Das Konzept klingt wie Öko-Science-Fiction für ein Stromsystem mit 100 Prozent erneuerbaren Energien: Um Dunkelflauten mit wenig Solar- und Windenergie ausgleichen zu können, wird Energie künftig in gewaltigen hohlen Betonkugeln gespeichert, die tief unten im Meer oder in gefluteten Braunkohletagebauen verankert werden. Die Unterwasser-Anlagen könnten andere Speicher wie stationäre Batterien in Häusern, klassische Pumpspeicher oder Autobatterien, die zu diesem Zweck virtuell zusammengeschaltet werden, ergänzen.
Dass die Idee grundsätzlich funktioniert, hat ein Forschungsteam des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) in Kassel bereits gezeigt. Zusammen mit Industriepartnern wurde der sogenannte Kugelspeicher bereits 2016 im Bodensee getestet und hat nach IEE-Angaben gut funktioniert. Nun steht ein weiterer Praxistest bevor, und zwar in den USA vor der kalifornischen Küste.
Bei dem Kugelspeicher wird das bekannte Prinzip der Pumpspeicherkraftwerke, in denen Energie aus dem Stromnetz über mehrere Stunden bis einige Tage hinweg quasi aufgehoben werden kann, auf den Meeresgrund übertragen.
Die klassischen Pumpspeicher-Anlagen bestehen aus einem höher gelegenen Wasserbecken, dem sogenannten Obersee, und einem tiefer gelegenen Untersee. In Zeiten von Stromüberschuss mit viel Solar- und Windstrom wird Wasser vom Unter- in den Obersee gepumpt. Ist Elektrizität knapp, lässt man das Wasser von oben durch riesige Fallrohre nach unten rauschen, wo es Generatoren antreibt.
In dem IEE‑Konzept übernehmen die Betonkugeln die Funktion des Untersees. Bei Stromüberschuss werden die wassergefüllten Kugeln leer gepumpt. Wird hingegen Strom benötigt, schießt das Wasser unter hohem Druck in die Kugeln hinein, wobei es Generatoren antreibt. Ein Unterwasserkabel schafft dabei die Verbindung zum Stromnetz an Land oder zu einer schwimmenden Transformatorstation eines Offshore-Windparks.
Testlauf vor Long Beach
Die Technik wurde ursprünglich in den 2000er Jahren von zwei Physikern der Universitäten Frankfurt am Main und Saarbrücken, Horst Schmidt-Böcking und Gerhard Luther, entwickelt. Das Fraunhofer IEE machte sich dann zusammen mit dem Frankfurter Unternehmen Hochtief Solutions an die Umsetzung.
Bei dem Test im Bodensee befand sich das "Meerei" 200 Meter vor dem Ufer in Überlingen in 100 Metern Tiefe. Die Speicherkugel in dem Versuch hatte einen Durchmesser von drei Metern, ein Zehntel der für den Dauereinsatz geplanten Größe. Das Ganze wurde vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert.

Nun geht es also an den schon weitaus realitätsnäheren Testlauf vor Kalifornien, in einem küstennahen Gebiet vor Long Beach bei Los Angeles. In 400 bis 600 Metern Tiefe soll dort 2026 eine Neun-Meter-Kugel mit 400 Tonnen Gewicht verankert werden, mitfinanziert vom US-Energieministerium.
Das Fraunhofer-Team arbeitet hier mit zwei Partnern zusammen – dem US-Start‑up Sperra, das sich auf den 3D-Betondruck für Anwendungen im Bereich der erneuerbaren Energien spezialisiert hat, sowie Pleuger Industries. Das deutsche Unternehmen mit Sitz in Miami und Hamburg ist einer der führenden Hersteller von Unterwasser-Pumpen, einer Hauptkomponente der Kugelspeicher.
Die Leistung des Prototyps beträgt 500 Kilowatt, die Kapazität 400 Kilowattstunden. Für die Zukunft werden Kugeln mit 30 Metern Durchmesser und Wassertiefen von 600 bis 800 Metern angestrebt.
Mögliche Standorte für die Kugelspeicher in dieser Wassertiefe gibt es laut dem Fraunhofer-Team mehr als genug, zum Beispiel vor Norwegen, Portugal, der US-West- und Ostküste, Brasilien oder Japan. Ebenso eigne sich die Technologie für tiefe natürliche oder künstliche Seen, beispielsweise für geflutete Tagebaue.
Das globale Speicherpotenzial der Kugelspeicher liegt nach der IEE‑Analyse bei insgesamt 817 Milliarden Kilowattstunden. An den zehn besten europäischen Standorten sind es danach immer noch 166 Milliarden Kilowattstunden. Zum Vergleich: Die Kapazität der vorhandenen deutschen Pumpspeicherkraftwerke an Land beträgt knapp 40 Millionen Kilowattstunden, weit weniger als ein Promille davon.
Deutsche Energiebranche zeigt sich reserviert
Die Betonkugeln haben laut den IEE‑Kalkulationen eine Lebensdauer von 50 bis 60 Jahren, nach jeweils 20 Jahren müssten allerdings Pumpturbine und Generator ausgetauscht werden. Die Effizienz liege, bezogen auf einen kompletten Speicherzyklus, mit 75 bis 80 Prozent etwas niedriger als bei einem klassischen Pumpspeicherkraftwerk.
Zugrunde gelegt ist hierbei ein "Speicherpark" im Wasser mit sechs Kugeln, einer Gesamtleistung von 30 Megawatt und einer Kapazität von 120.000 Kilowattstunden sowie 520 Speicherzyklen pro Jahr. Die Speicherkosten setzt das Fraunhofer-Team mit rund 4,6 Cent pro Kilowattstunde an.
Die Forschenden erwarten, dass das neue System leichter umsetzbar ist als klassische Pumpspeicher, die wegen der starken Eingriffe in die Landschaft umstritten sind. Die naturräumlichen und ökologischen Restriktionen seien hier weit geringer, meint IEE‑Projektmanager Bernhard Ernst, "zudem dürfte die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger deutlich höher sein".
Bei einer Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag wurde das Kugelspeicherkonzept unlängst als Möglichkeit für Braunkohle-Seen im rheinischen Revier vorgestellt, die bis zu 400 Meter tief sein können. Miterfinder Schmidt-Böcking rechnete dort vor, dass die Stromspeicherung in großen Batterien deutlich teurer sei und bei der Speicherung durch Umwandlung in Wasserstoff zu viel Energie verloren gehe. Pumpspeicher in dem Revier seien eine "einmalige Chance".
Andere Teilnehmer zeigten sich jedoch ziemlich skeptisch. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnte vor unvorhergesehenen Problemen, die bei einem solchen neuartigen Projekt auftreten könnten. Grundsätzlich brauche es einen Mix an Speichertechnologien, auch durch Batterien und Wasserstoff.
Sehr kritisch äußerte sich der Stromkonzern RWE. Die Idee solle nicht weiterverfolgt werden, da die Stromspeicherung, ob in Großspeichern, in heimischen Batteriesystemen oder in E‑Autos, vorteilhafter sei. Außerdem werde die Renaturierung von Tagebauen durch ein Kugelspeicher-Projekt womöglich um Jahrzehnte verzögert.
Gut möglich also, dass deutscher Erfindergeist mal wieder ausgerechnet in Deutschland nicht gewürdigt wird und andere Länder davon profitieren.