Luftaufnahme des Geothermiekraftwerks Hellisheiði auf Island.
Pilotanlage für "Direct Air Capture" in Island: Die Kapazitäten dieser Technologie sollen sich laut der Dena-Studie von 2030 bis 2050 verhundertfachen – zur Dekarbonisierung von Verkehr und Industrie. (Foto: Árni Sæberg/​Helena Group Foundation/​Wikimedia Commons)

Konturen eines klimaneutralen Lebens und Wirtschaftens beginnen sich immer deutlicher abzuzeichnen. Ziemlich klar ist: Ökostrom, vor allem der aus Sonne und Wind, wird die neue Primärenergie – anstelle von Kohle, Gas, Öl und weitgehend auch Atomkraft.

Viele treibt derzeit aber die Frage um, wie viel Ökostrom dann direkt eingesetzt und wie viel den Umweg über erneuerbare Brennstoffe nehmen wird.

Eine Antwort darauf – und sogar mit einem Szenario, das das Pariser 1,5-Grad-Ziel einhält – gibt jetzt eine von der "Global Alliance Powerfuels" in Auftrag gegebene Studie der Technischen Universität Lappeenranta (LUT) in Finnland.

Das Szenario der von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) veröffentlichten Untersuchung sieht vor, das globale Energiesystem bis 2050 vollständig auf erneuerbare Energiequellen umzustellen. Die künftig klimaneutralen Kraft-, Brenn- und Rohstoffe wie Wasserstoff, Methanol, Methan, Ammoniak, E-Kerosin oder E-Diesel fasst die Studie unter dem Begriff "Powerfuels" zusammen.

2050 könnten danach solche Powerfuels rund 28 Prozent des globalen Energiebedarfs decken, was einer Erzeugung von 43.200 Terawattstunden entspricht. Die vielen E-Fuels kämen vor allem dort zum Einsatz, wo die direkte Nutzung von Strom "nicht wirtschaftlich oder auch technisch nicht machbar ist", erklärt Dena-Chef Andreas Kuhlmann gegenüber Klimareporter°.

Das gelte besonders für einige Transport-Bereiche wie Flug- und Schiffsverkehr sowie für Hochtemperaturwärme, für die Grundstoffherstellung in der Chemie und für den Ausgleich saisonaler Schwankungen der erneuerbaren Energieerzeugung und des Verbrauchs in einigen Regionen, sagt Kuhlmann, zugleich Sprecher der "Global Alliance Powerfuels", zu der auch Konzerne und Verbände der Ölindustrie gehören.

In Zahlen stellt sich das laut Studie so dar: Von den insgesamt 43.200 Terawattstunden fließen dann 23.000, also mehr als die Hälfte, in den Verkehr, weitere 15.500 in die Chemie sowie 5.000 in den Wärmebereich. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Die 23.000 Terawattstunden, die 2050 als Powerfuels im Verkehr im Wortsinne verbrannt werden sollen, liegen nur etwa ein Zehntel unter der gesamten heutigen Stromerzeugung der Welt.

Konzept setzt auf "Direct Air Capture"

Interessant an der Studie ist besonders das Konzept, wie die ganzen Powerfuels klimaneutral erzeugt werden sollen. Dafür wird nicht nur eine riesige – und zwar wirklich riesige – Menge Ökostrom benötigt, sondern auch Kohlenstoff aus nachhaltigen Quellen.

Aus klimatischer Sicht kommt dafür eigentlich nur das CO2 aus der Luft selbst in Betracht. Wird es der Atmosphäre entzogen und in den Powerfuels eingebunden, werden diese dann verbrannt und wird das CO2 wieder frei, ist das rechnerisch ein Nullsummenspiel.

Den entsprechenden Kohlenstoff-Bedarf für die Fuels beziffern die Forscher für 2050 auf jährlich rund sechs Milliarden Tonnen CO2. Diese sollen nach Ansicht der Studie größtenteils mithilfe direkter Luftabscheidung (Direct Air Capture, DAC) gewonnen werden.

Entsprechend erlebt das DAC-Verfahren, das derzeit noch nicht einmal ein Nischendasein fristet, vor allem nach 2030 einen ungeheuren Aufschwung. Für das Jahr 2030 gehe man noch davon aus, dass etwa 90 Prozent des benötigten CO2 aus verfügbaren Prozessemissionen stammen, erläutert Kuhlmann.

