Der US-Physiker Daryl Chapin präsentierte vor 70 Jahren die erste praktisch nutzbare Solarzelle der Welt. Damals hätte er wohl kaum erwartet, dass die neue Form der Stromerzeugung 2024 quasi durch die Decke geht. Die Welt, sagen Fachleute, ist dank enormer Wachstumsraten ins "Solarzeitalter" eingetreten, und manche prognostizieren sogar schon einen künftigen "Überfluss an Energie".
Die Geschichte der Solarenergie begann in den Bell Labs, der legendären Forschungsabteilung der US-Telefongesellschaft AT&T. Chapin bekam den Auftrag, eine autarke Stromquelle zu entwickeln, die auch in Regionen ohne Elektrizitätsnetz und unter den extremen Klimabedingungen tropischer Länder funktionieren würde.
Zuerst dachte er an Windräder oder Dampfmaschinen, er entschied sich dann aber dafür, die Energie der Sonne anzuzapfen. Erste Versuche mit Selen als Lichtleiter fielen enttäuschend aus, doch mit Silizium funktionierte es.
Chapin und seine Kollegen dotierten einen Siliziumkristall mit verschiedenen Atomsorten, um Leitfähigkeit herzustellen, der Durchbruch kam mit Bor und Arsen. Es entstanden die ersten Solarzellen, die immerhin sechs Prozent des Lichts in Strom umwandelten.
Chapin präsentierte seine Erfindung 1954 der Presse. Auf einer Wiese hinter den Bell Labs in New Jersey nutzte er eine Solarzelle, die so groß wie eine Zigarettenschachtel war, und ein Telefon, das damit gespeist wurde.
Ein Kollege Chapins sprach in den Hörer: "This is a demonstration of the Bell solar battery in practical application. Do you hear me?" Ein weiterer Kollege, 100 Meter entfernt postiert, lauschte in das Gegenstück – und winkte zurück, um zu signalisieren, dass die Nachricht verstanden worden war.
Die New York Times titelte dazu am nächsten Tag auf ihrer Frontseite: "Die enorme Kraft der Sonne wird durch eine Batterie mit Sand als Inhaltsstoff angezapft." Und führte dazu aus: "Die Sonne schüttet täglich mehr als eine Billiarde Kilowattstunden Energie aus, das ist mehr als der Energiegehalt aller Vorkommen von Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran in der Erdkruste."
"Der Himmel ist nicht mehr die Grenze"
Lange Zeit blieb die Solarstrom-Produktion trotzdem eine Nischen-Anwendung, etwa in der Weltraumtechnik, um Satelliten und Raumsonden mit Elektrizität zu versorgen. Erst ab den 1990er Jahren nahm die Verbreitung von Solaranlagen vor allem auf Hausdächern durch erste Förderprogramme in Deutschland, Japan und USA Fahrt auf.
Der echte Aufschwung kam 2000 mit dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das weltweit nachgeahmt wurde. Lange sah es aus, als könnte die Photovoltaik mit den Stromgestehungskosten der fossilen Energien und der Atomkraft nicht mithalten. Um die neue Energieform rentabel zu machen, bekamen die Solaranlagen-Pioniere per EEG pro Kilowattstunde ins Netz eingespeistem Strom stolze 99 Pfennig vergütet, umgerechnet 51 Cent.
Inzwischen aber ist die Photovoltaik dank enormer Verbilligung weltweit zur wachstumsstärksten Energieform geworden. Allein im vorigen Jahr hat sich der globale Photovoltaik-Ausbau laut dem "Global Market Outlook for Solar Power 2024–2028" des Verbands Solar Power Europe fast verdoppelt.
Um zu verdeutlichen, was das heißt, rechnet der Solarverband vor: Die neuen Anlagen reichen rechnerisch aus, um mehr als die Hälfte des jährlichen Strombedarfs Indiens oder mehr als den Verbrauch der acht mittelgroßen EU-Länder Belgien, Finnland, Griechenland, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Tschechien zusammen zu decken.
Die Chefin von Solar Power Europe, Walburga Hemetsberger, kommentierte das kürzlich mit den Worten: "Die Welt ist wirklich in ihr Solarzeitalter eingetreten. Der Himmel ist nicht mehr die Grenze."
China an der Spitze
Tatsächlich ist die Photovoltaik unter allen Erneuerbaren-Optionen am stärksten auf dem Vormarsch, gefolgt von Windkraft, Biomasse, Geothermie und Gezeitenenergie. Im letzten Jahr stand Solarenergie bereits für 78 Prozent der global neu installierten Ökostrom-Kapazitäten.
Dies spiegelt sich auch im Bericht "World Energy Investment 2024" der Internationalen Energieagentur IEA wider, der zeigt, dass die Investitionen in Photovoltaik im Jahr 2023 die in alle anderen Energiequellen zusammen übertrafen. 2022 wurde mit einem Terawatt globaler Nennleistung nach drei Jahrzehnten Solarförderung ein erster Meilenstein erreicht, schon in diesem Jahr dürften es zwei Terawatt werden – eine weitere Verdopplung in nur zwei Jahren.
Deutschlands solarer Zickzackkurs
Deutschland wurde in den 2000er Jahren Weltmarktführer in der Solartechnik, dank des von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Die Installationszahlen bei Photovoltaik-Anlagen stiegen kontinuierlich bis auf rund 8.000 Megawatt im Rekordjahr 2012 an.
Dann allerdings folgte die "Merkel-Delle" durch eine radikale Kürzung der Einspeisevergütungen und eine fehlende Industriepolitik zur Stützung der durch Dumpingkonkurrenz aus China bedrängten Solarproduzenten. Die deutsche Solarindustrie mit Firmen wie Solarworld, Q‑Cells und Centrotherm ging fast komplett pleite.
