Wollen Medienleute übers Treibhausgas CO2 eine gute Nachricht verbreiten, verkünden sie gern die Botschaft, der Klimakiller sei doch auch ein Rohstoff – oder gar ein Super-Rohstoff.

Das ist, wie so oft bei guten Nachrichten, nicht ganz falsch, aber nur ein Teil der Wahrheit. Gemessen am Ziel Klimaneutralität gibt es, genau genommen, schlechtes und gutes CO2. Das zeigt ein gestern veröffentlichtes Impulspapier des Akademienprojekts "Energiesysteme der Zukunft" (Esys). Auf den knapp 40 Seiten geht es um die Frage, wie der Klimakiller CO2 zum Baustein einer klimaneutralen Kohlenstoffwirtschaft werden kann.

Erstmal halten die Forscher fest: Auch künftig wird für viele nützliche Dinge wie Kunststoffe, Waschmittel oder Kosmetika jede Menge Kohlenstoff nötig sein. Bisher stammt dieser vor allem aus fossilem Erdöl und Erdgas.

Die daraus hergestellten Chemieprodukte – oder was nach Benutzung übrig ist – landen im Müll, werden in Deponien verkippt oder verbrannt, fließen ins Grundwasser oder verschmutzen die Weltmeere. Über kurz oder lang gelangt der "eingebaute" fossile Kohlenstoff meist in Form von CO2 in die Atmosphäre und befeuert den Klimawandel.

Über 50 Millionen Tonnen CO2 aus Chemieprodukten

Diese sogenannten End-of-Life-Emissionen chemischer Erzeugnisse waren 2020 für fast acht Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich, schreibt der Chemieverband VCI in seiner "Roadmap Chemie 2050".

Das sind rund 57 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent – ungefähr halb so viele Emissionen, wie sie jährlich durch die Verbrennung deutscher Braunkohle entstehen.

Fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas lassen sich dank der erneuerbaren Energien weitgehend CO2-frei ersetzen. So eine einfache Alternative gibt es in der Rohstoffwirtschaft nicht. Wie kann der als Rohstoff eingesetzte Kohlenstoff klimaneutral werden? Die Frage ist kompliziert.

Die erste Antwort, die sich auch den Esys-Fachleuten aufdrängt, lautet: In der Industrie ohnehin anfallendes fossiles CO2 wird nicht mehr einfach an die Luft gelassen, sondern abgeschieden und aufgefangen, dann wird das "C" im Molekül für chemische Produkte oder synthetische Kraftstoffe genutzt. In der Fachsprache nennt sich das Verfahren Carbon Capture and Utilization (CCU), CO2-Abscheidung und -Nutzung.

Über so eine Weiterverwendung wären besonders Branchen wie Zement, Kalk oder Müllverbrennung ganz glücklich. Zum einen können sie das Entstehen von CO2 im Industrieprozess nicht oder nur schwer verhindern, zum anderen wissen sie nicht so recht, wohin mit dem Klimagas. Bisher gibt es nur die Idee, es irgendwo tief unterirdisch einzulagern, auch bekannt als Carbon Capture and Storage (CCS).

Da hat das Weiternutzen mittels CCU deutlich mehr Charme. Dabei sehen die Esys-Fachleute aber mehrere Probleme. Ein erstes: Wird das CO2 in Produkten gebunden, ist es zwar erstmal "weg", seine Freisetzung ist aber nur hinausgeschoben.

CO2-Bindung in Produkten nicht vor 2030

Auch eine hundertprozentige Kreislaufwirtschaft würde da keinen Ausweg bieten, stellt die Esys-Ausarbeitung klar. Denn würde ständig neues fossiles CO2 in den Kreislauf eingebracht, müsste der Bestand an Produkten immer weiter zunehmen, um das zusätzliche CO2 zu binden.

Der "Bindeeffekt" durch die Produkte ist bisher noch ziemlich kurz. Nur rund neun Prozent der CCU-relevanten Chemikalien würden CO2 länger als ein Jahr binden, merkte Johanna Wiechen von der Umweltorganisation Germanwatch bei der Vorstellung des Esys-Berichts am Dienstag an und bezog sich bei der Angabe auf einen EU-Bericht. Man dürfe den Klimanutzen von CCU nicht überschätzen, betonte sie.