Gemeint sind damit unter anderem die Emissionen, die bei der Herstellung von Eisen, Stahl und Zement entstehen. In der Studie steigt die hier weltweit zur Verfügung stehende CO2-Menge von knapp 600 Millionen Tonnen im Jahr 2030 auf 1,2 Milliarden Tonnen 2050. Dieses CO2 müsste dann, nebenbei bemerkt, sicher eingefangen werden.

Das Potenzial solcher "Punktquellen" von CO2 sei aber begrenzt, sagt der Dena-Chef. "Daher wird das für die großen Mengen kohlenstoffhaltiger Powerfuels benötigte CO2 zunehmend über DAC gewonnen, insbesondere ab 2040, wenn sich das Energiesystem den hundert Prozent erneuerbaren Energien nähert", schildert Kuhlmann die angedachte Entwicklung.

Tatsächlich explodieren in der Studie die Mengen des DAC-CO2 geradezu. Sie steigen von rund 50 Millionen Tonnen im Jahr 2030 auf 4,8 Milliarden Tonnen 2050, also in zwanzig Jahren auf fast das Hundertfache.

Bedingt durch den massenhaften Einsatz erwartet der Dena-Chef eine größere Kostenreduktion von DAC. Zudem habe die Technik den Vorteil, so Kuhlmann, CO2 für Powerfuels an Orten erzeugen zu können, die zwar viel Erneuerbaren-Potenzial aufwiesen, wo aber außer der Umgebungsluft keine andere nachhaltige CO2-Quelle zur Verfügung stehe.

Dazu komme ein globaler Handel mit Powerfuels, sodass an den günstigsten Standorten produziert werden könne. Die Kosten der Powerfuels könnten so bis 2050 auf fünf bis acht Cent je Kilowattstunde fallen.

Stromerzeugung soll sich bis 2050 verfünffachen

Für Kuhlmann zeigt die Studie, dass es ökologisch und ökonomisch geboten ist, bereits heute das Investitionsumfeld für Powerfuels positiv zu gestalten. "Das bedeutet auch, die direkte Luftabscheidung von CO2 sowie den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben."

Die sechs Milliarden Tonnen CO2 aus der Luft zu holen und dann auch noch – ebenfalls mithilfe von Ökostrom – in die Powerfuels umzuwandeln, treibt den globalen Bedarf nach Ökostrom steil nach oben. Werden derzeit weltweit etwas mehr als 25.000 Terawattstunden Strom aus fossilen, erneuerbaren und atomaren Quellen zusammen erzeugt, sagt die Studie für 2050 eine Erzeugung um die 135.000 Terawattstunden voraus, also mehr als das Fünffache – dann allerdings zu 100 Prozent erneuerbar. Allein mehr als 100.000 Terawattstunden davon soll die Photovoltaik beisteuern.

Wenn Grünstrom praktisch die neue Primärenergie wird, überrascht der schnell steigende Bedarf nicht. Gegenwärtig beträgt der gesamte weltweite Energiebedarf über 160.000 Terawattstunden. Für ein klimaneutrales Energiesystem sollen 2050 aber, wie von der Studie beziffert, rund 135.000 Terawattstunden Ökostrom reichen.

Der Rückgang des globalen Bedarfs hat laut Studie viel damit zu tun, dass die direkte Elektrifizierung vieler Prozesse gegenüber heutigen fossilen Techniken schon an sich einen Effizienzgewinn bedeutet – das ist inzwischen als systemischer Effekt einer weitgehend erneuerbaren Versorgung bekannt. Dieser Effekt kann sogar so hoch sein, dass die höchst ineffiziente Erzeugung und der Einsatz der Powerfuels mehr als ausgeglichen werden und der Energiebedarf also insgesamt sinkt.

Das bedeutet, weiter gedacht, allerdings auch: Wer den Einsatz der Powerfuels nicht von vornherein auf die wirklich unverzichtbaren Bereiche einengt, könnte den Bedarf an Ökostrom in solche Höhen treiben, dass sich so viele Windräder und Solaranlagen weltweit beim besten Willen nicht bauen lassen. Eine klimaneutrale Welt muss offenbar die Powerfuels letztlich eingrenzen.

Und nicht zu vergessen: Mit DAC müssen, was immer mehr Forscher ebenfalls voraussagen, möglicherweise bald auch in großem Umfang zusätzlich negative Emissionen geschaffen werden. Dabei geht es ebenfalls um Milliarden Tonnen.

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