"Ich gehe ins Internet, finde meine Straße, mein Haus und sehe das Gefährdungspotenzial, das ich dort habe", freute sich Paul Becker, Präsident des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG), am Dienstag sichtlich. Seine Behörde präsentierte online ein selbst entwickeltes Warnportal für Starkregen, vorerst für zwölf der 16 Bundesländer.
Tatsächlich: Auf der Geoportal-Seite genügt ein Klick, um das eigene Bundesland auszuwählen. Beim Hereinzoomen lässt sich dann leicht die Stadt finden und schon liegt auch die eigene Straße im Blick.
Fast spielerisch lässt sich erkunden, ob die Nebenstraße bei Starkregen zum reißenden Fluss oder der Vorgarten plötzlich zum Teich werden kann. Ein digitales Spielzeug – das jedoch reale Gefahren sichtbar macht. Wer zu nah am Wasser gebaut hat oder lebt, kann das leicht erkennen und Vorsorge treffen.
Seit Anfang 2024 stellt das Kartografie-Amt zwölf Bundesländern solche Hinweiskarten für Starkregenereignisse zur Verfügung.
Die Gefahr bei diesen Extremereignissen sei, dass das Wasser nicht schnell genug versickern oder im Kanalsystem abfließen kann und sich dadurch Sturzfluten bilden, etwa auf Verkehrswegen, erklärt Martin Lenk, Leiter der Abteilung Geodienstleistungen des BKG.
Mit steigender Überflutungstiefe und Strömungsstärke wächst dabei die Gefahr rasch: Bereits Wasserstände von 20 bis 30 Zentimetern könnten Menschen mitreißen, höhere Pegel sogar Autos fortschwemmen. "Aufgrund der anhaltenden Klimaerwärmung führen Starkregenereignisse auch für die nächsten Jahre zu Bedrohungslagen in Deutschland", warnt Lenk.
Die Starkregen-Karte basiert auf gesammelten Geodaten. Darunter sind meteorologische Daten des Deutschen Wetterdienstes, Gelände- und Nutzungsinformationen sowie wasserbauliche Daten. Die berechneten Überflutungsgebiete sind in Risikozonen unterteilt und werden in Karten visualisiert.
Gefahren in Rot auf Blau zum Ablesen
Konkret gibt der Online-Dienst für jeden Quadratmeter des Bundeslandes die zu erwartende Überflutungstiefe sowie die Fließgeschwindigkeit an. Pfeile auf der Karte weisen auf die Richtung hin, in die das Wasser voraussichtlich abfließt.

Überflutungstiefen und Fließgeschwindigkeiten werden dabei in einem Farbsystem veranschaulicht. Weiß zeigt langsame Strömungen an, während Gelb, Orange und Rot auf steigende Fließgeschwindigkeiten hinweisen. Rot markiert dabei Strömungen mit einer Geschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde und mehr.
Die Überflutungstiefe wird ihrerseits in Blautönen dargestellt: Weiß steht für Wasser mit einer Tiefe unter zehn Zentimetern, während die Blautöne mit zunehmender Wassertiefe dunkler werden. Dunkelblau kennzeichnet drohende Überflutungen von mehr als vier Metern.
So wird schnell sichtbar, wo genau Starkregengefahren drohen. Und nun? Die Simulation diene der Analyse und sei für präventive sowie planerische Aufgaben hervorragend geeignet, betont BKG-Präsident Becker. Etwa bei der Bauplanung, wenn neue Siedlungen nahe einem Risikogebiet liegen.
"Hier geht es für uns ganz wesentlich darum, dass wir ein deutschlandweit einheitliches Verfahren in Dienst bringen, denn nur so ist eine Vergleichbarkeit möglich." Und nur so ließen sich Anpassungsmaßnahmen für ein gesamtes Land entwickeln, erklärt Becker.
100-jähriges Starkregen-Szenario
Anpassung ist also das Gebot – das kann der Bau von Rückhaltebecken sein oder der Umbau von zu kleinen Durchlässen.
Genaue Vorhersagen lassen sich aus der Karte natürlich nicht ablesen. Anhand zweier Starkregenszenarien auf Grundlage des Starkregenindex und Daten des Deutschen Wetterdienstes sollen aber Gefahrengebiete abgeschätzt werden, erläutert Becker.
Szenario Nummer eins ist ein selten auftretendes hundertjähriges Ereignis. Diese seien für ganz Deutschland unterschiedlich, erklärt Becker. Der Regen fällt also nicht gleichmäßig, sondern variiert in seiner Stärke. Im zweiten Szenario wird ein Niederschlags-Ereignis mit 100 Litern pro Quadratmeter berücksichtigt – ein extremer sogenannter Blockregen.
Das deutschlandweite Kanalnetz sowie die Versickerungsleistung der Böden werden dabei nur in geringem Maße betrachtet. Die Karte zeigt dann eher, wo das Wasser bei Starkregen ohne funktionierende Entwässerung, etwa durch Verstopfung von Abflusssystemen, stehen bleibt.
Einige lokale Hinweiskarten wie die für Hamburg beziehen die örtliche Kanalisation und die Versickerung mit ein. Sein Bundesamt plane aber keine generelle Erweiterung um diese Faktoren, zu komplex seien die Eingangsdaten, sagt Geodatenexperte Lenk.
Digitaler Zwilling für Deutschland
Der Dienst ist nicht nur für Privatpersonen nützlich, die aus Interesse auf ihre Straße schauen. Er kann etwa Einsatzkräften in Katastrophenfällen als Informationsquelle dienen, um Risikogebiete zu identifizieren und gezielt zu reagieren.
Auch Bundesbehörden nutzen den Online-Dienst. "So hat beispielsweise im Verkehrsministerium eine Untersuchung begonnen, wie man diese Ergebnisse verwenden kann, um gefährdete Gebiete auf Bundesfernstraßen oder auch auf das Schienennetz der Bundesbahn anzuwenden", sagt Lenk.
Bislang steht der Dienst zwölf Bundesländern zur Verfügung. Die Hinweiskarte soll bis Ende des Jahres auch für Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und das Saarland verfügbar sein.
Außerdem plant das BKG, ein 3D-Modell mit dem Namen "Digitaler Zwilling Deutschland" bereitzustellen. Das virtuelle Abbild der Realität soll auch dynamische Darstellungen für Starkregenereignisse und seine Folgen bereitstellen. Damit will das Bundesamt genauere Prognosen aus Niederschlagsvorhersagen für betroffene Gebiete erstellen.
Neben der Hinweiskarte für Starkregengefahren stellte das BKG ein weiteres Werkzeug vor: den "German Satellite Positioning Service" (Gepos), der in weniger als einer Minute zentimetergenaue Daten zur Positionsbestimmung liefert – etwa für Vermessungen, für die Landwirtschaft oder für Krisenfälle. Zurzeit befindet sich der Dienst in der Optimierungsphase.