
Schon in wenigen Jahren will Deutschland damit beginnen, große Mengen CO2 unter der Nordsee zu speichern. Nach Schätzungen des Forschungsprojekts "Geostor" der Deutschen Allianz Meeresforschung könnten insgesamt zwischen einer und 5,5 Milliarden Tonnen CO2 unter der deutschen Nordsee dauerhaft gelagert werden. Das Projekt untersuchte die geologischen Voraussetzungen für eine CO2-Speicherung in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), Anfang April wurden die Ergebnisse vorgestellt.
Auf den ersten Blick klingt das nach viel. Doch angesichts von rund 700 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr wäre auch dieser Speicherplatz binnen weniger Jahre erschöpft.
Und dass überhaupt so viel CO2 unter die Nordsee passt, bezweifelt die Umweltorganisation Greenpeace. Eine heute veröffentlichte Studie in ihrem Auftrag kommt zu dem Schluss, dass die real nutzbaren Speicherkapazitäten deutlich geringer sein dürften und die Geostor-Schätzungen wahrscheinlich zu optimistisch ausfallen.
Greenpeace wirft den Wissenschaftler:innen vor, bei ihren Berechnungen mit vereinfachten Annahmen gearbeitet zu haben – als ließe sich der Untergrund wie ein leerer Tank einfach gleichmäßig "vollpumpen". Tatsächlich besteht das Speichergestein aus winzigen Hohlräumen, und diese Poren sind nicht alle miteinander verbunden und daher nicht vollständig nutzbar.
Ohnehin ist die Speicherung von CO2 an diverse geologische Bedingungen geknüpft. Die Gesteinsschichten müssen tief genug liegen, salzhaltiges Wasser enthalten – und vor allem muss eine dichte Deckschicht darüberliegen, damit das CO2 nicht entweichen kann.
Bestehende Projekte in Norwegen arbeiten mit viel geringeren Mengen
In den Speicherformationen greift allerdings das sogenannte "Fill-and-spill"-Prinzip: CO2 sammelt sich zuerst in den am besten geeigneten Speicherräumen – ähnlich wie Wasser, das sich in Senken sammelt. Erst wenn diese vollständig gefüllt sind, fließt das CO2 weiter. Wird dieses Prinzip ignoriert, erscheinen die Speicher in den Berechnungen größer, als sie tatsächlich sind. Aus Sicht von Greenpeace sind die von Geostor geschätzten Speichermengen daher wahrscheinlich zu hoch.
Ein Beispiel für diese Zweifel liefern die sogenannten Henni-Salzkissen, eine geologische Formation unter dem Meeresboden der Nordsee, die als möglicher CO2-Speicher für Deutschland untersucht wird. Sie besteht aus porösem Gestein, das CO2 aufnehmen könnte. Nach bisherigen Berechnungen soll sie rund 368 Millionen Tonnen CO2 speichern können. Geplant ist, jährlich bis zu zehn Millionen Tonnen dort einzupressen. Das würde bedeuten: Nach etwas mehr als 30 Jahren wäre die Kapazität erschöpft.
Greenpeace hat deshalb große Zweifel an der Eignung der Henni-Struktur als CO2-Endlager. Die geologischen Barrieren, die das Treibhausgas im Boden halten sollen, seien teilweise erodiert oder zu flach, um als zuverlässige Abdichtung zu funktionieren. Außerdem gebe es in dem Gebiet Risse im Gestein, die bis in die geplanten Speicher reichen. Dadurch könnte CO2 später entweichen. Die angegebene Speicherkapazität von 368 Millionen Tonnen CO2 hält Greenpeace daher für deutlich zu hoch angesetzt.
Die geplante Verpressung von bis zu zehn Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ist aus Sicht von Greenpeace insgesamt unrealistisch. Zum Vergleich: Bestehende Projekte wie Sleipner in Norwegen arbeiten mit deutlich geringeren Mengen – dort wird etwa eine Million Tonnen CO2 pro Jahr gespeichert.
"Dass größere Mengen CO2 dauerhaft mineralisieren, ist eine Mär"
Sleipner gilt bis heute als Vorzeigeprojekt für die Machbarkeit von CCS – die Speicherung von CO2 im Untergrund. Doch reibungslos lief es dort nicht.
Der Grund für das Projekt war ursprünglich nicht Klimaschutz, sondern ein zu hoher CO2-Gehalt im Erdgas aus dem Feld Sleipner West. Um den Anteil für den Verkauf zu senken und CO2-Steuern zu vermeiden, begann der Energiekonzern Equinor (damals Statoil) 1996 damit, das abgeschiedene CO2 unter der Plattform in porösen Sandstein zu verpressen. Anfangs fehlten dafür eine fundierte Planung und eine darauf fußende Genehmigung nach heutigen Standards.
Nur drei Jahre nach Beginn des Speicherbetriebs zeigte sich, dass das CO2 im Untergrund von Sleipner anders strömte als erwartet. Es stieg rund 200 Meter höher auf als geplant und sammelte sich in einer Gesteinsschicht, die im ursprünglichen geologischen Modell gar nicht berücksichtigt worden war. Erst im Nachhinein wurden deshalb umfassende Untersuchungen vorgenommen. Bis heute wurden insgesamt rund 19 Millionen Tonnen CO2 in Sleipner verpresst.
Für den Geologen und Autor der Greenpeace-Studie Ralf Krupp zeigt gerade das Beispiel Sleipner die Schwächen solcher Speicher in Sandsteinformationen deutlich. "Es ist eine Mär, dass in den bevorzugten Sandstein-Aquiferen größere Mengen CO2 dauerhaft mineralisieren – also in festen Zustand übergehen", sagte Krupp. "Die Schlussfolgerung daraus kann nur lauten: CCS ist ein teures Luftschloss, mit dem Gaskonzerne das fossile Zeitalter künstlich verlängern. Echte Klimaschutzlösungen wie erneuerbare Energien und Energieeinsparung werden dadurch ausgebremst."
Um bis 2045 klimaneutral zu werden, setzt die Bundesregierung dennoch auf CCS. Die Technik soll vor allem für Emissionen eingesetzt werden, die sich nicht oder nur schwer vermeiden lassen. Laut dem Forschungsverbund Geostor könnten das 30 bis 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr sein – etwa zehn Prozent der heutigen Gesamtemissionen. Bislang ist CCS in Deutschland allerdings praktisch nicht erlaubt.
Im Mai 2024 beschloss die Ampel-Koalition Eckpunkte für eine neue Carbon-Management-Strategie. Auch das CO2-Speicherungsgesetz von 2012 sollte überarbeitet werden, um die Abscheidung und Nutzung, den Transport und die Speicherung von CO2 unter dem Meeresboden zu ermöglichen. Schutzgebiete im Meer sollen dabei ausgenommen bleiben. Allerdings brach die Ampel-Regierung auseinander, bevor die Reform fertig wurde.
Union und SPD wollen nun noch weiter gehen. Laut ihrem Koalitionsvertrag wollen sie CO2 nicht nur unter der Nordsee speichern, sondern – sofern geologisch geeignet und politisch gewollt – auch an Land. Die Bundesländer sollen das mit einer sogenannten "Länderklausel" selbst entscheiden können.