E‑Autos statt Benzin- und Dieselfahrzeuge: Vor allem, wenn sie mit 100 Prozent Ökostrom fahren, wäre damit fürs Klima schon viel gewonnen. Doch um die Umweltziele zu erreichen und die Städte lebenswerter zu machen, braucht es nicht nur eine Antriebs-, sondern auch eine Verkehrswende – mit weniger Autos.
Die Corona-Pandemie ab 2020 brachte hier einen Einschnitt, denn der bis dahin gültige Trend zu immer mehr Autokilometern wurde gestoppt und sogar ins Gegenteil verkehrt.
Doch inzwischen wächst der Pkw-Verkehr wieder, und das zeigt: Die Politik hat die Chancen für eine Mobilitätswende noch nicht ausreichend genutzt. Umwelt- und Klimaverbände sowie Verkehrsfachleute fordern die neue Bundesregierung auf, hier endlich umzusteuern
Die aktuellen Zahlen von Agora Verkehrswende zeigen, dass der Autoverkehr nach leichten Zuwächsen in diesem Jahr auf den Fernstraßen nur noch knapp unter dem Stand von vor der Corona-Pandemie liegt.
Auf den Autobahnen lag das Pkw-Aufkommen laut dem "Verkehrswende-Radar" des Thinktanks im zweiten Quartal 2025 bei 99,5 Prozent vom Aufkommen des Vergleichsquartals 2019, auf Bundesstraßen waren es knapp 98 Prozent.
Die Analyse basiert unter anderem auf Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen, des Statistischen Bundesamts, des Kraftfahrt-Bundesamts und des Autoklubs ADAC.
Für kleinere Straßen gibt es keine aktuellen bundesweiten Erhebungen. Zahlen für Großstädte und Ballungsräume zeigen aber, dass 2023 die Autonutzung noch deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau lag. In Berlin waren es 87 Prozent, in Hamburg 93 Prozent.
Homeoffice bei Beschäftigten weiter beliebt
Interessant ist, dass diese Zahlen trotz der jüngsten Zunahme mit einer schwächeren individuellen Pkw-Nutzung einhergehen. Der Fahrzeugbestand ist in den letzten fünf Jahren kontinuierlich angewachsen – um 2,5 Millionen auf insgesamt 49,5 Millionen Pkw, also fast fünf Prozent. Das einzelne Auto aber wird deutlich seltener gefahren.
Einen Hauptgrund dafür sieht Agora Verkehrswende in der seit Corona vermehrt genutzten Möglichkeit, zu Hause statt im Büro zu arbeiten. Homeoffice ist trotz der Versuche einiger Unternehmen, ihre Angestellten wieder zurück ins Büro zu holen, weiter hoch im Kurs.
Etwa ein Viertel der Beschäftigten nutzt diese Option zumindest teilweise, so eine Untersuchung des Ifo-Instituts aus diesem Jahr. Tatsächlich ist die durchschnittliche Kilometerleistung pro Pkw in den letzten fünf Jahren von rund 13.500 auf 12.300 Kilometer gesunken.
Erstaunlich angesichts des schlechten Images der Deutschen Bahn und des öffentlichen Verkehrs generell sind die Zahlen in diesem Bereich. Hier haben laut dem Verkehrswende-Radar im ersten Halbjahr sowohl das Fahrgastaufkommen als auch die Verkehrsleistung zum Teil deutlich zugenommen.
Die pro Person gefahrenen Kilometer erreichten im Schienen-Fernverkehr knapp 113 Prozent und bei S-Bahnen und Regionalzügen 119 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Bahnen und Busse wurden stärker nachfragt, und die Leute legten im Schnitt längere Strecken zurück als früher – beides offenbar eine Folge des 2023 eingeführten Deutschlandtickets.
"Spürbare Effekte hatte allein das Deutschlandticket"
Wenig Veränderung gegenüber 2019 gab es ausweislich der Agora-Zahlen beim Fahrrad-Verkehr. Auf Alltagsrouten an Werktagen schwankte das Radverkehrsaufkommen seit 2020 um das Vor-Corona-Niveau, Mitte des Jahres lag es bei 103 Prozent.
Auf Freizeitrouten sank der Radverkehr aber sogar leicht unter den Vergleichswert von 2019. Besonders in Zeiten des Corona-Lockdowns war Radfahren für viele eine wichtige Möglichkeit gewesen, sich an der frischen Luft zu bewegen.
Die Agora-Fachleute sehen die Entwicklung mit Skepsis. "Der Blick auf Deutschlands Verkehrsdaten ist ernüchternd", sagte die Vizedirektorin des Thinktanks, Wiebke Zimmer. Spürbare Effekte auf das Mobilitätsverhalten habe in den letzten Jahren allein das Deutschlandticket gehabt.
"Effekte auf das Pkw-Aufkommen durch die Nutzung von Homeoffice sind kaum mehr erkennbar. Das ist zu wenig für eine Bundesregierung, die ihrer Verantwortung für Gesellschaft, Wirtschaft und Klima gerecht werden will", sagte Zimmer.
Agora-Projektleiterin Philine Gaffron kommentierte: "Ein nachhaltiger Trend zu mehr Radverkehr lässt sich aus diesen Zahlen nicht ablesen." Das Ziel im Radverkehrsplan der Bundesregierung, die per Fahrrad zurückgelegten Wege bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 2017 zu steigern, liege noch in weiter Ferne.
Forscher fordert "intelligent schrumpfende Infrastruktur"
Weniger pessimistisch schätzt der Verkehrsforscher Andreas Knie die Lage ein. Er sagt voraus, dass Deutschland in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr das Verkehrsvolumen von 2019 erreichen wird – unter anderem wegen eines veränderten Arbeitslebens.
