Klimareporter°: Herr Hellmann, Sie haben an einer Studie mitgewirkt, die im Fachjournal Nature Energy erschienen ist. Es geht darum, Stromnetze besser vor Ausfällen durch Stürme zu schützen. Warum ist das überhaupt so wichtig?
Frank Hellmann: In Deutschland werden derzeit etwa 20 bis 25 Prozent der Energie elektrisch genutzt. Je nach Szenario könnten es in Zukunft bis zu 60 Prozent werden, wenn zum Beispiel der Verkehr zunehmend elektrifiziert wird. Das bedeutet, es gibt eine große Abhängigkeit von den Stromnetzen.
Gleichzeitig sehen wir, dass der Klimawandel die Häufigkeit von Wetterextremen und die Stärke von tropischen Wirbelstürmen erhöht. Mit unserer Studie konnten wir erstmals zeigen, wie genau es zu großen Ausfällen kommt, wenn das Stromnetz von solchen Stürmen getroffen wird. Dazu haben wir Ausfälle von Hochspannungsleitungen durch Wind und die Reaktion des Stromnetzes auf diese Ausfälle simuliert.
So konnten wir auch herauszufinden, welche Teile des Stromnetzes besonders dazu neigen, solche großen Ausfälle zu verursachen. Fallen diese kritischen Leitungen aus, kommt es zu Kaskaden, die weitere Ausfälle bis hin zu großen Stromausfällen verursachen. Wir brauchen deshalb ein resilientes Stromnetz – wobei man auch dazu sagen muss, dass die Stromnetze im Allgemeinen robust sind.
Wie sind Sie genau vorgegangen, um die kritischen Stellen in Stromnetzen zu identifizieren?
Wir haben ein Modell genutzt, das Sturmschäden anhand des Stromnetzes von Texas simuliert. Dieses Netz wird besonders oft von Hurrikans oder schwächeren Stürmen getroffen. Nach und nach fallen dabei mehr und mehr Leitungen aus. Das Stromnetz kann das eine Zeit lang kompensieren, bis es irgendwann zu großflächigen Kaskaden kommt und ganze Städte auf einmal ausfallen.
Darauf aufbauend haben wir uns sieben tropische Stürme angeschaut, die in der Vergangenheit großen Schaden angerichtet haben: zum Beispiel 2017 der Hurrikan Harvey. Für jeden dieser Stürme haben wir am Modell jeweils 10.000 mögliche Schadensszenarien untersucht, also 70.000 insgesamt.
Dabei fanden wir heraus: Stromausfälle, die ganze Städte und Regionen betreffen, können schon vermieden werden, wenn nur etwa 20 Leitungen gegen Sturmschäden geschützt werden. Das ist gerade einmal ein Prozent des Gesamtnetzes.
Hat Sie das überrascht?
Eigentlich gar nicht so sehr. Man kann sich komplexe, robuste Systeme wie ein Stromnetz vielleicht ähnlich wie den menschlichen Körper vorstellen. Im Prinzip hält er viel aus, aber wenn es zu dauerhaften Belastungen kommt, zum Beispiel durch falsche Ernährung, dann folgt der Zusammenbruch immer nach den gleichen Mustern. Robuste komplexe System bestimmen sozusagen selbst, wie sie zusammenbrechen.
Lässt sich das Modell auf andere Teile der Welt übertragen?
Ja. Im Prinzip ist es überall dort anwendbar, wo schwere Stürme entstehen.
Wie wollen Sie die Stromnetze aufbauend auf Ihren Ergebnissen resilienter machen?
Dazu gibt es bislang zwei Ideen. Zunächst sollte man Stromnetze nach Möglichkeit immer am Laufen halten und den Netzausbau voranbringen – das ist fast immer besser, als die Netze nicht auszubauen. Wenn man dabei Studien wie unsere zugrunde legt, kann man dadurch das System deutlich robuster machen.
Frank Hellmann
leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) die Forschungsgruppe zur Dynamik, Stabilität und Resilienz komplexer hybrider Infrastrukturnetze. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die komplexe Systemforschung. Hellmann promovierte an der Universität Nottingham und am Albert-Einstein-Institut in Potsdam-Golm.
Ein anderer Ansatz ist, die dezentrale Energiewende voranzubringen, also den Strom dort zu erzeugen, wo auch die Verbraucher:innen sind. Lokale Ressourcen und Speicher könnten dann dafür genutzt werden, dass im Falle eines Stromausfalls zumindest für ein paar Stunden die Versorgung aufrechterhalten werden kann. Das erfordert allerdings eine grundlegende Neuorganisation des Netzes.
Konkret hat sich zuletzt etwa beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gezeigt, wie wichtig eine solche Notfallversorgung ist. Als die Energieversorgung von Kiew bedroht war, war eine Überlegung, die etwa drei Millionen Einwohner:innen aus der Stadt zu evakuieren. Das zeigt, dass Städte ohne Stromnetze nicht mehr funktionieren.
Die Stromnetze werden ja nicht nur durch Stürme, sondern auch durch andere Extremereignisse gefährdet, die durch den Klimawandel begünstigt werden – Waldbrände zum Beispiel. Gibt es dafür ausreichend Schutz?
Da gibt es tatsächlich noch Nachholbedarf in der Forschung, auch für Überflutungen, die vielerorts schon jetzt einen wesentlichen Beitrag zum Ausfall von Stromnetzen leisten. Um das konkret einzuschätzen, braucht es noch eine wesentlich bessere Datenlage als zurzeit.
Welche Methoden am geeignetsten sind, um die kritischen Stellen der Stromnetze zu sichern, ist ebenfalls schwer zu sagen. Erdkabel etwa sind teuer. Übertragungsmasten lassen sich verstärken, können aber auch dann noch beschädigt werden – etwa durch umfallende Bäume, wobei diese typischerweise bereits zurückgeschnitten werden, damit das nicht passiert.
Es braucht daher nicht nur ein übergeordnetes theoretisches Modell, sondern auch konkrete Anpassungsmaßnahmen an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort.
Wie geht es nun mit den Studienergebnissen weiter?
Mit unserer Methodik wollen wir Netzbetreibern ein konkretes Instrument an die Hand geben, mit dem sie die Stromnetze besser an die Folgen des Klimawandels anpassen können. Wichtig ist nun, die Ergebnisse unserer Studie auf den europäischen Raum zu übertragen und sich weitere unterschiedliche Arten von Stürmen anzuschauen.
Außerdem benötigt unser Kaskadenmodell an manchen Stellen Feinschliff, um noch genauer zu werden. Da diese Art von Studien sehr aufwendig ist, untersuchen wir auch, ob künstliche Intelligenz in Zukunft vielleicht dabei helfen kann, zu bestimmen, wo die kritischen Stellen in den Stromnetzen liegen.