Ein lautes Tuten, eine Extraportion Dampf, die an den beliebtesten Foto-Hotspots gen Himmel geschickt wird, glückliche Menschen mit Kameras, denen Technikgeschichte vors Objektiv rollt. Das ist Nostalgie pur entlang der 140 Kilometer langen Strecken der Harzer Schmalspurbahnen (HSB).
"Unser Ziel besteht darin, dass wir auch in 30 Jahren Dampfloks dampfend durch den Harz fahren lassen", erklärt Norman Just, der Technische Direktor der HSB. Über 25 Dampflokomotiven, die älteste aus dem Jahr 1897, verfüge das Unternehmen, wobei derzeit nicht alle einsatzfähig sind. Die Loks sind auf den Strecken der Brocken-, Selketal- und Harzquerbahn unterwegs.
Pro Schicht schaufelt der Heizer hier zweieinhalb bis drei Tonnen Steinkohle ins Feuerloch. Bei den längsten Tagestouren von 200 Kilometern muss da auch schon mal aufgekohlt werden. "Das kostet gegenwärtig 1,4 Millionen Euro im Jahr, Tendenz deutlich steigend", erläutert Just. Deutschland sei ja längst aus der Steinkohle ausgestiegen. Bislang komme der Brennstoff aus Polen.
Wie lange und zu welchen Preisen Steinkohle noch verfügbar ist, dazu gibt es unterschiedliche Prognosen. Sicher ist: In 30 Jahren werden die Dampfrösser der HSB nicht mehr damit befeuert, auch wegen des CO2-Ausstoßes. Doch die dampfenden Lokomotiven des Schmalspurbetreibers – täglich sind im Sommerfahrplan sieben unterwegs – sind die Attraktion für Touristen aus aller Welt.
"Wir bieten ein besonderes touristisches Aushängeschild für die gesamte Harzregion", unterstreicht das Bahnunternehmen. Außerhalb der Corona-Zeit nutzen Jahr für Jahr rund 1,1 Millionen Fahrgäste die Züge. Der Schwerpunkt sei dabei die Strecke auf den Brocken.
Schon länger fragt man sich, wie der Betrieb mit den beliebten Lokomotiven auch zukünftig aufrechterhalten werden kann, sollte der benötigte Brennstoff aufgrund des politisch in vielen Bereichen angestrebten Kohleausstiegs einmal nicht mehr verfügbar sein.
"Es muss fauchen und zischen"
45.000 Euro kostet eine Machbarkeitsstudie, die untersucht, ob die Dampfloks künftig mit umwelt- und klimafreundlichem Wasserstoff auf die Reise geschickt werden könnten. Die Studie initiierten der Landkreis Nordhausen und die HSB. Marcel Hardrath von der Kreisverwaltung erläutert: "Unser Ziel ist es, die Attraktivität des ÖPNV und seiner Nutzerzahlen zu erhöhen und dabei gleichzeitig Schadstoffemissionen zu reduzieren."
Mit finanzieller Unterstützung des Freistaats Thüringen haben Experten der Hochschule Nordhausen Daten zusammengetragen, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten beim Ersatz der Steinkohle aufzeigen. "Alles zu den heutigen Bedingungen und Preisen", wirft Rainer Große, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule, ein.
Dem wissenschaftlichen Gestaltungsspielraum sind aber gewisse Beschränkungen auferlegt. Auf jeden Fall muss der Charakter der denkmalgeschützten Dampfzüge erhalten bleiben. Weißer Dampf muss zu sehen sein. Außerdem darf der Sound nicht fehlen, wegen dem die Bahn-Fans und Touristen in den Harz kommen. "Es muss fauchen und zischen", bringt es Norman Just auf den Punkt.
Hinderrike Hauer-Berghuis vom Fachbereich Regenerative Energietechnik zählt eine Reihe von Problemen auf, die der Umstieg von Steinkohle auf Wasserstoff mit sich bringen würde. Die 17 "Neubauloks" der Baureihe 9972 aus den 1950er-Jahren seien schlichtweg zu klein, so die niederländische Forscherin. Werde Wasserstoff statt Steinkohle verfeuert, brauche man für die gleiche Energiemenge deutlich mehr Platz. Der Lok-Tender fasse sechs Kubikmeter, für die Tagesration benötigt der Wasserstoff jedoch mehr als den doppelten Raum.
Selbst flüssigen statt gasförmigen Wasserstoff zu nutzen bringt noch nicht genug, macht Hauer-Berghuis klar – muss das Gas doch auf minus 253 Grad heruntergekühlt und in sogenannten Kryotanks gelagert werden. Auch deren Platzbedarf ist noch groß.
Zwei Wege könnten das ändern: den Wirkungsgrad der Maschine deutlich erhöhen oder an der Strecke ein Netz von Wasserstoff-Tankstellen errichten. Tankstellen seien aber unrealistisch, so Norman Just. Das würde umfangreiche Änderungen an der Infrastruktur erfordern.
