischen Quellen die hiesige Branche in eine Krise gestürzt. Um den Markt für erneuerbare Energien im Verkehr zu ordnen, hat das Bundesumweltministerium vor einiger Zeit einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Treibhausgasquote, kurz THG-Quote, vorgelegt.

Das Gesetz müsse unbedingt Anfang 2026 in Kraft treten, fordert nun Ihr Verband. Wieso?

Der jahrelange Betrug mit angeblich fortschrittlichen Biokraftstoffen wurde maßgeblich angetrieben durch die Möglichkeit, sie doppelt auf die THG-Quote anzurechnen. Zusammen mit fehlenden Vorgaben und Kontrollen führte das zu den drastischen Verwerfungen im Markt. Daher muss die Doppelanrechnung beendet werden, und zwar mit Beginn des neuen Quotenjahres.

Aber auch die anderen Elemente zur Betrugsbekämpfung, die im Gesetzentwurf verankert sind, sollten per 1. Januar 2026 in der Praxis angewendet werden.

Die Forderung zum pünktlichen Inkrafttreten wird übrigens von einem breiten Bündnis von Verbänden und Initiativen verschiedener Branchen unterstützt, darunter der ADAC und der Automobilverband VDA.

Der Gesetzentwurf zur THG-Quote aus dem Umweltministerium war aber, wie zu hören ist, nicht mit den anderen Ressorts abgestimmt. Warum wird so eine unfertige Vorlage auf die administrative Reise geschickt?

Das ist nicht so ungewöhnlich. An der Vorlage hatte das Umweltministerium schon zu Zeiten der Ampel intensiv gearbeitet. Der weitere Zeitplan macht uns aber Sorgen. Obwohl sich erheblicher Diskussions- und Änderungsbedarf abzeichnet, soll sich der Bundestag erst im Dezember mit der THG-Quote befassen.

Eine Hand füllt Kraftstoff aus einer Zapfpistole in den Tank eines Autos, im Hintergrund geht die Sonne unter.
Die deutsche Biokraftstoffindustrie kritisiert widersprüchliche Regelungen im Kraftstoffsektor. (Bild: Hadboxy/​Shutterstock)

Hat Ihre Branche denn noch Änderungsbedarf?

Ja, wir sehen Bedarf für ein weiteres Instrument zur Betrugsprävention, nämlich eine Registrierung der Hersteller fortschrittlicher Biokraftstoffe. Dazu gehört eine technische Prüfung, ob die Anlage aus den angegebenen Rohstoffen einen den Normen entsprechenden Biokraftstoff mit einer bestimmten Produktionskapazität herstellen kann.

Niemand würde der Behauptung glauben, man könne mit einer alten Citroën-Ente Tempo 300 auf der Autobahn erreichen. Behauptet aber jemand, er produziere große Mengen fortschrittlichen Biodiesels aus schwer zu verarbeitenden Abfällen, wie sie in Anhang IX Teil A der Erneuerbare‑Energien-Richtlinie aufgeführt sind, wird das bislang ohne Begutachtung der Anlage akzeptiert.

Dass der Markt massiv mit falsch deklarierten fortschrittlichen Biokraftstoffen überschwemmt wurde, daran besteht kein Zweifel mehr – nur, den Behörden waren irgendwie die Hände gebunden ...

Die Behörden hatten klare Hinweise auf Betrug, konnten das Fehlverhalten aber nicht zweifelsfrei nachweisen. Es gibt drei starke Gründe, warum fortschrittliche Biokraftstoffe eingesetzt werden: die verbindliche Unterquote, die fehlende Obergrenze für die Anrechnung sowie die Doppelanrechnung auf die THG-Quote. Angesichts dieses dreifachen Anreizes haben sich die Vorgaben für die Nachhaltigkeitszertifizierung leider als unzureichend erwiesen.

Bisher behalten Nachhaltigkeitsnachweise selbst bei nachgewiesenem Betrug ihre Gültigkeit und damit ihren wirtschaftlichen Wert. Für uns ist entscheidend, dass Fehlverhalten endlich Konsequenzen im Markt hat.

