Wissenschaft lebt vom Widerspruch und von der Uneinigkeit der Gelehrten. Das gilt für die Klimawissenschaften genauso wie für jede andere Disziplin.

Nach Tausenden von Studien gibt es zwar kaum mehr Zweifel – gar keine Zweifel würden dem Prinzip der Wissenschaft widersprechen – an Grundlegendem wie daran, dass der Klimawandel ein Resultat menschlichen Handels ist. Doch schärft man den Blick auf die Auswirkungen des Klimawandels oder auf Klimaschutz-Strategien, gibt es in der Fachwelt eine muntere Vielstimmigkeit der Argumente.

Besonders umstritten in der Forschung ist etwa die Bedeutung von sogenannten Negativemissionen. Darunter fallen Ansätze, bei denen der Atmosphäre Treibhausgase entnommen werden.

Alle Szenarien des Weltklimarats IPCC, die mit dem 1,5- oder Zwei-Grad-Ziel kompatibel sind, rechnen mit Negativemissionen in großem Umfang. Basierend auf ökonomischen Rechenmodellen beschreiben die Szenarien so die vermeintlich günstigsten Pfade für die Weltgemeinschaft.

Die zugrunde liegenden Annahmen über die Entwicklung der entsprechenden Technologien – etwa Direct Air Capture (DAC) – und deren Kosten sind allerdings höchst umstritten. Die weltweit größte DAC-Anlage steht in Island und soll jährlich 36.000 Tonnen CO2 aus der Luft saugen – das reicht in etwa, um 0,3 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen von Bremen auszugleichen.

Und bisher ist die Anlage noch weit von der angepeilten Maximalkapazität entfernt. Weltweit werden derzeit nur rund 10.000 Tonnen CO2 über DAC aus der Luft geholt.

Doch Negativemissionen können nicht nur mit teuren und energieintensiven Technologien verwirklicht werden. Große Hoffnung ruht auf natürlichen CO2-Senken. Ein Akronym, das dabei immer wieder auftaucht, ist Beccsbioenergy with carbon capture and storage, also Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung.

Dabei sollen natürliche Senken mit technologischen Ansätzen verbunden werden. Der Ansatz, der in vielen Szenarien eine Schlüsselrolle spielt, sieht Plantagen mit schnell wachsenden Pflanzen vor. Die Pflanzen sollen dann zur Energiegewinnung verbrannt und das dabei freigesetzte CO2 gebunden und per CCS gespeichert werden.

70.000 Quadratkilometer für Bioenergie mit CCS

In einer neuen Studie setzt sich das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit dieser Strategie auseinander. Mithilfe eines Biosphären-Modells ermittelten die Autor:innen das tatsächliche Potenzial für Beccs.

In der im Fachjournal Nature Communications Earth & Environment veröffentliche Modellstudie nehmen die Forschenden an, dass Beccs-Plantagen keine Landwirtschaftsflächen verdrängen sollen. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und entsprechend steigendem Nahrungsmittelbedarf eine nachvollziehbare Einschränkung.

Für Beccs lohnen sich schnell wachsende Pflanzen, wie Miscanthus, Pappeln, Eukalyptus und, wie hier im Bild, Weiden-Arten. (Bild: Lignovis/​Wikimedia Commons)

Übrig bleiben laut der Studie 19,4 Millionen Quadratkilometer, die sich in der Theorie für Klima-Plantagen eigenen würden und heute natürliche oder naturnahe Ökosysteme beherbergen. Dass die Zerstörung von Ökosystemen zugunsten von Energieplantagen auf einer Fläche knapp zweimal so groß wie Europa nicht nachhaltig ist, liegt auf der Hand.

Die Studie berücksichtigt deshalb zusätzlich die planetaren Belastungsgrenzen. Für neun Bereiche haben Wissenschaftler:innen derartige Grenzen abgeschätzt, deren Überschreiten die Stabilität des Erdsystems gefährdet.

Neben dem Klimawandel werden dabei auch die Versauerung der Ozeane, der Zustand der Biosphäre, Stoffkreisläufe und einiges mehr betrachtet.

Unter der Voraussetzung, dass durch die Klima-Plantagen keine der Belastungsgrenzen überschritten werden darf, schrumpft die Fläche auf magere 70.000 Quadratkilometer, eine Fläche so groß wie Bayern. Damit ließen sich jährlich zwischen 100 und 200 Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre saugen.

Das ist deutlich weniger, als in den Szenarien des IPCC angenommen wird und würde noch nicht mal ausreichen, um die gegenwärtigen jährlichen Emissionen Nordrhein-Westfalens zu kompensieren.

Weniger Nutztiere, mehr Klima-Plantagen

Begrenzt wird ein ökologisch verträglicher Ausbau der Plantagen durch den Süßwasserverbrauch, den Stickstoff-Eintrag durch Düngung, die Entwaldung und vor allem den Verlust von Artenvielfalt.

Bei der Reaktion auf die Klimakrise dürfe man nicht nur auf die CO2-Bilanz schauen, erläuterte der Leiter der Forschungsabteilung Erdsystemanalyse am PIK und Co-Autor der Studie, Wolfgang Lucht. Vielmehr müsse man "auch andere planetare Grenzen im Blick behalten. Letztlich hängt die Widerstandsfähigkeit des Erdsystems von einer Vielzahl miteinander verknüpfter Prozesse ab."

Erst letztes Jahr veröffentlichte das PIK federführend den ersten "Planetaren Gesundheitscheck". Darin warnen die Wissenschaftler:innen, dass bereits heute sechs der neun planetaren Grenzen überschritten sind.

Das klingt abstrakt, bedeutet aber konkret: In einigen Bereichen hat das System Erde den als sicher geltenden und für den Fortbestand der menschlichen Zivilisation in ihrer heutigen Form notwendigen Zustand verlassen.

Die Belastungsgrenzen sind dabei nicht mit den Kipppunkten zu verwechseln. Das Überschreiten der Belastungsgrenzen ist nicht zwingend irreversibel. Vielmehr erhöht das Überschreiten die Wahrscheinlichkeit für eine grundlegende Veränderung des Erdsystems, wobei nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, wie schnell oder drastisch sich dieser Übergang vollzieht.

Um diese Grenze der Erderwärmung einzuhalten, wird eine Kombination aus verschiedenen Ansätzen für Negativemissionen voraussichtlich nötig sein. Um das Potenzial für Klima-Plantagen zu erhöhen, müsse die Landwirtschaft mit weniger Fläche auskommen, ergänzte die Leitautorin der Studie, Johanna Braun. Das sei auch trotz Bevölkerungswachstum möglich, vorausgesetzt der weltweite Konsum von Tierprodukten sinkt.

Unrealistische Annahmen zu möglichen Negativemissionen, wie sie einige Forschende in den IPCC-Szenarien sehen, können allerdings auch eine Gefahr für andere Aspekte des Erdsystems sein. Braun betonte deshalb: "Die wichtigste aller Klimaschutz-Strategien bleibt die schnelle Emissionssenkung in Richtung null."

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