Seit etwa 2020 nimmt der Photovoltaik-Ausbau hierzulande wieder deutlich zu, dank stark verbilligter Modulpreise und verbesserter Förderung durch die Ampel-Regierung. 2023 wurde ein neuer Rekord mit über 14.000 Megawatt erreicht, der in diesem Jahr noch übertroffen werden könnte.
Unlängst wurde südlich von Leipzig auch der mit 650 Megawatt Maximalleistung größte Solarpark Europas offiziell eröffnet. Er befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Braunkohletagebaus und hat eine Fläche von rund 500 Hektar, was etwa 700 Fußballfeldern entspricht. Die produzierte Strommenge reicht rechnerisch aus, um 200.000 Vier-Personen-Haushalte zu versorgen.
Ende 2023 waren in Deutschland Solarstromanlagen mit knapp 82.000 Megawatt Nennleistung installiert, rund ein Drittel davon Freiflächenanlagen. 2040 sollen rund 400.000 Megawatt erreicht sein, davon die Hälfte auf Freiflächen.
Der Siegeszug des Solarstroms läuft in praktisch allen Weltregionen. Die weltweit größten Solarparks stehen in sonnenintensiven Wüstenzonen, mit Maximalleistungen von 2.000 Megawatt und mehr, die meisten in China, Indien und im Nahen Osten. Auch in den USA, Mexiko und Südeuropa gibt es Anlagen mit mehr als 500 Megawatt.
China, wo inzwischen über 90 Prozent der Solarzellen und -module weltweit produziert werden, liegt beim Ausbau mit Abstand an der Spitze. Im letzten Jahr hat das Land alleine 57 Prozent der weltweiten Kapazität – 253.000 Megawatt – installiert und damit genauso viel, wie 2022 weltweit insgesamt hinzukam.
Hauptgrund für die Expansion sind die konkurrenzlos niedrigen Stromgestehungskosten, vor allem im Sonnengürtel der Erde. Große Solarkraftwerke liefern dort die Kilowattstunde bereits für ein bis zwei Cent, im weltweiten Schnitt kam die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien Irena in einem Report für 2022 auf rund 4,5 Cent.
Das ist deutlich günstiger als Elektrizität aus neuen fossilen Kraftwerken, in denen laut dem Bericht bis zu 22 Cent fällig werden. Selbst wenn man die Kosten für Elektrizitätsspeicher und Flexibilisierung des Netzes hinzurechnet, die wegen der fluktuierenden Einspeisung des Solarstroms nötig werden, wird dieser zunehmend konkurrenzfähig.
Politik soll den Weg bahnen
Der Erneuerbaren-Experte Christian Breyer von der TU Lappeenranta in Finnland erwartet denn auch, dass die Photovoltaik Mitte des Jahrhunderts der absolut wichtigste Stützpfeiler des Elektrizitätssystems weltweit sein wird. Der Professor für Solarwirtschaft schätzt, dass der PV-Anteil am globalen Strommix dann bei 76 Prozent liegen wird.
Dazu beitragen wird nach seiner Meinung, dass die Batterie-Speichertechnik ebenfalls große Fortschritte macht. Neben den etablierten Lithium-, Kobalt- und Nickelbatterien würden jetzt auch Natrium-Ionen-Batterien auf den Markt gebracht, die wegen des gut verfügbaren Rohstoffs Natrium deutlich billiger angeboten werden können. Laut dem US-Wirtschaftsmagazin Clean Thinking liegt ihr Preis bereits 40 Prozent niedriger.
Auch andere Fachleute sind vom Siegeszug der Solartechnik überzeugt. Ein Forschungsteam der britischen Universität Exeter, das im letzten Jahr die Entwicklungsdynamik der Technologie untersucht hat, hält den "Wendepunkt", ab dem sich diese Entwicklung kaum noch aufhalten lasse, bereits für überschritten. Die Gruppe um Femke Nijsse vom dortigen Global Systems Institute geht davon aus, dass es weiterhin schnelle Innovationen geben wird, die die Solarstromnutzung von selbst immer attraktiver machen.
Die klassische Förderung der Photovoltaik, etwa durch Einspeisevergütungen oder Subventionen, wird damit immer unwichtiger. Die Politik müsse sich vielmehr darauf konzentrieren, dem Solarstrom die Bahn freizumachen, meinen denn auch Nijsse und Co. Geschehen soll das unter anderem durch Förderung von Investitionen in ergänzende erneuerbare Energien wie Windkraft und Biomasse, in effiziente Stromspeicher und Fernleitungsnetze, die verschiedene Regionen miteinander verbinden.
Außerdem seien Maßnahmen zur Nachfragesteuerung gefragt, etwa über Anreize zum Aufladen von E‑Autos zu Zeiten außerhalb der Spitzenlast. Ein weiterer Punkt betrifft die globale Finanzierung des Solarausbaus: Sie müsse vor allem in ärmeren Ländern, besonders in Afrika, verbessert werden.
Also unter dem Strich doch Hoffnung für die Energiewende und die Klimaziele? Zumindest für den Stromsektor scheint das zu gelten. "Es geht schneller als erwartet", sagt Niklas Höhne vom New Climate Institute, einem Thinktank mit Sitz in Köln, die aktuelle Entwicklung. "Vor allem die Photovoltaik wird extrem schnell ausgebaut. Und zwar so schnell, dass es mit dem 1,5-Grad-Ziel übereinstimmt."