Reicht es nicht, die attraktive Doppelanrechnung zu beenden und so den wesentlichen Anreiz zum Betrug wegzunehmen?

Wir brauchen drei Dinge. Erstens: Abschaffung der Doppelanrechnung, und zwar ab Anfang 2026. Zweitens: Zugriff auf die Anlagen und deren Daten für die zuständige Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Während die Abschaffung der Doppelanrechnung im vorgelegten Gesetzentwurf schon geregelt ist, sollten die Vorgaben bezüglich der geforderten Angaben zur Produktion fortschrittlicher Biokraftstoffe durch das von uns geforderte Registrierungsverfahren ergänzt werden.

Drittens ist es notwendig, bei Betrug auch die ausgegebenen Nachhaltigkeitsnachweise abzuerkennen. Es ist absurd, dass Biokraftstoffe trotz nachgewiesener Falschdeklaration weiter auf die THG-Quote anrechenbar sind.

Die Anrechenbarkeit auf die THG-Quote ist im Gesetzentwurf nicht gestrichen?

Der Nachweis der Nachhaltigkeit ist in Verordnungen geregelt, für den Stromsektor in der Biomassestrom- und für den Verkehr in der Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung. Die Nachhaltigkeitsverordnung für Strom kennt übrigens keinen Vertrauensschutz bei nachgewiesenem Betrug, also anders als bei Biokraftstoffen.

Zur Änderung beider Verordnungen liegen seit Mitte August Referentenentwürfe aus dem Umweltministerium vor,

Danach soll im Verkehr der Nachhaltigkeitsnachweis bei Betrug künftig aberkannt werden. Das begrüßen wir ausdrücklich, auch wenn diese Konsequenz reichlich spät kommt. Die ersten Hinweise auf falsch deklarierte fortschrittliche Biokraftstoffe hatte es bekanntlich Anfang 2023 gegeben.

Das Bundeswirtschaftsministerium soll jetzt bei den Nachhaltigkeitsverordnungen gegen die Aberkennung des Nachhaltigkeitsnachweises einen sogenannten Leitungsvorbehalt eingelegt haben, blockiert die Aberkennung also de facto. Ohne die Aberkennung kann aber doch der Betrug bei den "fortschrittlichen" Biokraftstoffen so weiter gehen?

Es gibt den Betrugsfall einer HVO-Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Anlage hat nachweislich nie existiert, das hat die Bundesanstalt festgestellt. Die Nachhaltigkeitsnachweise, die für HVO aus der nicht existenten Anlage ausgestellt wurden, sind wegen des Vertrauensschutzes aber nach wie vor gültig. Der nie produzierte Biokraftstoff kann also auf die deutschen Quoten angerechnet werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand.

Wenn deutsche Behörden diese Nachhaltigkeitsnachweise nicht aberkennen können und Mineralölunternehmen mit Biokraftstoff aus einer nicht existenten Anlage allen Ernstes ihre Klimaschutzverpflichtungen erfüllen dürfen, sollte es keine Zweifel geben, dass die bestehende Regelung des Vertrauensschutzes dringend reformiert werden muss.

Ohne eine solche Reform sind die anderen Instrumente zur Betrugsbekämpfung übrigens weitgehend wirkungslos.

Bild: VDB

Elmar Baumann

Der studierte Biotechnologie‑ und Wirtschafts­ingenieur ist seit 2009 Geschäfts­führer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoff­industrie (VDB). Im VDB haben sich größere Hersteller von Agrokraft­stoffen organisiert, darunter ADM, Cargill, NEW und Verbio. Die Mitglieder repräsentieren nach Verbands­angaben 60 Prozent der inländischen Produktion.

In dem Zeitraum seit Anfang 2023 sind enorme Mengen falscher deklarierter Biokraftstoffe in den Markt gelangt, die rechtlich als nachhaltig gelten und von der Mineralölindustrie zur Erfüllung der THG-Quote eingesetzt werden können. Was soll mit diesem Überhang passieren?

