Der Flugverkehr hat einen häufig unterschätzten Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß, Tendenz steigend. Um ihn trotzdem klimafreundlicher zu machen, schreibt die Politik den Airlines den sukzessiven Umstieg auf "alternatives" Kerosin vor.
Bisher wird dieses vor allem aus Anbau-Biomasse wie Raps oder aus Reststoffen hergestellt, etwa gebrauchten Speiseölen oder Fetten. Große Hoffnungen werden aber auf Kerosin auf Basis von erneuerbarem Strom und Nutzung von CO2 aus der Umwelt gesetzt.
Doch hier gibt es einen Rückschlag. Eine Pilotanlage für solche E‑Fuels im niedersächsischen Werlte funktioniert auch nach vier Jahren nicht richtig, wie der Investor hinter dem Projekt, das Berliner Unternehmen Atmosfair, unlängst mitteilte.
Die Anlage wurde 2021 errichtet, um dort mit dem in Norddeutschland reichhaltig produzierten Grünstrom per Elektrolyse Wasserstoff herzustellen – und dann in einem zweiten, neu entwickelten Schritt daraus das synthetische E‑Fuel. Die Eröffnung erfolgte im Beisein der damaligen Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und auch einer Vertreterin der Lufthansa Group.
Jetzt allerdings zog Atmosfair eine ernüchternde Bilanz. Die Anlage funktioniere "immer noch nicht annähernd wie geplant", erklärte Geschäftsführer Dietrich Brockhagen, die Hoffnungen auf eine funktionierende Produktion hätten sich "nicht bestätigt".
Atmosfair erwägt Wechsel der Technologie
Im vergangenen Sommer hatte Atmosfair mitgeteilt, in vier Jahren seien insgesamt fünf Tonnen CO2-neutrales Kerosin für die kommerzielle Nutzung produziert worden – laut dem Hersteller eine Weltpremiere für diese E‑Fuels. Die Lufthansa war da allerdings schon aus dem Projekt ausgestiegen. Brockhagen schränkte zu dem Zeitpunkt bereits ein, dass die Technologie für den nötigen Markthochlauf noch wichtige Hürden nehmen müsse.
Inzwischen, ein knappes Jahr später, sieht es offenbar nicht besser aus. "Es ist kaum Rohkerosin dazugekommen, und das nur im ineffizienten, vereinfachten Anlagenmodus. Der echte Betriebsmodus bleibt weiter eine Herausforderung", so Brockhagen. Die Anlage in Werlte soll eigentlich über 300 Tonnen E‑Fuels jährlich herstellen.
Atmosfair ist bekannt als Anbieter von CO2-Kompensation, vor allem für Flüge, und finanziert aus seinen Einnahmen weltweit Klimaschutzprojekte. Derzeit erwägt das Unternehmen nach eigenen Angaben die nächsten Schritte, darunter eine Umstellung der derzeitigen Technologie auf eine andere. Dabei sei es "nur ein schwacher Trost, dass keine andere Anlage erfolgreich E‑Kerosin auf Industrieniveau produziert".
Zudem prüfe man "die Einleitung von rechtlichen Schritten gegen unseren Technologielieferanten". Dabei handelt es sich um die Karlsruher Firma Ineratec. Dazu erklärte Brockhagen: "Wir haben einen langen Atem und Verständnis für junge Technologien, verlangen gleichwohl von unserem Technologiepartner die Übernahme von seinem Teil der Verantwortung."
Brockhagen befürchtet, der "Power-to-Liquid"-Technologie im Emsland könnte es im schlimmsten Fall so ergehen wie Choren Industries in den 2000er Jahren im sächsischen Freiberg: "Eine gehypte Zukunftstechnologie im Bereich der erneuerbaren synthetischen Kraftstoffe, mit viel Investorengeld auf einem Weg, der nach ein paar Jahren in die Insolvenz führt."
"Herausforderungen im Produktionsprozess"
Ineratec (Slogan "Goodbye Erdöl. Hello Next Era") verteidigt auf Anfrage das in Werlte verfolgte Konzept. Man habe dort die erste industrielle Power-to-Liquid-Anlage ihrer Art in dieser Größenordnung aufgebaut. Sie stehe "exemplarisch für den Pioniergeist, der für die Einführung neuer Technologien erforderlich ist".
Die Herausforderung habe darin gelegen, dass dort "mehrere neue Gewerke erstmals gemeinsam im Verbund betrieben wurden". Dennoch sei "weltweit erstmalig synthetischer Kraftstoff aus CO2 und Wasserstoff auf diesem Technologielevel" erzeugt worden.