Wasserstoff scheidet aus
Vorläufiges Fazit der Wissenschaftler: Im historischen Gewand wäre der Betrieb mit Wasserstoff nicht möglich, egal ob die Lok letztlich über Hydraulikzylinder, Druckluft- oder Dampfkolbenmaschine angetrieben wird.
Die Forschungsgruppe suchte nun nach Alternativen. Den Rückgriff auf eine bei den 17 Lokomotiven zwischendurch genutzte Technik – sie waren in den 1970er Jahren von Kohle auf schweres Heizöl umgestellt worden – schließt sie aus. Wegen der Ölkrise in den 1980ern seien die Loks wieder von Brenner- auf Kohlefeuerung zurückgebaut worden.
Statt des Kessels einen Bosch-Dampferzeuger in die Lokomotive einzubauen, würde ebenfalls am Platz scheitern – er wäre größer als die ganze Lokomotive. Genauso entfalle die technologisch gute Hydraulik-Variante mit versechsfachtem Wirkungsgrad, bei der aber Abdampffahne und Geräuschkulisse komplett fehlen.
Dies böte hingegen eine Hightech-Lösung, die quasi mit Raketentechnik an ein historisches Schienenfahrzeug andockt. Dabei treffen in einer Brennkammer reiner Sauerstoff und Wasserstoff aufeinander, wobei wahnsinnige Temperaturen von 3.000 bis 4.000 Grad Celsius entstehen. Thomas Link, Spezialist für Kraft- und Arbeitsmaschinen und ebenfalls Professor an der Hochschule, verhehlt nicht, dass ihn diese Technologie völlig fasziniert.
"Unbezahlbar", heißt es in Nordhausen. Auch verbessere sich der Wirkungsgrad gegenüber der Steinkohle nur minimal. Zudem werde der Dampfkessel verzichtbar, der das denkmalschutzgerechte Gewand der Lokomotiven prägt.
In die Studie einbezogen haben die Forscher auch noch Biomethan oder -diesel aus Biomasse sowie den Einsatz von synthetischen Brennstoffen. Wie die Wissenschaftler sagen, sind diese unter dem Begriff "Power to X" zusammengefassten Verfahren in Fachkreisen ziemlich im Kommen.
Wolle man die Dampflokomotiven als Denkmal der Industriegeschichte erhalten, laufe es nach gegenwärtigen Stadt der Forschung aber auf Pyrolyse-Kohle hinaus. Die Briketts werden als Bio-Kohle mit hohem Kohlenstoffanteil gefeiert.
Pyrolysekohle ist der Favorit
Pyrolysekohle ähnelt der Grillkohle, wird aber bisher nicht verbrannt. "Man sieht keinen echten Markt, außer sie zur Bodenverbesserung im Gartenbau und in der Landwirtschaft zu nutzen", sagt Rainer Große. Im Vergleich zur Steinkohle würden sich die Kosten für die Fahrten verdoppeln, trotzdem arbeite man bereits an einer Folgestudie.
Die HSB favorisiert diesen Brennstoff. Für die Briketts bräuchten die Feuerbüchsen der Harzer Dampflokomotiven auch nicht groß umgebaut zu werden, die Energiedichte sei nur wenig geringer als die von Steinkohle – bei ähnlichen Verbrennungseigenschaften. "Der Harz braucht nicht abgeholzt zu werden, damit die HSB zum Brocken fahren kann", meinen die Experten launig.
Pyrolyse-Kohle entsteht durch thermische Behandlung ohne Luftzutritt aus Altholz, Sperrmüll, Material von der Landschaftspflege oder von Osterfeuern, aber auch aus Biertreber und Getreidespelzen, speckigem Kuhmist oder Pferdeäpfeln.
Nicht genutzte Abfallströme böten viel Material dazu, weiß Christian Borowski vom Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe. Allein aus 33.000 Tonnen Kuh- oder Pferdemist ließe sich ausreichend Pyrolyse-Kohle herstellen, wobei allein in Thüringen jedes Jahr 300.000 Tonnen Mist anfallen. Noch optimistischer stimmen die Altholz-Zahlen. Pro Jahr würden von den landesweit neun Millionen Tonnen ganze 20.000 Tonnen benötigt, um den Bedarf der HSB zu decken.
Norman Just sieht erfolgversprechende Ergebnisse für die Pyrolyse. "Wenn sechs Tonnen dieser Kohle rangeschafft sind, könnten Testfahrten beginnen. Das macht kaum Aufwand. Da stellen wir einen Sonderzug, erst fährt testweise die Lok, später kommt ein Waggon dran, dann werden weitere angehängt."
Klappt das, könnten in der Zukunft die Fahrgäste weiter mit Zügen durch den Harz fahren, die von weiß dampfenden Loks gezogen werden, wobei es schnauft, faucht, zischt und pfeift.