"Hinter dem Homeoffice verbirgt sich eine langfristige Erosion des Standard-Arbeitsverhältnisses", glaubt er, weswegen es besonders in den Großstädten und Ballungsräumen weniger Autofahrten geben werde. Die Gesellschaft befinde sich in einer tiefgründigen Transformation.
"Demografie, Digitalisierung sowie veränderte Wertepräferenzen führen insgesamt zu weniger Verkehr", meint der Soziologe, der Professor am Wissenschaftszentrum Berlin und an der TU Berlin ist. Dieser Trend sei schon länger sichtbar und werde auch nicht einfach verschwinden.
Knie hält die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums mit zweistelligen Wachstumszahlen für Pkw- und Güterverkehr für hinfällig. "Diese Gesellschaft produziert nicht mehr Verkehr und braucht daher keine neuen Autobahnen mehr."
Der Forscher fordert ein sofortiges Moratorium für Fernstraßen-Neubauten, allerdings auch "eine intelligent schrumpfende Infrastruktur für eine alternde Gesellschaft in der Transformation". Da die Autos durch die sinkende Nutzung ohnehin immer mehr zu "Stehzeugen" würden, müssten die Alternativen zur privaten Autonutzung viel attraktiver gemacht werden als derzeit.
Knie schlägt vor, das Deutschlandticket zu verbilligen, von aktuell 58 auf 29 Euro monatlich. Außerdem brauche es einen dicht getakteten, teils autonom und on demand fahrenden ÖPNV bis in späte Abendstunden hinein, mit zusätzlichen Service-Funktionen wie Gepäcktransport. "Mehr Carsharing und Robo-Taxis würden das Ganze ergänzen und viele private Autos überflüssig machen."
Anhaltende Kritik an Autobahn-Neubau
Kritik an der Ausrichtung der aktuellen Verkehrspolitik der Bundesregierung kommt unterdessen auch von einem Bündnis aus Umwelt- und Sozialverbänden, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und Automobilclubs.
Die von CDU und SPD geplanten zusätzlichen Mittel von drei Milliarden Euro für den Neubau von Autobahnen gingen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei und widersprächen klar den Zielen des Koalitionsvertrags, monierten die Verbände. Darin hatte sich die Koalition darauf verständigt, die Sanierung von Straßen gegenüber dem Neubau zu priorisieren.
Die Koalition enttäusche viele Pendlerinnen und Pendler, die unter dem Zustand der bestehenden Infrastruktur zu leiden hätten, sagte Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschland, die Teil des Bündnisses ist. "Während Milliarden in neue Autobahnen fließen, werden Buslinien gestrichen, Bahnhöfe verfallen und die Schlaglöcher auf unseren Straßen bleiben bestehen."
Langkamp: "Wer morgens auf den verspäteten Zug wartet oder gar keinen Anschluss mehr hat, spürt, wo die Prioritäten falsch gesetzt sind." Nötig seien Investitionen, die Menschen wirklich erreichen: in pünktliche Busse, verlässliche Bahnen und gute Mobilität vor Ort.
Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

Nicht einverstanden bin ich weiterhin mit dem Deutschland-Ticket. Da wird Mobilität an sich subventioniert. Das ist nicht sinnvoll. Wie hier schon mehrfach ausgeführt, bin ich für Gratis-ÖV für die Bevölkerung einer Zone innerhalb dieser Zone. Bei Städten meist die Stadtkommune, auf dem Land ein sinnvoller Verbund von Kommunen. In diesen Zonen findet die Zwangsmobilität statt, also alle Ortsverschiebungen aus Nicht-Freizeitgründen.
Der Unterhalt eines Autos kostet zw. 423€ (Kleinwagen) bis 1207€ (Oberklasse) pro Monat. Nehmen wir mal als Schnitt 625€ für einen Mittelklassewagen an. Am 1. Januar des Jahres 2025 gab es rund 49,1 Millionen PKW in Deutschland.
Dann betragen die jährlichen Kosten nur für die Fahrzeuge unseres Systems: 625€ x 49.100.000 x 12 = 368.250.000.000€
Also 385,25 Milliarden Euro pro Jahr nur für die PKW, ohne Straßen, ohne die Kosten für Tote und Verletzte, für Umweltschäden und Gesundheitsschäden. Zum Vergleich:
Die Deutsche Bahn hatte 2024 einen Jahresumsatz von 26,203 Milliarden Euro.
Der ÖPNV-Betrieb kostet bundesweit jährlich 25 Milliarden Euro .
Also ohne Privat-PKW könnte man für unser Verkehrssystem 385 + 26 + 25 = 436 Milliarden Euro pro Jahr ausgeben.
Damit kann man locker jeden Bürger an jedem Punkt Deutschlands zu jeder Tageszeit mit einem Bus-On-Demand abholen und durch die Kombination alle öffentlichen Verkehrsmittel zu jedem anderen Ort in Deutschland bringen. Eine App, in der man angibt, wohin man will reicht. Und wenn wir schon dabei sind: Abrechnung erfolgt am Monatsende - wie beim Telefon - nach Nutzung. Alle Rabatte werden dabei automatisch verrechnet. Von Wochenkarten für den RMV bis zur Black-Card als Flatrate für ganz Deutschland.
In der IT gibt es Systeme, die so alt und verkorkst sind, das der Weiterbetrieb teurer ist, als es komplett neu zu bauen. In dieser Situation sind wir auch mit unserem Verkehrssystem.
https://taz.de/Wenn-auf-Berlins-Strassen-nur-noch-Taxis-fahren/!1423045/