Es hat in den Jahren 2022, 2023 und 2024 durch die betrügerischen Importe aus China eine gewaltige Übererfüllung von fortschrittlicher Unterquote und THG-Quote gegeben. Die Übererfüllung kann aufs jeweilige Folgejahr übertragen werden.

Für 2025 und 2026 ist der riesige Rucksack mit diesen Quotenrechten auf Eis gelegt, das hat die Bundesregierung auf Vorschlag des Umweltministeriums verfügt.

Ab 2027 aber können diese Quotenmengen wieder verwendet werden, zusammen mit möglichen Übererfüllungen, die in den Jahren 2025 und 2026 erzielt werden. Werden diese Quotenvorräte 2027 genutzt, dann droht wieder eine schwerwiegende Störung des Marktes.

Unser Vorschlag lautet hier, die THG-Quote bereits 2027 auf das Niveau zu heben, das bisher erst 2028 erreicht werden soll, nämlich 17,5 Prozent THG-Minderung.

Fürs Klima bringt es allerdings nichts, einen Überhang falsch deklarierter Biokraftstoffe auf eine aktuelle THG-Quote anrechnen zu lassen.

Natürlich nicht. Es wäre wichtig gewesen zu verhindern, dass falsch deklarierte Kraftstoffe auf die THG-Quote angerechnet werden. Eine Mischung aus unzureichenden Vorgaben für die Zertifizierung, fehlenden behördlichen Kontrollen und ausbleibender Aberkennung falscher Nachweise hat es aber unmöglich gemacht, die Anrechnung zu unterbinden.

Die geplanten gesetzlichen Änderungen setzen nun genau an diesen Punkten an. Wir sind daher optimistisch, dass der Betrug wirksam zurückgedrängt werden kann, wenn die Änderungen so beschlossen werden.

Der Verkehr wird ab 2027 in den neuen europäischen Emissionshandel einbezogen, den ETS 2. Stand heute wird der Verkehr in Deutschland seine Klimaziele am deutlichsten verfehlen. Rechnet Ihre Branche da mit mehr Aufmerksamkeit?

Erneuerbare Energien haben im Straßenverkehr derzeit einen Anteil von ungefähr sieben Prozent bei der Antriebsenergie, fossile Kraftstoffe liegen bei 93 Prozent. Hier einen messbaren Fortschritt zu erzielen – vor der Herausforderung steht jede Bundesregierung.

Biokraftstoffe können kurz- und mittelfristig den größten Beitrag leisten, um den Anteil der Erneuerbaren zu steigern. Dann kommt die Zunahme von E‑Fahrzeugen, zusammen mit der Verbesserung des Strommixes. Wir sehen Biokraftstoffe dabei als natürlichen Partner der E‑Mobilität.

Ab 2035 soll in der EU nach bisherigem Stand ein sogenanntes Verbrennerverbot gelten. Dann dürfen neu zugelassene Autos nur noch mit Strom, grünem Wasserstoff und, wenn vorhanden, E‑Fuels angetrieben werden. Biokraftstoffe können dann nur noch von Bestandsautos getankt werden – oder?

Die Rede vom Verbrennerverbot ist umgangssprachlich. Rechtlich gesehen geht es um die CO2-Flottengrenzwerte. Hier stellt sich ja schon jetzt und nicht erst 2035 die Frage, wie die Autohersteller die verschärften Werte einhalten können.

Wir halten das Vorgehen der EU-Kommission, die bei den Flottengrenzwerten eine Berücksichtigung erneuerbarer Kraftstoffe weiter ablehnt, für strategisch unklug und methodisch falsch.

Der Wechsel zur E‑Mobilität funktioniert nicht so glatt wie ursprünglich gedacht. Und es ist absehbar, dass die Hersteller auch zukünftig Pkw sowie leichte und schwere Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf den Markt bringen werden.

