Tripod-Blockadeaktion vor dem Haus der Wirtschaft in Wien.
In Wien blockierten Klimagruppen das Gebäude der Industriellen­vereinigung. (Foto: System Change not Climate Change/​Flickr)

Dutzende Menschen stehen mitten auf der sonst viel befahrenen Straße über den Wiener Schwarzenbergplatz. Einige tragen dunkelblaue Overalls. Auf ihrem Rücken prangt der Schriftzug "Crash CARpitalism".

Zwischen zwei Laternenpfählen ist ein blaues Transparent gespannt: "Klimakatastrophe 1,5 Meter" – keine zwei Meter neben dem Prunkbau der österreichischen Industriellenvereinigung (IV).

Seit acht Uhr morgens halten Klimaaktivist:innen die dreispurige Straße vor dem neobarocken Haus der Industrie im Zentrum der österreichischen Hauptstadt besetzt – und trotzdem ist nicht anzunehmen, dass ihren Forderungen so bald Folge geleistet wird.

"Unser Protest richtet sich gegen die Industriellenvereinigung, die für die Behinderung einer klimagerechten, sozialen Mobilitätswende verantwortlich ist", erklärt Luise Bacher.

Bacher ist Aktivistin der Klimagerechtigkeits-Organisation "System Change, not Climate Change". Den Aktivist:innen zufolge ist die Industriellenvereinigung verantwortlich dafür, dass "Österreich ein Dieselland" bleibt.

"Erfolgsgeschichte Diesel"

Der Vorwurf mag abstrus klingen, doch tatsächlich hat der Arbeitskreis der Automobilimporteure, der innerhalb der IV eine eigene Abteilung bildet, noch vor nicht allzu langer Zeit eine Aussendung verbreitet, die schon im Titel behauptete: "Dieselantrieb ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte." Der moderne Dieselmotor sei "effizient und sauber", war darin zu lesen, ohne ihn sei die Einhaltung der Klimaziele der Europäischen Union unmöglich.

Und auch der aktuelle Präsident der Industriellenvereinigung, der Unternehmer Georg Kapsch, will noch immer "kein Ende des Diesel- und Benzinmotors". Kapsch steht auch persönlich für zwei aus Sicht des Klimaschutzes äußerst fragwürdige Infrastrukturprojekte: den Lobautunnel sowie die Dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat.

Seinen eigenen Angaben zufolge vertritt der erwähnte IV-Arbeitskreis "die Interessen der Automobilwirtschaft auf nationaler und europäischer Ebene gegenüber Behörden und Institutionen". Zeitgleich mit der Diskussion zur umstrittenen Abwrackprämie in Deutschland forderte die IV eine Prämie für den Neukauf von Autos mit Verbrennungsmotor auch in Österreich.

"Und das, obwohl man weiß, dass die Autoindustrie in der Art und Weise keine zukunftsweisende Branche ist", erklärt Luise Bacher am Rande der Straßenblockade. Die Lobbyist:nnen würden auch noch versuchen, "Profite aus der Coronakrise zu ziehen", und hätten Geld für die Autoindustrie gefordert, so Bacher.

Es verwundert also wenig, dass die Industriellenvereinigung zum Ziel eines Aktionstags für klimafreundliche Mobilität in der österreichischen Hauptstadt geworden ist.

"Den ganzen Mobilitätssektor vergesellschaften"

Aber wie stellen sich die Aktivist:innen die geforderte Mobilitätswende vor? "Wir fordern autofreie Städte und eine gemeinschaftliche Organisierung von Mobilität", sagt Bacher. "So, dass am Ende alle etwas davon haben."

Im selben Atemzug spricht sie sich vehement gegen die großen Wiener Infrastrukturprojekte aus – wie eben den Autobahnbau durch die Lobau, den "Dschungel Wiens", und die dritte Landebahn am Flughafen Schwechat.

Wichtig ist für Bacher aber vor allem eines: "Wir wollen die Vergesellschaftung des ganzen Mobilitätssektors. Sowohl über die Produktion und die Entwicklung als auch die Gestaltung von Mobilität soll demokratisch entschieden werden."

Begonnen hatte der Aktionstag mit einer Fahrraddemonstration über den Innenstadtring. Die Wiener Polizei duldete die massive Blockade mit Lock-ons und durch Aktivist:innen besetzte Tripods stillschweigend.

Vermutlich wollte sie sich eine weitere Blamage ersparen wie bei einem ähnlichen Anlass im Vorjahr, als hunderte Klimaaktivist:innen eine Kreuzung besetzten. Die brutale Räumung durch die Polizei führte zu zahlreichen mittlerweile gerichtlich bestätigten Maßnahmenbeschwerden gegen das behördliche Vorgehen.

Mit dem Sonnenuntergang über Wien zeichnet sich dieses Mal ein friedliches Ende der Blockade der Klimaaktivist:innen ab. Tripods werden abgebaut, Lock-ons entsperrt und Dinosaurierkostüme eingepackt. Es kann allerdings sein, dass sie bald wieder ausgepackt werden müssen – sofern die Vertreter:innen der Autoindustrie an ihrer "Erfolgsgeschichte des Dieselmotors" festhalten.

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