Steinschüttung vor einem Strandrestaurant am Nordseebadeort Büsum im Landkreis Dithmarschen.
Steinschüttung in Büsum: Statt immer teurerer Einzelmaßnahmen für den Küstenschutz einfach einen Damm um die Nordsee bauen? (Foto: Björn Schwarz/Flickr)

Der Meeresspiegel ist in den letzten 140 Jahren um 20 Zentimeter gestiegen und steigt immer schneller. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnte er sich im schlimmsten Fall um ein bis zwei Meter und in den nächsten 500 Jahren gar um zehn Meter erhöhen.

Bei einem Anstieg um zwei Meter verlieren allein in Nordeuropa 25 Millionen Menschen ihre Heimat, falls keine Gegenmaßnahmen getroffen werden. Von den Niederlanden wäre kaum noch etwas übrig. Folglich muss man immer höhere Deiche und Dämme bauen.

Die Frage ist nur: Wo? Allein die deutsche Küste ist 3.600 Kilometer lang. Es gibt allerdings eine einfachere Lösung, sagen einige Forscher: Die Nordsee ließe sich vom Atlantik abtrennen. Dazu wären ein Damm zwischen Frankreich und England und ein Damm zwischen Schottland und Norwegen erforderlich.

Rein technisch wäre das machbar, folgt man einer neuen Studie der Wissenschaftler Sjoerd Groeskamp vom Niederländischen Institut für Meeresforschung (NIOZ) und Joakim Kjellsson vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar).

Der südliche Damm über den Ärmelkanal wäre 160 Kilometer lang, die Wassertiefe beträgt zwischen Cornwall und der Bretagne maximal 100 Meter. Der nördliche Damm wäre 480 Kilometer lang und die Wassertiefe liegt im Schnitt bei 130 Metern. Allerdings müsste westlich von Norwegen auch die Norwegische Rinne dichtgemacht werden mit einer Wassertiefe bis zu 320 Metern.

Weltweiter Sandverbrauch eines Jahres

Die beiden Autoren der Studie gehen von einem 50 Meter breiten Damm aus, der 20 Meter höher ist als der heutige Meeresspiegel. Dafür würde man rund 51 Milliarden Tonnen Sand benötigen. Das entspricht dem weltweiten Sandverbrauch eines Jahres.

Karte der Nordsee mit zwei schwarzen Strichen ganz im Westen zwischen England und Frankreich sowie zwischen Schottland und Norwegen über die Shetlandinseln.
Zwei Dämme sollen die Nordsee zum Binnenmeer machen: Es kann auch sein, dass etwas weniger größenwahnsinnige Vorschläge damit an Glaubwürdigkeit gewinnen. (Karte: Sjoerd Groeskamp/​NIOZ)

Die beiden Megabauwerke seien auch bezahlbar. Die Studie nimmt hier die Kosten anderer Dämme zum Vergleich und kommt auf 200 bis 500 Milliarden Euro. Zusätzlich müssten noch Pumpen angeschafft werden. Pro Sekunde fließen 40.000 Kubikmeter Wasser in die Nord- und Ostsee, die zu einem Meeresspiegelanstieg um 90 Zentimeter pro Jahr führen würden.

Mit Pumpen für 20 bis 30 Milliarden Euro soll sich aber auch dieses Problem lösen lassen. Wenn außerdem noch Schleusen für die Schifffahrt gebaut werden, kommen noch mehrere Milliarden dazu.

Die 15 Nord- und Ostseeanrainerländer, die von den beiden Riesendämmen profitieren werden, könnten sich das allerdings problemlos leisten: Bei einer Bauzeit von 20 Jahren fielen pro Jahr nur Kosten von 0,07 bis 0,16 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) an. "Diese Zahlen sind erreichbar", meinen die Autoren.

Ab einem Anstieg des Meeresspiegels um rund 1,5 Meter wäre die Verwandlung der Nordsee in ein Binnenmeer wohl auch die kostengünstigere Variante. Die genauesten Schätzungen haben hier die Niederlande. Dort geht man von Kosten zwischen 32 und 140 Milliarden Euro bis zum Jahr 2100 aus, wenn allein die Deiche an den niederländischen Küsten um 1,5 Meter erhöht würden.

"Einen Denkprozess anstoßen"

Für alle Nord- und Ostseeanrainer zusammengenommen wäre der Aufwand, die Küsten konventionell zu schützen, um ein Vielfaches höher und es wäre billiger, die beiden vorgeschlagenen Dämme zu errichten. Dies gilt umso stärker, falls der Meeresspiegel um mehr als 1,5 Meter steigt.

Dieser Schluss erstaunt auch die Autoren der Studie: "Dass eine derart radikale Lösung das Potenzial hat, gegenüber herkömmlichen Schutzmaßnahmen im Vorteil zu sein, spiegelt die Größenordnung der Gefahr durch den Anstieg des Meeresspiegels wider."

Das deutet auch auf den eigentlichen Zweck der Studie hin, denn die Autoren zielen nicht darauf ab, dass ihr Vorschlag tatsächlich umgesetzt wird. "Es ist wahrscheinlich unmöglich zu erfassen, wie groß die Gefahr durch den Anstieg des Meeresspiegels ist. Wenn man aber die Dimension der erforderlichen Lösung begreift, dann hilft das auch beim Erkennen der Bedrohung."

Den Autoren ist auch bewusst, dass ihr Vorschlag in der Öffentlichkeit Kontroversen auslösen könnte. Das ist quasi Teil des Studiendesigns: "Wir hoffen, dass allein schon die Anregung zu dieser Lösung und die darauf folgenden Proteste einen Denkprozess in Gang setzen, der den Weg zu globalen Maßnahmen gegen die Klimagefahren ebnet."

Dass ein solcher Prozess in Gang kommt, wäre tatsächlich wünschenswert, denn wer will schon eine Mauer um die Nordsee?

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