Wir bezweifeln deswegen, dass ein sinnvolles industriepolitisches Konzept hinter den Flottengrenzwerten steht. Und sie haben einen methodischen Mangel.

Welchen?

E‑Mobilität zählt bei den CO2-Flottengrenzwerten pauschal als Null-Emission, obwohl das, wie wir wissen, in der Realität so nicht zutrifft. Und beim Verbrenner wird nicht auf die verwendete Antriebsenergie geschaut, also mit welchem Kraftstoff das Fahrzeug betrieben wird.

Diesen grundlegenden methodischen Mangel sollte die EU-Kommission heilen. Damit hätten die Fahrzeughersteller die Wahl, wie sie die noch fehlenden Gramm CO2-Einsparung erreichen. Dabei kann der Hersteller für einzelne Fahrzeugtypen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, je nachdem, was wirtschaftlicher ist: Elektrifizierung oder erneuerbare Kraftstoffe.

Eine Reihe von Verbänden und Herstellern plädiert inzwischen dafür, den Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe bei den Flottengrenzwerten zu berücksichtigen. Das wäre systematisch geboten und würde auch den Hochlauf der E‑Mobilität nicht beeinträchtigen.

Es klingt in sich widersprüchlich, dass Mineralölunternehmen mit dem Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe ihre Emissionen mindern können, dieselben Kraftstoffe bei Flottengrenzwerten aber nicht berücksichtigt werden.

Die einzelnen Regulierungen sind nicht aufeinander abgestimmt, aber das wird in Brüssel nicht als Mangel gesehen. Man begreift die verschiedenen Richtlinien und Verordnungen als Unikate, nicht als Zahnräder, die ineinandergreifen.

Wir empfehlen den Blick auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens, die in der EU durch zwei Instrumente erreicht werden sollen: den Emissionshandel und Regelungen für die Sektoren, die noch nicht unter den Emissionshandel fallen.

Der Straßenverkehr gehört zu Letzterem. Dort gilt die sogenannte Effort Sharing Regulation, die Lastenteilungsverordnung. Danach muss Deutschland bis 2030 in diesem Bereich die CO2-Emissionen um 50 Prozent gegenüber 2005 reduzieren.

Deutschland setzt gerade die europäische Erneuerbaren-Richtlinie RED III für den Verkehr um. Wenn alles gut geht, werden 20 Prozent CO2-Minderung im Jahr 2030 erreicht. Das ist zwar gar nicht schlecht, aber viel zu wenig gemessen an den Pflichten Deutschlands bei der Lastenteilung.

 

Sie wollen, dass der Einsatz von Biokraftstoffen auf die Flottengrenzwerte angerechnet werden kann?

Ja, für so eine Revision der Regelungen für Pkw sowie für leichte und schwere Nutzfahrzeuge plädieren wir. Das würde einen zusätzlichen Anreiz geben, Kraftstoffe mit einem höheren Biokraftstoffanteil einzusetzen, also zum Beispiel E20 statt E10.

Unser Ziel ist nicht, den heutigen Einsatz von Biokraftstoffen einfach auch auf die Flottengrenzwerte anzurechnen.

Es geht um die Möglichkeit, zusätzliche Mengen Biokraftstoffe einzusetzen. So eine Option zu eröffnen, wäre sinnvoller als die jetzige Diskussion, ob Klimaziele verschoben oder drohende Strafzahlungen ausgesetzt werden sollen. Insofern fordern wir die Bundesregierung auf, sich für eine Anrechnung erneuerbarer Kraftstoffe einzusetzen.

Wir halten das nicht nur für konsensfähig, sondern auch für geboten. Selbst in den Emissionsszenarien, in denen die E‑Mobilität in optimaler Weise hochläuft und Verkehr auf die Schiene verlagert wird, verbleibt bis 2045 eine riesige Klimaschutzlücke im Verkehr. Dafür braucht man zusätzliche Mengen erneuerbarer Kraftstoffe, und Biokraftstoffe könnten einen wesentlichen Teil davon ausmachen.