Offene Mülltonne mit gelbem Deckel, Säcke voller Plastikmüll sind hineingestopft.
Bei der kurzen Lebensdauer vieler Produkte bleibt der Klimanutzen von CCU überschaubar. (Bild: Animaflora Picsstock/​Shutterstock)

Ein weiteres Problem mit CCU ist: Aus industriellen Anlagen lässt sich das CO2 nicht hundertprozentig abscheiden. Derzeit liegen die Bestwerte im Labor nach den Angaben zwar bei mehr als 95 Prozent Abscheidung, Restemissionen sind aber unvermeidbar. Hohe CO2-Abscheideraten kosten auch viel Energie. Das treibe wiederum die Kosten für CCU nach oben, merkt die Esys-Studie skeptisch an.

Ein drittes Problem schließlich: Das "nackte" CO2 nützt der Chemie nicht viel, es muss in brauchbare Grundstoffe wie Naphtha oder Methanol umgewandelt werden. Dazu wird wiederum Wasserstoff gebraucht, der in einer klimaneutralen Welt nur ein grüner sein kann. Auch dessen Herstellung braucht viel Energie. Das sei ein "inhärenter Nachteil" von CCU, merkt das Esys-Team an.

Bis 2030 erwartet es wegen der Probleme keinen Einsatz von CCU in Deutschland. Auch Johanna Wiechen von Germanwatch warnt vor zu großen Erwartungen: Solange das CO2 aus einer fossilen Quelle stammt, könne der Klimaeffekt höchstens halbiert werden.

CO2 müsse als ein unbedingt zu vermeidender Klimakiller und nicht als "wertvoller Rohstoff" herausgestellt werden, forderte Wiechen. Die Prämisse bei CO2 bleibe: vermeiden, vermeiden und vermeiden.

Wegen des geringen Klimaeffekts kommt man bei CCU am Ende eben auch um eine dauerhafte Entnahme des CO2 nicht herum. CCU mache CCS nicht überflüssig, sondern ergänze es nur, betont entsprechend das Esys-Papier.

Klimaneutrales CO2 aus Biomasse und Direkt-Abscheidung

Die Forscher sehen derzeit nur zwei Quellen für "gutes", also wirklich klimaneutrales CO2. Die eine ist Biomasse, die andere die technische CO2-Entnahme direkt aus der Luft mithilfe erneuerbarer Energien.

Von beiden Wegen hält das Esys-Papier derzeit nur den biogenen für wirtschaftlich gangbar. Biomasse als Kohlenstoffquelle habe den großen Vorteil, dass sie aus "energiereichen" Kohlenwasserstoffverbindungen bestehe, ähnlich wie fossile Rohstoffe. Für die Verarbeitung werde deshalb viel weniger Energie benötigt als bei der direkten Nutzung von CO2.

Wegen der Vorteile hält es Manfred Fischedick vom Esys-Direktorium auch für sinnvoll, Biomasse verstärkt stofflich zu nutzen und aus der Erzeugung von Heizwärme und Strom herauszunehmen. Auch die Erzeugung von Kraftstoffen für den Luftverkehr und Prozesswärme für die Industrie könne vorrangig auf biogener Grundlage erfolgen.

Fischedick sieht im Einsatz von Biomasse im Verbund mit CCS auch eine Möglichkeit, um "negative Emissionen" zu erzeugen. Die brauche es dringend, um nicht vermeidbare Treibhausgasemissionen auszugleichen, sagt er.

Der direkten Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre stehen die Forscher dagegen skeptisch gegenüber. Dies sei heute bei Weitem die teuerste und energieaufwendigste Option. Um einen Kubikmeter CO2 zu gewinnen, müssen mindestens 2.500 Kubikmeter Luft "gefiltert" werden, rechnet das Papier vor.

Die entsprechend hohen Abscheidekosten verortet die Esys-Studie derzeit bei 600 bis 900 Euro pro Tonne CO2. Es gebe Hoffnung, dass diese durch Weiterentwicklung und Skalierung der Technologie bis 2050 auf 150 bis 200 Euro pro Tonne sinken.

 

Der Weg zu einem "guten Rohstoff CO2" scheint noch recht lang. Was könnte da jetzt getan werden, damit es möglicherweise schneller geht?

Für den Hochlauf von CCU und auch von CCS hält Fischedick eine schnelle Verringerung fossiler Subventionen sowie einen höheren CO2-Preis für "sehr hilfreich", erklärte er auf Nachfrage. Unbedingt nötig sei auch, eine Transportinfrastruktur für CO2 zu entwickeln – und die Kreislaufwirtschaft zu stärken, durch Mindestquoten für Recycling, langlebige Produkte und Vorschriften zur Reparierbarkeit.

Das klingt eher nach klimapolitischem Alltagsgeschäft. Bei einer echten Debatte über gutes und schlechtes CO2 stehen wir offenbar erst am Anfang.