Am vergangenen Donnerstag herrschte Feierstimmung unter Berlins Fahrradfreunden. Das Abgeordnetenhaus hatte gerade das Berliner Mobilitätsgesetz verabschiedet. Oft einfach als "Radgesetz" bezeichnet, soll es vor allem den Fahrradverkehr und den öffentlichen Nahverkehr fördern. Die Zahlen, die das Bundesverkehrsministerium am Tag darauf vorlegte, könnten den Feiernden allerdings die Laune verderben. Denn um Deutschland fahrradfreundlicher zu machen, bleibt noch viel zu tun.
Die Studie "Mobilität in Deutschland" zeigt: Deutschland ist nach wie vor Autoland. Die Fahrzeuge wurden im Jahr 2017 noch genauso häufig benutzt wie 2008, als die Befragung das letzte Mal durchgeführt wurde: 43 Prozent der Wege werden am Steuer eines Autos zurückgelegt, weitere 14 Prozent in Autos als Mitfahrer. In Personenkilometern gerechnet erreicht der Anteil des Autoverkehrs sogar drei Viertel.
Die Befragung wurde vom Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Infas) im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums ausgeführt. Das Ministerium hat am vergangenen Freitag erste Ergebnisse veröffentlicht, der Rest soll im Herbst folgen. Von Juni 2016 bis September 2017 wurden bundesweit etwa 155.000 Menschen befragt. Die letzten Befragungen dieser Art hatten 2008 und 2002 stattgefunden.
Große Unterschiede gibt es zwischen Stadt und Land. In den Metropolen wurden weniger als 40 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt, mehr als 20 Prozent mit dem ÖPNV und 15 Prozent mit dem Fahrrad. In Kleinstädten und Dörfern hingegen betrug der Anteil des Autoverkehrs 70 Prozent.
Beim öffentlichen Nahverkehr gab es ein leichtes Wachstum im Vergleich zu 2008. Während damals acht Prozent der Wege und 15 Prozent der Personenkilometer mit den Öffentlichen zurückgelegt wurden, waren es 2017 zehn beziehungsweise 19 Prozent.
Für die aktuelle Studie wurden erstmals auch Carsharing und Leihräder abgefragt. Auch hier gibt es ein großes Stadt-Land-Gefälle. So sind in Metropolen 14 Prozent der Befragten bei einem oder mehr Carsharing-Anbietern angemeldet. In zentralen Städten im ländlichen Raum sind es hingegen nur zwei Prozent. Leifahrräder werden in den Metropolen von zehn Prozent der Befragten regelmäßig genutzt, und zwar besonders häufig von unter 40-Jährigen.
Regierung will Radverkehr von elf auf 15 Prozent steigern
Der Anteil der Wege, die mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden, ist im Vergleich zur vergangenen Erhebung zwar um einen Prozentpunkt von zehn auf elf Prozent gestiegen. Dennoch übt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), der sich für die Förderung des Radverkehrs einsetzt, Kritik. Von den im Nationalen Radverkehrsplan der Bundesregierung angestrebten 15 Prozent sei man noch weit entfernt.
Im Nationalen Radverkehrsplan für 2020 ist vorgesehen, den Radverkehr auf einen Wege-Anteil von 15 Prozent zu erhöhen. Im ländlichen Raum soll der Anteil auf 13 Prozent steigen und auf 16 Prozent in städtischen Kommunen. Der ADFC vermisst aber die Maßnahmen, mit denen das erreicht werden soll.
"Die dringend notwendige Verkehrswende passiert nicht durch Förderung von Elektroautos", sagt Verbandschef Burkhart Stork. Deutschland brauche vor allem einladende Radwege und Gehwege sowie einen attraktiven ÖPNV. Erfahrungen aus den Niederlanden oder Dänemark zeigen, dass viel mehr Menschen auf Alternativen umsteigen, wenn diese besser gefördert werden und sich auch die Planungen daran orientieren – statt wie in Deutschland am Auto.
"90 Prozent der Autofahrten dienen nicht dem Lastentransport – und 50 Prozent sind unter sechs Kilometer lang", sagt ADFC-Chef Stork. "Warum machen die Menschen diesen Irrsinn? Weil unsere Straßen die Botschaft senden: Nimm das Auto – ein möglichst großes! Alles andere ist unbequem und gefährlich."