Strom im Tank
Das Unternehmen Ineratec verwendet für sein Produktionsverfahren Wasserstoff und CO2, etwa aus Biogasanlagen oder Industrie-Emissionen. Damit wird synthetisches Rohöl hergestellt, das zu Kraftstoffen veredelt werden kann – wie "nachhaltiger Flugzeugtreibstoff" (Sustainable Aviation Fuel, SAF), E‑Schiffskraftstoff oder auch E‑Diesel. Grundsätzlich ist das Öl auch als Grundchemikalie für Plastik nutzbar.
Für die Produktion wird CO2 verwendet, das sonst in die Atmosphäre freigesetzt würde. Die wichtigsten Ausgangsstoffe für die jüngst von Ineratec im Industriepark Frankfurt-Höchst eröffnete Anlage kommen direkt von dort: Das CO2 stammt aus einer Biogasanlage, die Abfälle recycelt, der Wasserstoff ist ein Nebenprodukt aus einer Chlor-Anlage.
Die Nachfrage, wann das Unternehmen höhere Produktionsmengen in der Werlter Anlage zu erreichen hofft, beantwortet eine Ineratec-Sprecherin nicht. "Wir können uns leider gegenüber Dritten nicht zu den zu erwartenden Produktionsmengen äußern", erklärt sie. Die Mengen würden steigen, "wenn Herausforderungen im Produktionsprozess gelöst werden".
Das 2016 aus dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ausgegründete Unternehmen betont, es sei "überzeugt von unserer Technologie". Das zeigt sich auch in der Inbetriebnahme einer neuen Pionieranlage in Frankfurt am Main.
Diese Anlage, die im Industriepark Höchst steht, hat laut Ineratec den Betrieb vor Kurzem aufgenommen. Erste Mengen E‑Fuels und E‑Wachse wurden produziert. Geplant sei hier eine schrittweise Erhöhung der Kapazitäten, um "bis zu 2.500 Tonnen synthetischer Kraftstoffe jährlich" herzustellen.
Finanziers der Anlage sind unter anderem die Europäische Investitionsbank EIB und die Plattform Breakthrough Energy Catalyst, die von dem Mäzen und Microsoft-Gründer Bill Gates initiiert wurde. Die offizielle Einweihung der Anlage ist für den heutigen Dienstag angesetzt.
Lufthansa fordert "wirksame Investitionsanreize "
Die Lufthansa Group begründet ihren Ausstieg aus der Atmosfair-Kooperation mit Preissteigerungen bei dem E‑Fuel-Projekt. Daher habe man sich gegen eine Abnahme von Kerosin aus der Produktionsanlage in Werlte entschieden, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit.
Lufthansa verfolge den E‑Fuels-Ansatz für nachhaltige Flugkraftstoffe der nächsten Generation jedoch weiter. So gebe es eine strategische Partnerschaft mit dem Schweizer Start-up Synhelion, das eine "Sun-to-Liquid" genannte Technologie verfolgt. Dabei wird das E‑Kerosin aus Wasser und CO2 durch konzentriertes Sonnenlicht produziert.
Derzeit nutzt die Lufthansa nach den Angaben auch Kraftstoffe aus biogenen Reststoffen, etwa gebrauchten Speiseölen. Die derzeit auf dem Weltmarkt verfügbaren Mengen reichten allerdings nur aus, um rund 0,3 Prozent des globalen Kerosinbedarfs zu ersetzen, zudem sei der Sprit immer noch drei- bis fünfmal teurer.
Die Airline erwartet, dass die Produktionsmengen von Bio- und E‑Fuels so ansteigen können, dass die ersten beiden Stufen der von der EU vorgeschriebenen Beimischungsquote zu erfüllen sind. Für 2025 beträgt die Quote zwei Prozent, ab 2030 sechs Prozent, wobei dann 1,2 Prozentpunkte durch E‑Fuels zu erfüllen sind.
Kritisch sieht die Lufthansa allerdings den geplanten Anstieg der Gesamtquote bis 2035 auf 20 Prozent. "Nach heutigem Stand ist zweifelhaft, ob diese Quote im vorgesehen Zeitrahmen erfüllt werden kann." Die Airline kritisiert: In Deutschland und Europa fehlten wirksame Innovations- und Investitionsanreize für die Produktion und den Einsatz des "Öko-Kerosins".